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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Cornelis Dito, dessen Bildniß von kunstgeübter Hand in seiner Heimath gezeichnet und der Gartenlaube zum Zwecke der Veröffentlichung eingesandt wurde, erwirbt sich seinen Lebensbedarf als einer der stetigsten sogenannten Sloeperleute, jener kühnen Schiffer, die auf ihren Nußschalen von Booten ankommenden Schiffen oft weit in die See entgegenfahren, um ihnen ihre Dienste anzubieten. Eine solche Fahrt wäre in diesem Sommer beinahe seine letzte gewesen.

Es war am 3. Juli d. J., wo Cornelis Dito mit drei anderen Sloeperleuten auf seinen Erwerb in See ging. Sie hatten sich mit der Sonne aufgemacht und kreuzten so weit draußen, daß sie nur durch das Fernrohr wie ein schwarzes Pünktchen über den ruhigen Wellen zu erkennen waren. Ihr Harren war jedoch vergeblich. Mit fröhlichem Gesang wandten sie endlich das Steuer heimwärts. während ein Sturm seinen Anzug verkündete. Mit kräftigem Ruderschlage die Wogen theilend waren sie bald nur noch etwa eine Drittelstunde vom Strande entfernt, als plötzlich auf der Höhe der Pettener Dünen eine Windhose sie überfiel und ihr Boot umschlug. Als vier gute Schwimmer gewannen zwar die Männer ihr Boot bald wieder und klammerten sich auf dem Rücken desselben fest, aber nun schwebten sie fortwährend in der Gefahr, von den wachsenden Wellen fortgespült zu werden. Auch die Hoffnung, einem vorübersegelnden Schiffe in Sicht zu kommen, wollte nicht in Erfüllung gehen, während Sturm und Gefahr mit jedem Augenblick zunahmen. Da entschloß Cornelis Dito sich, für seine Gefährten die Hülfe, die ihnen zur See nicht kommen wollte, selbst vom Lande zu holen; er wollte trotz der weiten Entfernung von mehr als zweitausend Metres hinüberschwimmen, um mit einem Rettungsboot zurückzukehren. Seine Gefährten waren seine liebsten Freunde und waren, wie er selbst, Familienväter; da drängte ihn doppelt sein Beruf, sich und sie zu retten. Trotz alles Abmahnens ließ einer der Drei, J. Kuiper hieß er, sich nicht abhalten, den Cornelis auf seiner strengen Tour zu begleiten. An den Kiel des Boots festangeklammert blieben die beiden Andern allein in der Wasserwüste zurück. Aber auch Kniper sollte das Land nicht erreichen. Obwohl zur selben Zeit, wo beide Freunde in der Fluth sich vorwärts arbeiteten, das Meer ruhiger wurde, so stand ihnen doch noch ein schweres Hinderniß entgegen: die der Küste entlang ziehende heftige Strömung. Cornelis Dito besiegte auch dieses Hinderniß, allein Kniper’s Kraft war gebrochen, als er den neuen Wogenkampf beginnen sollte; er versank in die Fluth zum Nimmerwiederkehren. Trostlos über den Verlust des liebsten Genossen erklomm Cornelis den Wall, aber den Schmerz und die Sorge für sich selbst niederdrückend eilt er zum Dorfe Petten, ruft die Männer zur Hülfe auf, das Rettungsboot rollt in die See und hinaus geht’s zu den in Todesnoth an dem schwarzen Bauch ihres Bootes Hängenden. Die Hülfe kam noch zu rechter Zeit, Beide waren gerettet.

Der Tod des armen Kuiper, die Hülflosigkeit seiner Familie und die reine edle That Cornelis Dito’s erregten die Theilnahme des Volks nicht nur von Nordholland, sondern in den ganzen Niederlanden. Jener Doppelfall von Unglück und Glück gab die Veranlassung, nicht blos für die armen Verlassenen zu sammeln, sondern auch eine Stiftung zu begründen, die den braven muthigen Männern, welche so oft ihr Leben für Andere wagen, wenigstens die beruhigende Sicherheit in’s Herz legen soll, daß ihre Lieben nicht in Noth versinken, wenn sie selbst einst in ihrem Berufe untergehen sollten. Zu diesem guten Zwecke ist der Wohlthätigkeitstrieb mit all’ seinen anregenden Mitteln im holländischen Volke thätig, und wenn auch in den Nachbarvölkern die Theilnahme dafür durch diese Erzählung von dem Menschenretter Cornelis Dito sich werkthätig erweisen wollte, so würde das dankbar begrüßt werden in ganz Holland und an dem Strande von de Helder noch manche Thräne trocknen helfen.




Vom Vater Zschokke.
Von Friedrich Nüsperli.
(Schluß.)

