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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Wenn,“ sagte er dann, „ich Prinzessin Sidonie meinem Hofe als meine Braut vorstellen dürfte!“

Sie zog erschrocken und beunruhigt die Hand zurück.

„Um Gotteswillen, nach diesem Schritte, den ich bei Ihnen gethan, kann ich nie mehr die Ihre werden, das müssen Sie begreifen, nein! Und nun ein letztes Wort. Sie sehen, Sie sind von Herder’s Empfindlichkeit, von seinem Zorn, von seinem Verlangen sich zu rächen bedroht. Sein Ehrgeiz ist auf’s Aeußerste verletzt. Nicht allein die Könige, auch die Schriftsteller haben lange Arme. Nun wohl, wenn Sie jetzt augenblicklich gehen, Graf, und zur Jagd ausziehen, so verspreche ich Ihnen dagegen, Herder vollständig beruhigen und mit Ihnen aussöhnen zu wollen … vollständig! Ich werde mich darauf nach Eilsen zurückbegeben. Und nun fort, Graf, gehen Sie. Adieu, Adieu!“

„Wer kann da anders, als gehorchen, wenn solch’ ein stolzer Mund gebietet?“ versetzte der Graf, „ich gehe, aber auf kurze Zeit nur trennen wir uns, Sidonie. Noch an diesem Abende werde ich Sie in Eilsen wiedersehen und Sie das grausame Wort widerrufen lassen, das Sie eben sprachen.“

Sie lächelte, sie erlaubte ihm gnädig, ihre beiden Hände zu küssen, und dann ging er.

„Senden Sie mir Herder!“ rief sie ihm nach.

(Schluß folgt.)




Der Entenfang auf Sylt.


Wir erwachten zum ersten Male auf Sylt, wir, d. h. eine kleine Jagdgesellschaft, welche die im Herbst dort hausenden Unmassen von Vögeln von Hamburg aus zu einem Streifzuge nach dem friesischen Eilande gelockt hatten. Auf das Herrlichste glänzten die Strahlen der aufsteigenden Sonne im Wattenmeere wider und wir eilten, uns nach der Südspitze der Insel zu begeben, welche heute den Schauplatz unserer Waidmannsthaten bilden sollte.

Hier betraten wir zuerst die öden Dünen, die sandigen Hügelketten, welche uns in ihrer eigenthümlichen Schönheit, wie ein Reisender sehr richtig sagt, trotz ihrer Kleinheit und ihres lockeren, beweglichen Inhalts an die Schweizer Alpen erinnern, mit denen sie besonders hinsichtlich der Formen und Farben manche Aehnlichkeit zeigen. Grabesstille bedeckt die Berge und Schluchten dieser Sandwelt, kein lebendes Wesen treffen wir hier an, kein Geräusch stört die Ruhe dieser Einöde, und nur von fern her dringen der Ruf einer Möve und das Brausen der Brandung zu unsern Ohren; nur dumpf hallt der von uns abgefeuerte Schuß von den locker zusammengefügten sandigen Hügelabfällen wieder: alles Leben scheint hier erstorben zu sein, und selbst die Spuren unserer Fußtritte verrathen nicht lange, daß hier ein Wanderer geweilt, denn gar bald sind sie von dem Winde verweht. Das einzige Grün, auf welchem unser Auge ausruhen kann, nachdem es ermüdet worden ist durch die im Sonnenstrahl glänzende weiße Sandmasse, bietet uns der dürftige Sandhafer dar.

Der düstere Eindruck, welchen diese Einöde unwillkürlich auf uns macht, wird jedoch gemildert, wenn wir unsere Blicke weiter schweifen lassen. Nach Osten hin überschauen wir das schmale, stille Wattenmeer, dessen flache Sandbänke nur wenig hervortreten und, in dunklen Farben schillernd, von dem blauen Meeresspiegel abstechen, während am Horizont Wasser und Himmel ineinander verschwimmen, sodaß Eines von dem Andern nicht zu unterscheiden ist. Westlich braust die freie, offene Nordsee und erglänzt im Wiederschein der untergehenden Sonne in allen matten Regenbogenfarben, bis sich der strahlenlose Sonnenkörper unsern Augen entzieht und das Meer von den zartesten Tinten nur noch angehaucht zu sein scheint. Wenn aber der Sturm über diese Flächen dahinsaust, dann erregt er nicht blos das schäumende Meer, sondern wirbelt auch den lockeren Dünensand hoch auf. Zwei in den brennendsten Farben glänzende, fast blendende Regenbogen spannten sich während des Sturmes, den zu beobachten wir Gelegenheit hatten, über den tiefschwarzen Himmel, mit welchem sich die aufgeregte Wassermasse vereinigen zu wollen schien. Woge auf Woge wälzte sich mit riesiger Schnelle heran, eine stürzte sich mit ihrem Schaumkopf über die andere, als ob sie nicht schnell genug den Strand in ihrem Strudel begraben könnten, bis sie sich endlich mit donnerndem Gedröhn am Lande brachen und uns mit ihrem weißen Salzschaum, welcher die ganze Luft erfüllte, benetzten. Bei solchen Sturmfluthen schützten nur die sandigen Dünen die Insel vor gänzlicher Ueberschwemmung; solche Sturmfluthen aber werden nach Ansicht der Bewohner doch noch einmal das ganze Eiland verschlingen, wie sie einzelne Theile desselben schon verschlungen haben.

