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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Figuren allerlei mechanische Vorrichtungen angebracht werden, mittels deren die Figuren gewisse Bewegungen erzeugten und selbst Laute von sich gaben. Daher kam es, daß die Papiermachéfabrikation in der Umgegend von Sonneberg, z. B. in Neustadt a. H., in Rodach bei Coburg, in Hildburghausen, in Gräfenthal auf dem Thüringer Walde etc., gar bald Nachahmung fand, wobei Puppenköpfe in den verschiedensten Größen lange Zeit hindurch den gangbarsten Artikel bildeten.

Viel später, im Jahre 1849, brachte ein Zeichenlehrer und Fabrikant Namens Bandorf einen Artikel in den Handel, welcher großes Aufsehen erregte. Er hatte jene aus Leim und Syrup bestehende gallertartig-elastische Masse, aus welcher die Buchdrucker ihre Walzen gießen, mit Blei- oder Kremserweiß versetzt, ihr damit das Gallertartige genommen und dieselbe zur Herstellung von Caricaturenköpfen, Thieren, wie Eidechsen, Schlangen, Fröschen und dergleichen, verwendet. Man konnte aus einem aus dieser Masse – der sogenannten Guttapercha – hergestellten Kopfe durch Ziehen und Drücken jede Fratze machen, was natürlich bei Jung und Alt viel Heiterkeit hervorrief. Bald kam diese Masse in die Hände mehrerer Fabrikanten, und es wurde in kurzer Zeit ein großer Umsatz mit der fraglichen Waare erzielt. Leider überlebte indeß dieser Artikel kaum einen Sommer. In der Wärme fing die Masse an klebrig zu werden, ja sie löste sich bei höherer Temperatur bis zum völligen Schmelzen auf. Als nun gar an mehrere Kaufleute ganze Kisten mit solchen völlig zerflossenen elastischen Köpfen aus Südamerika und Mexico zurückkamen, da war den Guttaperchaartikeln das Todesurtheil gesprochen, und es wurde seit jener Zeit nie wieder ein Stück der fraglichen Art verfertigt.

Seit vielen Jahren werden bekanntlich in Spanien und durch Spanier auch in Mexico feinere, buntgemalte Figuren in gebranntem Thone hergestellt, welche den Vortheil gewähren, daß sich an den den Formen entnommenen Abdrücken leicht „nachschärfen“ oder nachhelfen läßt, was bei der Papiermachéfabrikation nicht der Fall ist. Diese sogenannten Terralithwaaren werden seit 1847 ebenfalls in Sonneberg fabricirt und sind seit einer Reihe von Jahren eine gesuchte Waare. Anfangs fertigte man hauptsächlich sogenannte Theaterfiguren, d. h. Costümfiguren der hervorragenden Rollen beliebter Theaterstücke an. Die erste Anregung zur Verfertigung von Terralithwaaren hat ebenfalls der schon genannte Zeichen- und Modellirlehrer Bandorf gegeben, unter dessen Einfluß sich überhaupt die Plastik der Sonneberger Spielwaaren wesentlich veredelte. Unter seinen Schülern nehmen Chr. Döbrich in Sonneberg und Ernst Dorn in Neustadt a. H. eine hervorragende Stelle ein; während der erstere die berühmten Pariser gebrannten Thoncaricaturen vortrefflich nachahmt und dieselben rohfarbig oder bunt zum fünften Theil des Preises der in Paris gefertigten höchst geistreichen Originale herstellt, gehen aus dem Etablissement von Ernst Dorn in Neustadt a. H. überaus schöne Terralith-Statuetten berühmter Männer hervor.

Die Figuren mit beweglichen Gliedern, wie z. B. die von Sonneberg aus in ungeheueren Massen über die ganze Erde verbreiteten Täuflinge, sind zuerst aus China nach Europa gekommen. Paris liefert für Sonneberg häufig Muster von mechanischen Spielwaaren; doch fehlt es auch in Sonneberg nicht an erfinderischen Köpfen. So ist beispielsweise die Bewegung der Augen in den mit Papa- und Mamastimmen versehenen Figuren Sonneberger Ursprungs. Diese Papa- und Mamastimmen hat Christoph Motschmann nach Sonneberg gebracht, und der Mechaniker Hensold nach Pariser Mustern zuerst nachgeahmt. Gegenwärtig werden die sogenannten Papa- und Mamastimmen, sowie diejenigen der Schafe, Ziegen, Haushähne, Kakadus, Hunde, Ochsen, Pferde etc. auf den umliegenden Dörfern so täuschend naturgetreu und zugleich so billig hergestellt, daß solche Stimmen jetzt sogar von den ursprünglichen Pariser Erfindern und Fabrikanten von Sonneberg bezogen werden. –

