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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Gründe, wo sie sich anheftet, sind den Fischern unter dem Namen „Seewälder“ als treffliche Fischbänke wohlbekannt. Mit ihr in Gesellschaft finden sich eine Menge anderer Thiere, besonders aber eine prachtvolle, blendend weiße, große Feilenmuschel (Fig. 9), die erst durch die Schleppnetze der nordischen Naturforscher entdeckt wurde und von der ich hier die Abbildung der innern Seite einer Schale in halber Größe gebe. Die äußere Seite der dünnen Muschel ist mit feinen Längsstreifen geziert – die innere Ansicht zeigt das einfache Schloß und den Eindruck des einfachen Muskels, durch den die Schale geschlossen wird. Niemals haben sich beide Gesellen in seichterem Wasser gefunden, wenigstens nicht lebend. Aber im Fjord von Christiania giebt es Stellen, wo todte Augenkorallen in wenig Faden Tiefe noch auf dem Meeresboden wurzeln und todte Feilenmuscheln dazwischen herumliegen. Hier waren also einst tausend Fuß Tiefe mehr – Land und Meer hatten eine andere Gestalt!

Hier muß ich enden, obgleich noch so Vieles zu sagen wäre. Aber es genügt, gezeigt zu haben, daß die blaue Tiefe noch Manches birgt, von dem wir nur sagenhafte oder höchst unvollständige Kenntniß haben; daß dort unten ein nicht minder lebhaftes Schaffen und Treiben wirkt, als in anderen, zugänglicheren Regionen des Meeres; daß viele Fragen, welche die Wissenschaften von der Erde und vom Leben an uns stellen, dort noch ihre Antwort finden können und werden, und daß wir die Hoffnung nicht aufgeben dürfen, Antworten auf diese Fragen zu erhalten, sobald wir die Methoden vervollkommnen, die zu Resultaten führen können.




Eine Tochter Nürnbergs.
Der Flintensteinhandel. – Die „Märmel“ oder „Märbel“, – Die Märmelmühlen. – Die „Neustädter Reiterle“. – Die Papiermachéfabrikation. – Die Guttaperchaköpfe. – Die Terralithfiguren. – Die Täuflinge und die Papa- und Mamastimmen. – Die Holzschnitzerei. – Die Weißmacherarbeilen. – Geigen, Schnurren, Nußknacker, Drehorgeln. – Bewegliche Puppen und mechanische Spielwaaren. – Der Mustersaal. – Die „Herrgottle“. – Der Umsatz des Sonneberger Geschäfts. – Adolf Fleischmann. – Gefäße aus Terracotta in antiken Formen. – Helden- und Götterfiguren aus Terralith. – Siderolithwaaren in japanestscher Manier.

Ja, von einer Tochter der alten Reichsstadt wollen wir heute erzählen, von einer Tochter, die schon in früher Jugend alle schönen Tugenden der edlen Mutter sich zum Vorbilde nahm, um als reichgeschmückte Braut sich dem Thüringer Walde zu vermählen und als köstliches Juwel dieses reizenden Gebirges zu prangen.

Schon im Mittelalter wandte sich der umsichtige Blick des Nürnberger Kaufmannes nach den ihm zunächst gelegenen Theilen des südöstlichen Thüringer Waldes, wo der Reichthum an Holz willkommene Ausbeute an Pech und Kienruß verhieß und zahlreiche Wetzsteinlager dem Nürnberger Handel willkommene Artikel zuführten. In Folge dessen begann in Sonneberg, dem Mittelpunkt der jetzigen sogenannten Sonneberger Spielwaaren-Industrie, der im Meininger Oberlande am Fuße des Thüringer Waldes gelegen und seit einigen Jahren durch eine Zweigbahn mit der nur vier Stunden entfernten Nachbarstadt Coburg verbunden ist, schon vor Jahrhunderten eine rege Geschäfts- und Gewerbthätigkeit aufzublühen. Bereits in der Zeit von 1710–1740 besaßen viele Sonneberger Kaufleute Etablissements im fernen Auslande, in Stockholm und St. Petersburg, in Kopenhagen und Christiania, in Lübeck und London, ja in Moskau, Archangel und Astrachan.

In dieser ersten wichtigen Periode der Sonneberger Gewerbthätigkeit, während welcher dreißig Jahre Sonneberg neben seinem Vertrieb auch im fast ausschließlichen Besitze des Flintensteinhandels für die Heere Europa’s war, schien noch ein neues schönes Gestirn über der Sonneberger Industrie aufzugehen. Die Berchtesgadner Emigranten nämlich, durch ihre kunstfertigen Schnitzereien in Holz, Knochen und Elfenbein schon damals in hohem Ansehen, baten um Aufnahme in den Sonneberger Industriebezirk, und die Sonneberger Kaufleute suchten ihre Ansiedelung nicht nur aus religiösen, sondern auch aus mercantilen Interessen auf alle mögliche Weise zu betreiben. Allein der neue Hoffnungsstern für die weitere Hebung der Sonneberger Industrie sollte gar bald verbleichen vor einer dunklen Wolke, welche über dem grünen Regierungstische der Residenz Coburg aufstieg, zu welchem kleinen Gebiete Sonneberg bis zum Jahre 1735 gehörte, wie überhaupt Sonnebergs Blüthe sehr zu kränkeln anfing. Erst Herzog Georg von Sachsen-Meiningen, jener wahrhaft praktische und für das Wohl seines Landes unermüdlich besorgte Fürst, suchte durch die Ertheilung eines besonders Privilegiums, des sogenannten Sonneberger Privilegiums, im Jahre 1789 die Sonneberger Industrie wieder zu heben.

