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die Schweiz, man gelangt dabei an den Lünersee, dieses Juwel der Alpen Vorarlbergs, der sechstausend Fuß über dem Meer in seinem klaren, blaugrünen Wasser die scharfen Kanten und Grate der Kalkfelsen spiegelt. Der Geognost und der Botaniker werden nebenbei durch eine reiche Ausbeute belohnt.

Was auf den ersten Blick befremdet, ist nicht der Unterschied der Gegend von den Thälern des nachbarlichen Tirol; die geologische Unterlage des Thonglimmerschiefers, Glimmerschiefers und Gneises hat hier wie dort ähnliche Formen und eine ähnliche Vegetation bedingt, wohl aber manches Eigenthümliche im Bau der Häuser. Diese stecken nämlich in einem Schuppenpanzer von braunen Schindeln, welcher jede Wand überzieht. Die Fenster sind groß und blank, die Läden meistens grün angestrichen. Diesem Baustyl begegnet man übrigens auch im Allgäu und dem benachbarten Prettigau. Betritt man das Innere des Hauses, so wird man durch die große Reinlichkeit überrascht, während in Tirol manchmal der Schmutz wie in Polen das fünfte Element zu sein scheint. Der Boden ist blank und weiß, das eindringende Licht wird durch feine Vorhänge gebrochen, im Fremdenzimmer prangen meist polirte Möbel von hartem Holze. Der Montavoner ist nüchtern und sparsam, mit großer Findigkeit weiß er Erwerbsquellen aufzuspüren. Selten kommt ein Fremder in das Montavon, um so häufiger gehen Montavoner in die Weite. Im Frühjahr ziehen sie truppweise nach Westen, insbesondere nach Frankreich, wo sie als Maurer sehr geschätzt werden und blanke Louisd’or holen. Der Montavoner ist daher bei aller Liebe zur Heimath ein Kosmopolit; nicht ohne Selbstgefälligkeit spricht er den Touristen französisch an und freut sich, wenn dieser staunt. Jene Schafsmäßigkeit, mit der sich der Tiroler von ultramontanen Leithämmeln für verschiedene Zwecke, die wahrlich nicht im Christenthum, dieser Religion der Liebe, wurzeln, ausbeuten läßt, hat er längst abgelegt, aber nicht die Achtung vor dem Priester, welcher seinem Beruf würdevoll obliegt. Diese Achtung wird nicht als selbstverständlich betrachtet, sondern muß verdient werden. Das Ordinariat hütet sich, Priester aus Tirol zu senden; es wählt Eingeborene, welche Land und Leute kennen und zu behandeln wissen.

Einen sehr guten Erwerb gewährt dem Montavoner die Viehzucht mit ihren verschiedenen Producten. Sie wird nicht auf eine so ursprünglich rohe Weise betrieben, wie in manchen Gegenden Tirols, sondern sehr verständig. Man hat die herrlichste Race des Schweizerrindes hier angesiedelt und noch veredelt; dem Oekonomen, der die Märkte besucht, muß das Herz im Leibe lachen, wenn er die prächtigen glatten Thiere beschaut oder ihnen auf den Rücken klopft. Kaufte doch erst jüngst Herr Tschavoll aus Feldkirch eine Kuh um 100 Kronenthaler! Die reinliche Milchwirthschaft liefert vorzügliche Producte; die Käse Montavons erfreuen sich weitum eines guten Rufes. Auch der Verkauf gedörrten Obstes bringt manchen schönen Gulden in das Thal. Ja, die Montavoner verstehen es fast so gut wie die Schweizer; Vorarlberg würde sich überhaupt nach Sinn und Art der Bewohner zu einem Canton eignen; es kennt keinen Adel, und ein protziger Junker könnte hier höchstens eine Tracht Schläge, aber keine Complimente holen. Darum wollen auch die feudalen und clerikalen Tiroler nichts von den Leuten jenseits des Arl wissen, diese haben aber auch nie eine große Sehnsucht nach dem berüchtigten Glaubenseinheitspferch gezeigt.

Im Montavon ist übrigens nur die Sprache deutsch, Körperbau und Gesichtsbildung würde die romanische Abstammung beweisen, lägen auch nicht dafür zuverlässige Urkunden vor. Fast alle Ortsnamen klingen romanisch; vielleicht erst in Mitte des vorigen Jahrhunderts gelang die Entwelschung vollständig. Mancher Rest des alten Welsch befremdet aber auch jetzt noch im Gespräch mit Montavonern. So heißt balöri (italienisch balordo) Tölpel, parlotscha (parlare) unverständig reden, allert heiter, späuslig (sposo) Bräutigam, spausa (sposa) Braut und ähnliches mehr. Ueber den Charakter des Montavoners sagt der bekannte Beda Weber: „Die Montavoner, aus urältester Zeit frei und ungeknechtet, alle feudalistische Leibeigenschaft mit echt keltischem Trotz von sich stoßend, sind der lebenskräftigste und rührigste Volksstamm Vorarlbergs, ebenso heiter und funkensprühend wie scharfsinnig und gedankenreich mit allem Heimweh der Schweizer für ihr grünes Thal, in ihren Gesichtszügen auffallende Spuren von Aehnlichkeit mit der rhätischen Bevölkerung Obrrinnthals und Engadins nachweisend, aber vom guten Geiste der rheinländischen (sollte wohl heißen: schwäbischen) lebenswarmen Volkstümlichkeit vergeistigt und verklärt.“

Die Geschichte Montavons zeigt uns kein Ereigniß von Bedeutung; die Romantik des Mittelalters mit ihren brutalen Rittern, Leibeigenen und Mönchen hatte in diesem demokratischen Völklein nie Wurzel gefaßt; 1809 zogen seine Söhne zwar mit dem Stutzen aus, doch heftet sich an ihren Ausmarsch leider eine blutige Erinnerung: der gräuliche Mord des Beamten Indermaur zu Bludenz.

