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Von einem politischen Charakter, einer Verbindung der Bande mit Rom und dem Exkönig von Neapel hat Moens nichts entdecken können. Unbedingt floß kein Pfennig seines Lösegeldes, weder nach Rom noch in die Provinz Salerno, denn er sah mit eigenen Augen, wie die Beträge der verschiedenen Lösegeldraten jedesmal unter die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft vertheilt wurden. Wohl, aber erzählte man ihm, daß in Apulien, wo das Räuberthum in höchster Blüthe steht, ein Räubergeneral Namens Crocco hause, der weit über tausend Mann und viele Unteranführer befehlige und in engen Beziehungen zu Franz dem Zweiten stehe. Indessen verhehlten auch Moens’ zeitweilige Herren nicht, daß ihnen Bomba Sohn mehr an’s Herz gewachsen war, als Victor Emanuel. „Denn,“ meinte einmal Manzo, der Hauptmann der Bande, „wenn wir den König Galantuomo fingen, so würden wir uns erst ein Lösegeld von hunderttausend Ducaten von ihm geben lassen und dann – ihn niedermachen. Fiele aber Franz der Zweite in unsere Hände, – ihn regalirten wir mit dem herrlichsten Schmause, den wir anrichten könnten, und ließen ihn dann frei.“

Eine Hand voll Mais war die tägliche schmale Kost der Bande und ein Stück Supersato, eine magere, unschmackhafte Wurst, galt als großer Leckerbissen. Zähes Ziegenfleisch oder ein spärlicher Lammbraten bezeichneten Tage hoher Feste. Es gab Wochen, wo man buchstäblich Hunger litt, wo auch Moens froh war, wenn er sich an rohen Zwiebeln, an Kohlhäuptern, hartem, schimmeligem Brode und sogar an dem ranzigen Fette laben konnte, das sonst zum Wichsen des Schuhwerkes dient.

Der Hauptmann selbst, Manzo, näherte sich schon etwas mehr dem Räuberideal, wie es der jugendlichen Phantasie vorzuschweben pflegt. Er war ein bildhübscher Mann von angenehmen Umgangsformen, entschlossen, pünktlich und in seiner Art großmüthig, gegen den Gefangenen aber stets mild und menschlich, wenn ihn nicht, was hin und wieder vorkam, eine fehlgeschlagene Unternehmung oder das nicht prompte Eingehen einer Lösegeldrate in Zorn versetzte. Dann gab es freilich wilde Scenen, in denen die Drohungen mit Kopf- und Ohrenabschneiden den stehenden Refrain bildeten. Auch hierbei verließ unsern Briten jedoch seine Kaltblütigkeit nicht. „Ganz, wie Ihr wollt,“ antwortete er, und so ging allmählich der Sturm ohne üble Folgen vorüber.

Seiner Bande gegenüber war Manzo absoluter Dictator, der stricten Gehorsam forderte. Eines Tages war einer seiner Leute, ein ehemaliger italienischer Soldat, welchen lediglich die Angst vor einer ihm wegen Insubordination zuerkannten Strafe in die Reihen der Räuber geführt hatte, mit einem Cameraden in Streit gerathen und begann reichlichen Gebrauch von seinen Fäusten zu machen. Manzo gebot ihm Ruhe und da der Bursche nicht auf der Stelle gehorchte, so stürzte er auf ihn los, schlug ihn nieder, trat auf ihn und schleifte sein Gesicht so lange auf den Felsblöcken des Bodens hin und her, bis es zu einer unbestimmten blutigen Masse geworden war und selbst das Zahnfleisch in Fetzen herumhing. In solchen Momenten sah Manzo wie ein leibhaftiger Teufel aus, die Oberlippe aufgeworfen, die weißen Zähne fletschend und mehr brüllend als sprechend. Trotzdem hing die Bande mit wahrer Liebe an ihrem Hauptmann, der sich allezeit durchaus selbstlos zeigte, wenn es an das Vertheilen von Nahrung und Beute ging, und gar manchmal seinen eigenen Antheil den Andern preisgab.