Während die Berchtesgadener Schnitzerei für das Meininger Oberland damals verloren ging, wurde doch durch Salzburger Emigranten vom Untersberg der Sonneberger Industrie ein neuer Handelsartikel zugeführt, welcher, an sich klein und unscheinbar, trotzdem von Interesse wurde und später zu hoher Wichtigkeit für den Sonneberger Verkehr gedieh. Es sind dies die in der Kinderwelt aller Zonen so beliebten Märmel oder Märbel, deren Namen in den verschiedenen Gegenden Deutschlands bekanntlich sehr verschieden sind.[1] Kinder und erwachsene Personen geben den zu den Märmeln geeigneten Kalksteinen durch Schlagen eine solche Form, daß dieselben in den von Bächen getriebenen sogenannten Märmelmühlen, deren sich bei Sonneberg und in dessen weiterer Umgebung vierundzwanzig finden, in kurzer Zeit in Kugelgestalt verwandelt werden können. Man nimmt an, daß jährlich wenigstens dreißig Millionen Märmelkugeln fabricirt werden, welche theils in ihrer rohen Gestalt, theils farbig und polirt nach allen Theilen der Erde versendet werden. In neuerer und neuester Zeit hat dieser Artikel zu der Fabrikation schöner Kiesel- und Jaspiskugeln und ebenso zu der Herstellung prachtvoller Porzellanmärmel und äußerst kunstvoller Glasmärmel geführt.

Außer zum Theil freilich noch sehr roh geschnitzten Holzspielwaaren der verschiedensten Art und den eben genannten Märmeln verfertigte man schon im vorigen Jahrhunderte auch Figuren aus einer plastischen Masse, die unter dem Namen „Teig“ bis auf den heutigen Tag bekannt ist und aus einer Mischung von Schwarzmehl und Leim besteht. Dieser Teig wird jetzt noch bei der Fabrikation eines der ältesten ordinären Artikel, der sogenannten „Neustädter Reiterle“, angewendet, indem die Bossirer die Glieder der Figur, deren Körper der Schnitzer aus Holz darstellt, aus freier Hand aus dieser Masse verfertigen. Die Bossirer bildeten bis vor wenigen Jahren, wo die Segnungen der Gewerbefreiheit in’s Land gezogen kamen, eine besondere Zunft, deren Mitgliederzahl durch eine Verordnung in gewisser Weise eine bestimmte Höhe nicht überschreiten durfte. Auch die sogenannten Maler, welche den von den Bossirern und Schnitzern gefertigten Artikeln ein buntes Colorit geben, waren in früherer Zeit zünftig.

Das große Verdienst, die Papiermachéfabrikation vor etwa fünfundvierzig Jahren von Paris nach Sonneberg übergeführt zu haben, gebührt dem vor einigen Jahren verstorbenen wackeren Friedrich Müller aus Sonneberg, dem Gründer der Firma Fr. Müller und Straßburger daselbst. Die Papiermasse besteht aus einer Verbindung von Papierfaser, einem auf den Massemühlen fein gemahlenen Sande oder der sogenannten Drückmasse und aus schwarzem Mehle, wozu als Bindemittel noch Leim beigegeben wird. „Modelleure“ fertigen aus Thon die betreffenden Modelle an, welche hierauf in Schwefel abgegossen werden. Die „Former“ drücken alsdann die Papiermasse in die geölten „Formen“ ein. Weil die Papiermachéspielwaaren vor den Bossirerwaaren den großen Vortheil boten, daß sie hohl waren, so konnten in den

  1. In Salzburg kennt man für dieses Spielzeug nur die Namen Schusser oder Kucheln, in München heißen die Märmel „Antetscher“, in Augsburg „Glucker“, in Berlin „Murmel“, in Coblenz „Marbel“, in den Hansestädten spielt man mit „Marels“, in Düsseldorf mit „Klickern“, in Thüringen ist der Name „Klitscher“, im Voigtlande die Bezeichnung „Schnellkaulen“ üblich; die Holsteiner kennen die Märmel unter dem Namen „Nipser“, die Meininger loben sich ihre „Guterlei“, in anderen Gegenden wiederum sind die Namen „Schiffer“, „Ripperche“, und noch viele andere gebräuchlich.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_712.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)