So öde die schützenden Dünen sind, so belebt ist der Strand der Ostküste. Von dem hier herrschenden Leben und Treiben macht sich schwerlich Jemand einen Begriff, der dasselbe im Herbst nicht beobachtet hat. Die während dieser Jahreszeit hier lebenden Vögel können nicht nach Hunderttausenden, sondern nur nach Millionen geschätzt werden. Die fünf Meilen lange Küste ist auf wohl zehn Minuten Entfernung vom Lande mit unzähligen Massen von Enten und Gänsen besetzt, deren Gequak und Geschnatter, besonders des Abends, weithin vernehmbar ist. Wir haben uns öfters das Vergnügen gemacht, am Strande unsere Gewehre abzufeuern, um die Vögel aufzuscheuchen. Mit einem Geräusch, welches nur mit dem Sausen eines plötzlich sich erhebenden heftigen Windstoßes verglichen werden kann, erhob sich eine gewaltige Wolke von Vögeln, welche selbst in dieser Entfernung scheinbar noch einen Raum, wie das Alsterbassin in Hamburg, einnahm, und dennoch war zwischen diesen gewaltigen Vogelmassen nicht eine einzige Lücke zu bemerken, sie saßen noch ebenso dicht, wie vorher. Und trotz dieser Unmenge ist es doch kaum möglich, Enten und Gänse zu jagen, weil sie, allzu scheu und vorsichtig, sich nur äußerst selten dem Lande auf Schußweite nähern und außerdem noch durch den Schlick des Strandes geschützt sind, welcher es unmöglich macht, sich schußgerecht zu nähern, selbst wenn man es darauf ankommen läßt, sich bis an die Brust in’s Wasser zu begeben.

Wir hatten gleich am ersten Tage Gelegenheit, diese trügerische Schlickmasse mehr als genügend kennen zu lernen. Von verschiedenen Seiten waren wir ernstlich davor gewarnt worden, uns ohne Führer zu weit in’s Meer hinein zu wagen; was bedurfte es mehr, um uns zu dem Versuch zu veranlassen, uns wenn irgend möglich an die lockende Jagdbeute heranzuschleichen? Kaum aber hatten wir uns auf etwa hundert Schritt vom trockenen Land entfernt, in eine Tiefe, in welcher uns das Wasser kaum bis an die Waden reichte, als der Maler unserer Partie, der Zeichner der beigegebenen Abbildung, welcher die Spitze des Zuges bildete, plötzlich Halt machte. In der Meinung, daß er vielleicht ein besonderes Wild, vielleicht gar einen Seehund, entdeckt habe, folgten wir seinem Beispiele und standen wie angewurzelt, die Flinte fest angedrückt und den Finger am Hahn, jeden Augenblick zum Schuß bereit. Die Bewegungen des Künstlers belehrten uns aber bald eines Besseren. Er war in den Schlick gerathen und sank tiefer und tiefer ein, bis ihm endlich das Wasser bis an die Brust stand. Die Lage war für uns kritisch genug, aber trotz alledem brachen wir Andern doch in ein helles Gelächter aus, denn mit krampfhaft über dem Kopf gehaltenem Gewehr glich der Arme mit seinem grauen Ueberrock in der drolligsten Aehnlichkeit einer alten abgestorbenen Weide, deren einzig übrig gebliebener Ast als Wahrzeichen vergangener besserer Tage in die Luft hinausragt. Glücklicherweise waren wir in eine der minder tiefen und deshalb weniger gefährlichen Stellen gerathen, und so kam der eingesunkene Maler noch mit einem nicht gerade reinlichen Schwimmbad und unserm spöttischen Hohngelächter davon.

Außer den Enten und Gänsen ist der Strand aber auch von Hunderttausenden anderer Vögel bewohnt, deren Leben und Treiben zu beobachten das größte Vergnügen gewährt. Das Hin- und Herfliegen, Laufen und Schwimmen, das Rufen und Locken der verschiedenen Arten, das gellende Geschrei der alten und der eben erst flügge gewordenen jungen Möven, welche spielend die Luft durchschneiden und uns ihre herrlich schimmernde, weiße Brust in den verschiedensten Drehungen und Wendungen zukehren; der helle, wie kihwitt klingende Ruf der reizenden, rothschnäbligen Austernfischer, sowie das eigenthümlich sanfte, melancholische „Tüit“ der kleinen Strandläufer – all dieses lebendige und geschäftige Treiben am

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_124.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)