Die schlimmsten Tage hatte Moens zu überstehen, wenn die übrige Gesellschaft auf Raub auszog und er unter der Obhut seiner schon oben genannten Peiniger Pepino und Scope allein zurückbleiben mußte. Namentlich erwies sich Pepino, der gern seine höhere Würde geltend machte, als grausamer Tyrann und quälte ihn auf die kleinlichste und raffinirteste Weise. Tage lang gab er ihm kaum ein Stück Brod zu essen, stahl ihm, was er an kleinen Habseligkeiten noch bei sich hatte, behandelte ihn auf das Brutalste und drohte ihm ohne Unterlaß mit Revolver und Dolch. Eine Hauptergötzlichkeit Pepino’s pflegte zu sein, den Engländer zur Zielscheibe seines Messers zu erwählen. Moens mußte die Arme ausbreiten und nun schleuderte jener sein langes Stilet zwischen Arm und Leib seines Gefangenen hindurch nach der Steinwand der Höhle. „Niemals ließ ich die mindeste Furcht blicken,“ sagt Moens, „vielmehr entgegnete ich gelassen, es sei ja weiter nichts, zu sterben; die Sache gehe rasch vorüber und in der andern Welt erwarten uns viel köstlichere Freuden. Die Kerle hatten die entsetzlichste Angst vor dem Tode, und meine Unerschrockenheit, mein Spott über ihre Feigheit imponirten ihnen schließlich so, daß sie später nur selten noch auf ihre alten Drohungen verfielen. Man mußte ihnen bei jeder Gelegenheit zeigen, daß man sich aus ihren Quälereien nichts machte, und unter Umständen sich selbst thätlich Autorität zu verschaffen suchen. So zogen wir an einem heißen Tage einmal in Reih’ und Glied einen steilen Berg hinan. Plötzlich kam es meinem Hintermann in den Sinn, daß ich nicht geschwind genug marschire, obwohl ich meinem Vordermann hart an den Fersen nachschritt. Wüthend begann der Mensch mich mit dem Kolben seines Gewehrs zu stoßen, manchmal auch mit dem Lauf zu bearbeiten: Eine Weile ließ ich mir das Ding ruhig gefallen, endlich aber drehte ich mich, wie im höchsten Zorn, herum und schwang meinen Stock mit beiden Händen über seinem Kopfe. Verblüfft trat er zurück, hob aber dann mit wildem Fluche seine Flinte an den Backen und wollte auf mich anschlagen. Rechtzeitig packte ich ihn am Arme; da stürmten zwei Andere auf mich los und ihrem Cameraden zu Hülfe. Ohne eine Miene zu verziehen – wenngleich mir nicht eben wohl zu Muthe war – sprach ich: ‚Schießt mich nur immer todt, je eher, je lieber, an einem Leben unter Lumpen, wie Ihr es seid, liegt mir ohnehin nichts!‘ – und auf der Stelle ließen mich die Burschen los und gehen und marschiren, wie ich wollte und konnte. Keiner sagte mehr ein Wort, und von Stunde an konnte ich sehen, welchen Eindruck ihnen meine Todesverachtung gemacht hatte. Als wir an unserm Rastorte anlangten, wurde die Heldenthat des Gefangenen, der den Muth gehabt hatte, einem Banditen zu drohen, augenblicklich den Andern erzählt und den ganzen Abend hindurch blieb ich am Lagerfeuer der Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit und Achtung.“

Diese Lagerfeuer auf den Bergen haben in der That etwas Malerisches, und wenn sich die Bande im Kreise um sie niederstreckte, erschien der einzige Moment ihres Lebens, der etwas wie Romantik aussah. Sonst war auch ihre äußere Erscheinung nichts weniger als romantisch. Ihr Costum, gar nicht übel, so lange es neu und sauber, ist bald nichts mehr als ein Ensemble von Lumpen und Flecken, unvollständig und kläglich; ein Stück ist auf rascher Flucht verloren gegangen, ein anderes einmal einem Bauerlieferanten zu vorläufigem Pfande gegeben, ein drittes den Carabiniers in die Hände gefallen. Der Putz, welchen der Brigant besitzt und liebt, buntseidene Halstücher und Schärpen, Ketten und Ringe, kommt nur bei außerordentlichen Gelegenheiten zum Vorschein und blos dann, wenn die Luft rein und keine Verfolgung zu fürchten ist. Solche glückliche Zeiten treten selten ein; die Sorge um das tägliche Brod läßt dem Räuber frohe Feststimmung und heitern Müßiggang mit Lust und Gelag wenig aufkommen. Abends aber, rund um die Flammen des Wachfeuers, wird der ganze Salvator Rosa wieder lebendig. In allen möglichen Attituden umgeben die braunen Gesellen den lohenden Holzstoß, ihre Büchsen in den Händen, ihre wilden Gesichter von der Gluth erhellt, während die Schildwache, eingehüllt in ihre weite Capuze, im Schatten der grotesken Felsblöcke und zwischen den finsteren Bäumen des Waldes schweigend auf- und abschreitet und auf die pittoreske Scene die Sterne vom tiefblauen italienischen Nachthimmel herniederglänzen. Auf eine kurze Weile und notabene aus der gehörigen Entfernung als Bild geschaut, ist das Ganze packend genug und voller prächtiger Motive für Maler und Dichter, – damit erschöpft sich aber auch das Interesse vollauf.

Manzo’s Bande und die unter Pepino Cerino’s Specialbefehl stehende Abtheilung derselben trugen jede verschiedene Uniform beide – d. h. immer so lange sie neu waren – sahen recht respectabel aus und waren zweckmäßig und einfach, mit minderem Flitterstaat behangen, als man sich Brigantencostüme vorzustellen pflegt. Manzo’s Mannen hatten lange Jacken von starkem, gelbbraunem Tuche, mit einem merkwürdigen Systeme von Taschen ausgerüstet, namentlich mit einer förmlichen Zaubertasche hinten im Schooße. Ein Paar Beinkleider, zwei Hemden, drei bis vier Pfund Brod, ein großes Stück unappetitlichen Specks, einen Käse und noch unterschiedliche andere größere und kleinere Dinge, das Alles sah Moens, gelegentlich einer Haussuchung nach einem vermißten Artikel, eines nach dem andern aus einer einzigen dieser Wundertaschen an’s Tageslicht fördern. Die dunkelblaue Weste war auf der Seite zusammengehäkelt, in der Mitte aber mit einer Reihe funkelnder, vergoldeter Knöpfe geschmückt und gleichfalls mit mehreren praktischen Taschen ausgestattet. Die beiden unteren beherbergten Patronen, Kugeln, Schießpulver, Messer und ähnliche harmlose Räuberunentbehrlichkeiten; zwei obere bargen Uhr und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_138.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)