Seite:Die Gartenlaube (1866) 114.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Wie kalt klang ihre Stimme, als sie dies sagte! Auch nicht der leiseste Anflug von Freude war in den verweinten Zügen zu entdecken; aus den sonst so sanften Rehaugen sprachen unverhohlen Groll und Bitterkeit.

Elisabeth bückte sich schweigend und hob ein prachtvolles Camellienbouquet auf, das halb verschmachtet am Boden lag.

„Ach ja“ sagte Helene und richtete sich empor, während ein schwaches Roth über ihr Gesicht flog, „das ist der heutige Morgengruß meines Bruders; es ist vom Tisch herabgefallen und vergessen worden … Bitte, stecken Sie es dort in die Vase.“

„Die armen Blüthen,“ sagte Elisabeth halblaut, indem sie die welken braunen Ränder an den weißen Blumenblättern betrachtete, „sie haben auch nicht geahnt, als sie ihre Knospe öffneten, daß sie in einer so kalten Region würden athmen müssen.“

Helene blickte betroffen und forschend zu dem jungen Mädchen auf und ihr Auge sah einen Moment aus, als schmelze es in Reue. „Stellen Sie die Blumen in das offene Fenster; dort haben sie Luft und die wird ihnen gut thun,“ flüsterte sie hastig. „O, mein Gott!“ rief sie, in das Polster zurücksinkend. „Er ist ja gewiß ein vortrefflicher Mensch … aber sein Erscheinen zerreißt die Harmonie eines beglückenden Zusammenlebens!“

Elisabeth sah mit einem fast ungläubigen Ausdruck auf die junge Dame, wie sie so dalag, die gerungenen Hände emporgehoben und die starren Augen nach der Zimmerdecke gerichtet, als habe ihr das Geschick die furchtbarste Prüfung auferlegt … Fehlte dem jungen Mädchen schon gestern jegliches Verständniß für Helenens Handlungsweise, so stand es jetzt geradezu fassungslos vor diesem unbegreiflichen Charakter … Wo war so urplötzlich jenes heiße Dankgefühl geblieben, das aus jedem Worte sprach, sobald Helene des fernen Bruders gedachte? Hatte ein einziger Moment die ganze schwesterliche Zärtlichkeit, die ihr Herz zu erfüllen schien, spurlos verflüchtigen können, so daß sie jetzt beklagte, was nach ihren früheren Aeußerungen doch ein glückliches Ereigniß für sie sein mußte? … Und wenn auch der Heimgekehrte nicht mit dem Kreis sympathisirte, in welchem sie sich allein beglückt fühlte, selbst wenn er ihre liebsten Wünsche durchkreuzte, war es trotzdem möglich, daß sofort Kälte und Groll zwischen zwei Wesen treten konnten, die das Geschick eng aneinander gekettet hatte und die sich um so inniger angehören mußten, als das eine so schutzbedürftig war und das andere so allein stand in der Welt? … Elisabeth fühlte plötzlich ein tiefes Erbarmen für den Mann, der ferne Meere durchschifft, fremde Länder einsam durchstreift hatte und nun nach langem Umherirren blos als störendes Element am eigenen Heerd begrüßt wurde. Allem Anschein nach hatte er nur den einen warmen Punkt, die Liebe zu der Schwester, in seinem stolzen Herzen; wie tief mußte es ihn dann verwunden, daß gerade sie kein freundliches Willkommen für ihn hatte und ihr Herz kalt von ihm abwandte!

In dem Augenblicke wurde die Thür heftig aufgestoßen, und eine weibliche Gestalt erschien auf der Schwelle. Es kostete Elisabeth Mühe, sich zu überzeugen, daß diese Erscheinung in äußerst vernachlässigter Toilette und alle Zeichen großer Aufregung an sich tragend die Baronin Lessen war. Das spärliche, sonst stets mit fast peinlicher Sorgfalt geordnete Haar fiel aus einer Morgenhaube auf die Stirn, die, gewöhnlich so blaß und elfenbeinartig, jetzt eine dunkle Röthe überflammte. Aus den Augen war das stereotype, stolze Selbstbewußtsein gewichen, und wie unbedeutend erschienen sie jetzt, als sie scheu und erschreckt in das Zimmer blickten!

„Ach, Helene!“ rief sie angstvoll, ohne Elisabeth zu bemerken und mit ungewohnt raschen Schritten ihre corpulente Gestalt vorwärts bewegend, „Rudolph hat soeben den unglücklichen Linke auf sein Zimmer befohlen … Er wüthet und tobt so laut gegen den armen Menschen, daß es über den Hof bis in mein Schlafzimmer schallt … Gott, ich fühle mich ja so elend … der heutige Morgen hat mich so angegriffen, daß ich mich kaum auf den Füßen halten kann; aber ich konnte diese Ungerechtigkeiten nicht länger mit anhören und flüchtete hierher … Und diese feilen Seelen, diese Dienerschaft, die während Rudolph’s Abwesenheit nicht mit den Augen zu blinzeln gewagt, da steht sie frech unter den Fenstern und belacht schadenfroh das Unglück, das über einen treuen Diener hereinbricht … Es stürzt Alles zusammen, was ich mühsam im Dienste des Herrn und zum Heil des Hauses aufgerichtet habe. … Und daß Emil gerade in Odenberg sein muß! … Wie beklagenswerth und verlassen sind wir, theure Helene!“

Sie schlang ihre Arme um den Hals der jungen Dame, die sich bestürzt und leichenblaß erhoben hatte. Diesen Moment benutzte Elisabeth, um aus dem Zimmer zu schlüpfen.