In den Sitten zeigt sich manches Eigenthümliche; wir erwähnen vor Allem den prächtigen Tanzreigen, welcher, einigermaßen dem steirischen Ländler ähnlich, sich doch in einem viel rascheren Tempo bewegt und an Grazie unsere einförmigen Walzer und Polkas weit übertrifft. Die Männer haben längst ihre Volkstracht abgelegt und sich dafür bürgerlich costumirt, wie es sich für so viel gereiste Leute ziemt.

Aber die Montavonerinnen?

Wir waren bisher so unartig, dieselben kaum zu erwähnen, dafür soll jetzt um so länger davon die Rede sein. Ja, die Montavonerinnen! Da giebt es prächtige Meiggen mit der vollen Gluth des Südens im Auge und der leichten Elasticität des Bergmädchens in den Gliedern. Man trifft wirklich sehr schöne Gesichtchen, nur den Mund sollten sie nicht oft aufmachen. Sie schwätzen zwar ganz allerliebst, leider gleichen die Zähne nicht selten den spitzen Ruinen eines abgebrannten Dorfes. Man giebt als Ursache dieses häßlichen Fehlers den häufigen Genuß des heißen gekochten Obstes an. Sei dem, wie ihm wolle, wenn sonst nichts mangelt, kann man sich allenfalls beruhigen; die Montavonerinnen sind brave Hausfrauen und bringen meistens schöne Batzen zur Aussteuer, womit man allenfalls ein Gebiß in Golddraht kaufen kann.

In der Kleidung behielt die Montavonerin die alte Volkstracht bei; Stück für Stück in Zucht und Ehrbarkeit zu mustern, überlassen wir einem Freunde, der sich von seiner wackern Frau die einzelnen Theile der Toilette benennen und erklären lassen konnte. Der Leser möge mit dem Wort die beigefügten Abbildungen vergleichen. Das hohe, schwarze Ding, das so imposant, fast ehrfurchtgebietend auf dem Kopfe sitzt, ist das Mäßle, sonderbarer Weise auch die grüne Kappe genannt. Es gleicht einem Männerhut ohne Krempe, oder der Mütze eines griechischen Popen und deckt die ganze Fülle des Haares, nur eine einzige Locke quillt an den Schläfen darunter hervor. Das Mäßle ist übrigens nichts Originelles, sondern nur der Rest einer früher weitverbreiteten Tracht, vielleicht ursprünglich alemannisch. Scherer’s Costümbilder von Tirol zeigen die Mädchen vom Lechthal und Pfaffler noch am Beginn dieses Jahrhunderts damit geschmückt. Es ist überhaupt falsch, den sogenannten Volkstrachten ein hohes Alter und lange Dauer zuzuschreiben. Sie ändern sich von Zeit zu Zeit, freilich nicht so schnell, wie die Anzüge der Modejournale. Das sehen wir auch in Montavon. Noch vor wenigen Jahren pflegten die Frauen ihr dunkles Haar vorerst in eine weiße Haube zu fassen, auf welche dann das Mäßle so gesetzt wurde, daß die „Kappathusa“, eine eiförmige Spitzenhaube, hervorquoll, die allerliebst das Gesicht umrahmte. Um den Hals schlingt die Montavonerin ein kleines Seidentüchlein so lose, daß das rothe Collier noch hervorblitzt. Früher waren Mieder und Rock hellroth, heutzutage sind Spenser (Tschopa), Mieder und Rock von Schafwolle und dunkelbraun, die Schürze blauer Baumwollstoff. Der Tschopa ist am Halse und vorn mit einem breiten Seidenband eingefaßt, der rechte Aermel umgelitzt, damit ja die hochrothe „Blegi“ und die paar Rosettchen darauf ersichtlich seien. Das Mieder reicht bis zu den Lenden, seine Ränder sind ebenfalls mit einem breiten, seidenen Bande gesäumt und schließen das Brusttuch, einen länglichen, dreieckigen Pappendeckel, ein, der mit rothem Seidenstoffe überzogen ist und nicht selten mit allerlei Zierrath prangt, etwa einer Goldborte am oberen Rande, oder einem bunten, seidengestickten Blumenstrauße in der Mitte. Der Brisnestel, ein rothseidenes Band, steigt von einem Oehr zum andern im Zickzack über den Busenpanzer zum Hals. Die ziemlich faltenreiche Juppa ist an ihrem unteren Rande wieder von einer breiten, rothen Blegi geschmückt und auch der berüchtigte Reif fehlt bei mancher ländlichen Kokette nicht. Einige Eitelkeit verräth der hochrothe Strumpf, der sich mit manchem schönen Strickmuster um die dralle Wade schmiegt. Früher wurde er auch in Tirol getragen, jetzt sieht man ihn nur hie und da noch im Vinschgau; wie denn auch die Bauern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_654.jpg&oldid=- (Version vom 22.10.2022)