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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Der Ernst dieser Maßregeln war dem Thal nicht verborgen geblieben und er wirkte so nachhaltig auf die Schaar der Flüchtlinge, daß wahrscheinlich nicht wenige die einzige noch militärfreie Seite, die nach Krain hin, zur Flucht benützten und von den übrigen keine Vertheidigung ihrer unüberwindlichen Räuberburg versucht wurde. Die Soldaten hatten überdies mit den Terrainschwierigkeiten schon hinlänglich zu kämpfen, ehe die furchtbaren Wälle hinter ihnen lagen.

Auch im Thale, nachdem Sulzbach und Heiligengeist stark besetzt waren, zeigte sich kein anderer Widerstand, als den die Natur den Haussuchungen und Streifzügen entgegensetzte. Mit Steigeisen ausgerüstet, zogen Gensd’armen und Soldaten zu diesen Expeditionen aus; die einzelnen, wie Schwalbennester an den Hängen klebenden Häuser sind oft in guter Jahreszeit schwer zugänglich, geschweige in dieser winterlichen Zeit; dennoch blieb nicht die kleinste Hütte undurchforscht und überall zerrte man angstschlotternde Resultate aus den Winkeln hervor. Gleichwohl erschien nach Verlauf der ersten Woche der Erfolg all dieser müh- und gefahrvollen Züge noch verhältnißmäßig ungenügend; man hatte einundneunzig Flüchtlinge, darunter dreiundfünfzig Militärpflichtige, in Gewahrsam gebracht. Kälte und Hunger wurden jedoch bald gute Verbündete der Soldaten, der aus Schluchten und Höhlen aufsteigende Rauch mußte der Verräther der dorthin Geflüchteten werden, und ehe die nächste Woche verging, hatte man noch einhundert fünfundsechszig Deserteure in Ketten und Banden gelegt, sechs längst steckbrieflich verfolgte schwere Verbrecher fand man in einer auf Monate verproviantirten und trefflich befestigten Höhle, aber auch sie ergaben sich, trotz ihrer starken Bewaffnung, jetzt ohne Widerstand. Andere Strolche und Ausweislose stellten sich freiwillig. So konnte denn zum guten Ende die stattliche Schaar von zweihundert sechsundfünfzig „freien Flüchtlingen“ unter ebenso stattlichem militärischen Geleite von dem romantischen Schauplatz ihrer nichtsnutzigen Romantik abziehen. Eine angemessene Besatzung blieb noch längere Zeit im Thale, um eine neue Ansammlung solcher Freien zu verhüten, und bis zum Herbst 1856, wo ich Untersteiermark verließ, ist kein Anzeichen irgend welcher Unsicherheit im Thale von Sulzbach öffentlich bekannt geworden.

Was die Männer von Sulzbach selbst zu dieser „Epuration“ ihres Thales sagen? Nichts, denn sie trauen Keinem, der ein „herrisches“ Gewand trägt, auch wenn er ihre wendische Sprache spricht; nur ein unwillkürliches Achselzucken läßt ihre Ansicht errathen, daß „die schönen Tage von Sulzbach“ vorüber seien.




Ausplaudereien aus der Apotheke.
3. Was gar nicht existirt – und doch verkauft wird.

Niemand kann es bestreiten, daß eine Apotheke die Heimstätte manigfachen Schwindels ist. Wenn ein anderer Kaufmann – und als solchen müssen wir den Apotheker doch immerhin betrachten – uns etwas Falsches oder Gefälschtes verabreicht, wie z.B. statt Rindsmarkpomade nur gefärbtes und parfümirtes Schweineschmalz, statt Klauenfett nur Baumöl giebt etc., so können wir dann ohne Zweifel gegen ihn klagbar werden, ihn wohl gar wegen Betrugs zur Rechenschaft ziehen lassen. Dies ist aber keineswegs mit dem Apotheker der Fall; er verkauft tagtäglich eine große Menge von Stoffen – die er gar nicht mehr in der Apotheke fuhrt, bei ihm ist der Schwindel also gleichsam ein gesetzlich privilegirter. Dies geschieht ganz einfach in der Weise, daß er die Käufer ausfragt: wozu, gegen welche Uebel sie dies oder jenes Mittel, das sie fordern, gebrauchen wollen, und ihnen dann nach eigenem Gutdünken oder meinetwegen nach seinen etwaigen medicinischen Kenntnissen etwas beliebiges Aehnliches, dahin Wirkendes, nicht etwa als Ersatz dafür, sondern als das Erlangte selbst verabreicht.

Treten wir in eine Apotheke, um dies Geschäft einmal in seiner Wirklichkeit zu betrachten. Es versteht sich von selbst, daß wir hier nicht von jeder Apotheke ohne Ausnahme sprechen können – allein in wie vielen Apotheken diese Art von Geschäft alltäglich vor sich geht, davon können sich die Leser leicht selbst überzeugen.