Als sie den Corridor betrat, der in das Vestibül mündete, schallte ihr lautes Sprechen entgegen. Es war eine tiefe, klangreiche Männerstimme, welche sich dann und wann in heftiger Erregung steigerte, nie aber, selbst nicht im höchsten Affect, eine Spur von Schärfe annahm. Obwohl sie kein Wort verstehen konnte, so bebte sie doch schon allein bei dem Klang der Stimme, es lag etwas Unerbittliches, Eisernes in der Art und Weise, wie die einzelnen Sätze markirt wurden.

Der Schall in dem langen Corridor täuschte. Elisabeth wußte nicht, von welcher Seite die Stimme kam, und lief deshalb vorwärts, um schnell in’s Freie gelangen zu können. Aber schon nach wenig Schritten hörte sie, als stände sie neben dem Sprechenden, die Worte: „Sie verlassen Lindhof bis morgen Abend.“

„Gnädiger Herr –“ wurde geantwortet.

„Es war mein letztes Wort, gehen Sie!“ klang es gebieterisch, und in demselben Augenblick sah sich Elisabeth zu ihrem Schrecken neben einer weit offenen Flügelthür. Eine hohe Männergestalt stand, die linke Hand auf den Rücken gelegt und mit der rechten auf die Thür zeigend, mitten im Zimmer. Ein Paar sprühende, dunkle Augen begegneten ihrem Blick, den sie tief betroffen abwandte, indem sie schnell nach dem Vestibüle und hinaus in den Garten eilte … Ihr war, als verfolge sie dieser Blick, aus dem eine empörte Seele flammte, und treibe sie rastlos weiter.

Als die Familie Ferber beim Abendbrod zusammensaß, erzählte der Vater lebhaft angeregt, daß er heute im Forsthause die Bekanntschaft des Herrn von Walde gemacht habe.

„Nun, und wie hat er Dir gefallen?“ fragte seine Frau.

„Ja, das ist eine Frage, liebes Kind, die ich Dir vielleicht erst in einem Jahr beantworten könnte, vorausgesetzt, daß ich täglich Gelegenheit hätte, mit dem Gutsherrn zu verkehren, und da fragte es sich noch sehr, ob ich wirklich im Stande sein würde, ein Endurtheil zusammenzufassen … Mir ist der Mann dadurch interessant geworden, daß man fortwährend angeregt wird, darüber nachzudenken, ob er das wirklich ist, was er scheint, nämlich eine völlig kalte, leidenschaftslose Natur … Er kam zu meinem Bruder, um Näheres über den Vorfall zwischen seinem Verwalter und der armen Taglöhnerswittwe zu hören, weil man ihm irriger Weise gesagt hatte, daß Sabine die Mißhandlung selbst mit angesehen hätte. Sie wurde hereingerufen und mußte erzählen, wie sie die Schneider gefunden habe. Er fragte nach dem kleinsten Umstand, aber immer kurz, bestimmt. Welchen Eindruck Sabinens Bericht ihm machte, darüber blieb man völlig im Dunkeln, so undurchdringlich war sein Blick; nicht die leiseste Bewegung in seinen Zügen verrieth die Richtung seiner Gedanken … Er kommt direct aus Spanien. Aus den wenigen Aeußerungen, zu denen er sich herbeiließ, konnte man entnehmen, daß ihm brieflich durch irgend einen Freund das Unwesen auf seinem Gut mitgetheilt worden war, worauf er sofort die Rückreise nach Thüringen angetreten hatte.“

„Und seine äußere Erscheinung?“ fragte Frau Ferber.

„Gefällt mir, obgleich mir so viel Zurückweisung und Unnahbarkeit in Haltung und Bewegungen fast noch nie bei einem Menschen vorgekommen ist. Ich begreife vollkommen, daß man ihn für unbegrenzt hochmüthig hält, und doch kann ich mir andererseits wieder nicht einreden, daß hinter den merkwürdig geistvollen Gesichtszügen ein so thörichter Wahn Grund und Boden habe. Sein Gesicht hat stets den Ausdruck kalter Ruhe, dessen ich gedachte; nur zwischen den Augenbrauen liegt ein, ich mochte sagen, unbewachter Zug; der flüchtige Beobachter würde ihn höchst wahrscheinlich finster nennen, ich aber finde ihn melancholisch, schwermütig.“

Elisabeth hörte dieser Schilderung nachdenklich zu. Sie hatte bereits die Erfahrung gemacht, daß jene kalte Ruhe auf Momente bedeutend aus dem Geleise weichen konnte, und erzählte dem Vater die Scene, deren Zeugin sie gewesen war.


8.

Kaum eine Woche war seit jenem Abend vergangen. Diese wenigen Tage aber hatten einen gewaltigen Umschwung im Lindhofer Schlosse hervorgebracht, wie man hörte. Der entlassene Verwalter war bereits durch einen neuen ersetzt, dem jedoch sehr

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_114.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)