Die Holzschnitzerei des Meininger Oberlandes beschäftigt gegenwärtig gegen eintausendeinhundert Familien, welche, je nachdem sie große, sehr schönes astfreies und gut spaltbares Holz bedingende, oder kleinere Artikel fertigen, als Groß- und Kleinschnitzer unterschieden werden. Der Gesammtbetrag des jährlich von den Schnitzern verarbeiteten Holzes betrug in den zwanziger Jahren vier- bis fünfhundert Klaftern, während gegenwärtig mehr als fünftausend Klaftern jährlich erforderlich sind. Rohe für die Verpackung bestimmte Gegenstände und Behältnisse, wie Faßdauben, Packfässer und Packlisten, Schachteln, große in Sätzen, d. h. viele ineinander gesteckt, ferner mittlere oder sogenannte Nachtlichterschachteln, dann kleine, zur Aufnahme von Schwefelhölzern, Pillen, Wichse, Zuckerbäckerwaaren und dergleichen Dingen bestimmt – das Alles sind Gegenstände der Sonneberger Industrie. Ein großer Theil dieser Dinge wird in Sonneberg selbst verbraucht, doch wird nicht wenig davon auch nach anderen Industriebezirken versandt. Zu den Schachteln und Trommel-Läufen, welche man mit Hülfe eines Hobels äußerst schnell herstellt, muß das Holz im grünem Zustande verarbeitet werden. Auch die verschiedene, Kasten, wie Porcellan-, Griffel-, Farben-, Glasmärmel- und Schmierkästen, ferner die Bandbretchen, sowie runde und ovale Bandrollen, ferner die nach Köln gehenden Eau de Cologne-Kästchen sind hier mit zu erwähnen. Die Buchenspähne, 18“ lang und 1’ breit, wovon der Bund zu fünfzig Stück drei Kreuzer kostet, werden ebenfalls unter Anwendung eines dazu geeigneten Hobels in ungemein kurzer Zeit gewonnen, indeß sind bei dieser Manipulalion stets zwei Arbeiter erforderlich. Diese Spähne wandern zu verschiedener Verwendung in Essigfabriken, Spiegelfabriken und in Bierbrauereien, breitere auch in Schusterboutiquen und dienen hauptsächlich in Sonneberg gleichfalls zur Verpackung.

Eine weitere Abtheilung der Sonneberger Schnitzerartikel bilden die sogenannten Weißmacherarbeilen, d. h. Theile von Gegenständen, welche von anderen Fabrikanten unter Anwendung von Papiermaché, Leim, Farben und dergl. ihre Vollendung erhalten. Hier sind zu nennen: Bretchen in allen Größen, welche mit der sogenannten Spaltklinge hergestellt werden, ferner Kästchen zu Untergestellen, Pferde, Reiter, fahrend und auf Bogen stehend, Cabriolets, Ställe, Thierrümpfe und Beine, Arme und Hände zu Täuflingen, Rädchen, Bälge, Gliederpuppen und dergleichen. Endlich liefern die Kleinschnitzer auch eine lange Reihe von Artikeln, die als reine Spielwaaren sofort in den Handel kommen. Zu den seit alter Zeit gefertigten Gegenständen, die unter diese Rubrik fallen, zählen wir die kleinen Koffer (das Dutzend von zwölf Kreuzern an), die kleinen Lädchen (das Dutzend von drei und einem halben Kreuzer an), die Geigen (das Stück von vier Kreuzern an) die Schnurren (das Dutzend von vier Kreuzern an), und manch andere noch. Von den gedrechselten Gegenständen primitivster Art nennen wir die Pfeifen, Flöten (das Dutzend von drei Kreuzern an), Posthörnchen und Trompeten (das Dutzend von vier Kreuzern an), die Nußknacker, Puppenmöbel und Puppenstuben, Trommelschlägel, Kegelspiele und dergleichen. Die Drechsler liefern vielerlei Thiere und Figuren, welche auf klingenden Kästchen stehen. In Gruppen zusammengestellt oder in besondere Ordnungen gebracht geben diese Gegenstände viele neue Artikel; hierher gehören z. B die Caroussels. Selbstverständlich sind alle diese Dinge mit verschiedenen Farben bemalt.

Auch Orgeln werden in Sonneberg construirt; die kleineren welche fünf bis sechs Choräle oder beliebte Volksmelodien spielen dienen zum „Anlernen“ der Gimpel oder Dompfaffen, während größere Drehwerke vorzugsweise über Hamburg nach verschiedenen Colonien exportirt werden.

Die Zahl derjenigen Artikel, welche aus Holz in Verbindung mit Papiermaché gefertigt werden, ist überaus groß, namentlich giebt es außerordentlich viele meist angekleidete mechanische Spielwaaren; ebenso finden wir alle möglichen Thiere, welche beweglich sind, Stimmen haben und mit natürlichen Fellen überzogen sind. Sehr reichhaltig sind auch die Lager von Papiermachéfiguren für den Nipptisch. Wir sehen hier Figuren und Caricaturen von einem Zoll bis zu drei Fuß Höhe mit beweglichen Köpfen, mit beweglichen Augen und beweglichem Munde in Tausenden von Varietäten.

Was überhaupt in Sonneberg und zwanzig zum Theil starkbevölkerten Orten der Umgegend von etwa eintausend Arbeitern gefertigt wird, das zeigt uns der Mustersaal eines jeden größeren Sonneberger Handelshauses. Hier erblicken wir je ein Exemplar von zehn- bis zwölftausend verschiedenen Artikeln, die im vollsten Sinne des Wortes eine immerwährende Weltausstellung repräsentiren. Menschen aller Racen, aller Zonen, aller Zeiten stehen hier vor uns. Alle Stände sind vertreten vom Savoyardenbüblein bis zum Kaiser. Hier wohnt ein Friede, wie er sonst nirgends auf der Erde wieder gefunden wird: ruhig stehen nebeneinander der Deutsche und der Däne, der Pole und der Russe, der Unionist und der Conföderirte Amerikas. An der Seite eines Brahminen hüllt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 713. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_713.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)