Ein altes Mütterchen wünscht Aalbeeren oder Aalbesinge; sie braut daraus ein Wundertränklein gegen Gicht, Gliederreißen und dergleichen. Man hielt früher die sogenannten schwarzen Johannisbeeren (Ribes nigrum Lin.) in den Apotheken, welche außer mit den beiden obigen Namen auch noch als Ahl- oder Gichtbeeren vielfach gekauft wurden. Jetzt ist man aufgeklärter geworden; man weiß, daß die (übrigens ekelhaft nach Wanzen riechenden) schwarzen Johannisbeeren ein unwirksames, mindestens überflüssiges Arzneimittel sind, und hat sie daher längst aus den Apotheken verbannt. Allein verabreichen, verkaufen muß man die Aalbesinge doch, wie würde es sonst um das Vertrauen des Publicums aussehen?! – Man giebt daher getrocknete Blau- oder Fliederbeeren. Die alte Frau kennt und schätzt ihre geliebten, „wunderwirkenden“ Aalbeeren viel zu sehr, um den ihr gespielten Betrug nicht zu merken, allein was soll sie machen? Sie schleicht seufzend davon, seufzend und murrend darüber, daß man jetzt auch beinahe nichts mehr „echt“ in den Apotheken bekommen kann.

In dieser Weise wollen wir jetzt das Verzeichnis vieler Volksheilmittel einmal durchnehmen, um die Leser vor den Selbst- und fremden Täuschungen in Betreff einer großen Menge von sogenannten Arzneien warnen zu können. Alle die sogenannten „obsoleten“, d.h. veralteten und in den gesetzlichen Arzneimittellehren bereits gestrichenen, aber doch noch zum Verkauf in den Apotheken vorräthig gehaltenen Gegenstände, lassen wir vorläufig bei Seite; wir gehen nur auf die näher ein, welche in Wirklichkeit nicht mehr existiren, also von vornherein fälschlich verkauft werden. Uebrigens ist die Uebervortheilung armer und unwissender Leute hierin viel bedeutender, als man für gewöhnlich annehmen mag. Eine Tabelle alles Dessen, was gar nicht vorhanden ist und doch alltäglich und allstündlich, und nicht blos von den dümmsten und unwissendsten, sondern leider auch noch oft genug von den sogenannten gebildeten Leuten für schweres Geld eingekauft wird, sollte daher eigentlich in jeder Dorfschuule, in jedem Gasthofe, ja in jeder Schul- und Familienstube zur Warnung ausgehängt werden.[1]

Jener curiose Liebhaber wünscht Apfelblüthen (zum blutreinigenden Thee); er erhält dafür weiße Akazien-, oder rothe Granatblüthen. Man muß zugestehen, daß der Apotheker hiermit in der That ein Opfer bringt, indem er diese beiden, ebenfalls längst obsoleten Blüthen noch vorräthig hält – wenn er nämlich statt dieser Ersatzmittel nicht etwa noch andere, billigere Ersatzmittelchen anzuwenden weiß. Als Alfrankenschalen giebt’s zerkleinerte Pomeranzenschalen, als „Allerlei Gewürz“ meistens blos gröblich zerstoßene Englischgewürzkörner. Dann verlangt Jemand Anisschwamm, als welcher ihm Lärchenschwamm oder wohl gar ein etwas angedufteter Feuerschwamm verabreicht wird. Er braucht ihn gegen Brustbeschwerden – nun, wohl bekomm’s! Apfelsalbe hält man jedenfalls für eine recht milde, aus Apfelsaft oder Apfelmus bereitete Einreibung; jawohl, man empfängt gewöhnliche Wachs- oder sogenannte Rosensalbe, unter Umständen auch wohl bloßes, gelblichgefärbtes Schweineschmalz.

Attichwurzel wird auch unter dem Namen Cermelwurzel gefordert und gegen Harn- und andere Beschwerden gebraucht; früher hielt man für die zahlreichen Liebhaber wirklich die Wurzel dieses Flieders vorräthig, jetzt giebt man statt dessen die Eberwurz – Carlina – oder auch wohl beliebiges anderes Wurzelwerk. Es wird Augenthee gefordert und Huflattichblätter – Farfara – werden verabfolgt; inwiefern die Wirkung dieses sehr dienlichen Husten- und Brustbeschwerden-Heilmittels sich auch auf die Leiden des Auges erstrecken kann, darüber wagen wir kein Urtheil abzugeben. Als Bachbungen verabreichte man früher in Wirklichkeit jenen bekannten Ehrenpreis – Veronica Beccabunga –; jetzt werden sie noch wohl verkauft, doch niemals mehr eingesammelt. Auch Bärenklau und Bärenkraut hatte man früher als ein wirkliches Etwas in den Apotheken; jetzt giebt man statt ihrer, sowie auf die Namen Buchsbaum-, Buxbaum-, Sandbeer-, Preißel- auch Breißelbeerblätter und -Kraut ganz einfach Bärentraubenblätter – Uva ursi – oder auch beliebiges anderes Kraut- und Blätterwerk. Baummoos könnten sich die Leute wohl selbst einsammeln, wenn sie’s durchaus als Arznei gebrauchen wollen; allein sie müssen es ja aus der Apotheke holen und erhalten dort irgend ein handliches


  1. Möge vorläufig die „Gartenlaube“ diesen Zweck erfüllen!
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_746.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)