Im Reisen fand Vater Zschokke, wie bereits bemerkt worden, eines der vorzüglichsten Bildungsmittel für Körper, Gemüth und Geist seiner Söhne, und es ist wiederholt vorgekommen, daß in volkreichen Gassen einer ausländischen Stadt ein junger Zschokke einherwandelte, dann wie festgebannt stehen blieb und sich nach allen Seiten umsah. Er hatte den heimathlichen „Bubenpfiff“ vernommen, bestehend aus zwei kurzen und einem um einige Töne tieferen, längeren Stoß der Luft aus dem Munde, und richtig, da eilte ein Bruder unverhofft auf ihn zu, der, wie er, auf Reisen war. Zu diesen Reisen wurden die Knaben von früh auf angeleitet, indem man sie zuerst ganz kleine und dann immer weitere Wanderungen unternehmen ließ, zuerst hinaus in die „neue Vorstadt“, zu Sauerländers, dann zum Großvater nach Kirchberg, dann in’s Frickthal zu einem befreundeten Bekannten etc. Natürlich fehlte es dabei an Abenteuern nicht, die dann jedesmal, wenn sie daheim wieder erzählt wurden, das liebende Elternpaar überglücklich machten. So kam einst einer der Knaben, welchen man zu Herrn Sauerländer hatte schicken wollen, zurück und theilte mit, er habe nicht in die neue Vorstadt gelangen können, weil an einer Stelle die Gasse versperrt gewesen. „Wodurch?“ wurde gefragt, und der Knabe antwortete: „Durch den Schatten!“ Der Vater hatte ihm nämlich unmittelbar vor dem Aussenden die Haare abgeschnitten und ihm dann auf die Reise die Ermahnung mitgegeben, er solle, um sich nicht etwa zu erkälten, nur im Sonnenschein gehen. Weil nun an einer Stelle der Gasse die Sonne nicht hinscheinen konnte, war der gewissenhafte Knabe wieder umgekehrt.

Um seine Knaben noch auf einem andern Wege der Naturwissenschaft zuzuführen, ließ Zschokke es geschehen, daß sie an den Sonntagabenden, namentlich im Winter, oft mehrere gleichgesinnte Bekannte um sich versammelten, um selbstthätig unter dem Namen „Verein der jungen Naturfreunde“ einander schriftliche Arbeiten über Naturgegenstände vorzutragen und dieselben mündlich zu verhandeln. Ein handschriftlich angefertigtes Wochenblatt „der Blumenhaldner“, jeweilen von einem der Söhne verfaßt und zusammengeschrieben aus Eingaben, welche von den Brüdern herrührten, theilte die Neuigkeiten, die sich im Hause zugetragen, allwöchentlich mit und wurde am Sonntag im Kreise der Familie vorgelesen. Mitunter betheiligte sich auch die Mutter durch Einsendungen dabei. Ein Wörterbuch, enthaltend alle Personen und denkwürdigen Dinge des Hauses, unter Beifügung der angemessenen beschreibenden oder geschichtlichen Bemerkungen, sowie eine Karte, die Umgebungen Aaraus darstellend, versehen mit der Andeutung der Fundorte von Mineralien und Pflanzen, wurden begonnen, leider aber nicht vollendet.

Vater Zschokke liebte seine Kinder alle mit der nämlichen Herzensinnigkeit, ohne eines zu bevorzugen. Auf seinen Zweitältesten Sohn Emil, nun ersten Pfarrer in Aarau, gründete er indessen die meisten Hoffnungen, bezüglich einstiger Wirksamkeit des Mannes. Wiederholt hat er in seinem Unterricht über „mündlichen Vortrag“ sich an den Knaben gewendet: „Emil, ich habe Euch nun auseinandergesetzt, wie der besprochene Gegenstand in einer öffentlichen Rede zu behandeln wäre. Begieb Dich jetzt für einige Augenblicke in’s Nebenzimmer, überlege Dir, wie Du über die Sache sprechen wollest, dann komme und halte Deinen Vortrag!“ Wir alle Andern mußten, wenn Emil des Vaters Wunsch erfüllt hatte, bekennen: „Das könnten wir nicht!“

Emil, der, wie bemerkt, eine natürliche Gabe zum Redner hatte, behauptete als Knabe oft: „Entweder will ich Schauspieler werden, oder Pfarrer.“ Der Vater leitete den Entschluß des Kleinen dem letztgenannten Ziele zu. Leider erlebte er es aber nicht, daß dieser, sein Sohn, Pfarrer des Cantonshauptortes wurde.

Vater Zschokke hielt darauf, daß wir mitunter Komödie spielten. Wir mußten dabei zuweilen einen bekannten Gegenstand, z. B. den Tellenschuß, aus dem Stegreif aufführen. Jeder folgende Spieler hatte sich dabei auf die oft unvermuthete Wendung seines Vorredners bereit zu halten und einzurichten, damit das Stück so viel wie möglich ein abgerundetes Ganzes abgebe. Einst konnte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_646.jpg&oldid=- (Version vom 22.10.2022)