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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

die Schwester, die er zärtlich liebt, hat ihm ja erklärt, daß sie im Umgang mit dieser Frau das Herbe und Freudenlose ihres Daseins vergißt. Auch sein Vetter ist ihm ein ungebetener Gast ... Herr von Walde ist eine viel zu gerade Natur, als daß es ihm glücken sollte, seine Abneigung zu verbergen, und doch sind diese Menschen wie von Stahl und Eisen; die wenig rücksichtsvolle Behandlung des Hausherrn gleitet vollständig an ihnen ab, sie haben weder Augen, noch Ohren, wenn er auf eine Trennung hindeutet. Und Herr von Hollfeld, nun, der ist in meinen Augen ein ganz erbärmlicher Mensch; ich begreife heute noch nicht, wie er Fräulein von Walde’s Herz gewinnen konnte.“

„Also wissen Sie das auch?“ fragte Elisabeth.

„Ach, Kindchen, das ist ja längst ein öffentliches Geheimniß … Sie liebt ihn so tief und hingebend, wie ein Weib nur lieben kann. Diese unselige Neigung aber, in der sie jetzt lebt und athmet wie im Sonnenlicht, sie wird dereinst den düstersten Schatten werfen auf das Leben der ohnehin so schwer Heimgesuchten… Dies ganze traurige Verhältniß und seine Zukunft durchschaut und ahnt Herr von Walde, aber da er seiner Schwester nicht die Augen öffnen kann, ohne sie tödtlich zu verwunden, so bringt er seiner brüderlichen Zärtlichkeit die schwersten Opfer und geht lieber, da ihm der Aufenthalt in seinem eigenen Hause zu unerträglich wird.“

Während dieses Gesprächs hatten Miß Mertens und Elisabeth längst das Schloß verlassen und stiegen bergauf. Bald stieß Reinhard zu ihnen, der einen Gang nach dem Dorfe gemacht hatte. Miß Mertens erzählte ihm das Zusammentreffen mit Herrn von Walde und seine letzten Aeußerungen bezüglich seiner Reise.

„Gesagt hat er mir noch nichts,“ meinte Reinhard, „aber er sah vorhin gerade so aus, als möchte er am liebsten auf der Stelle Lindhof verlassen … Schöne Wirthschaft das! .… Der Herr des Hauses ist das fünfte Rad am Wagen in seinem Verwandtenkreise, er muß die Sippschaft ernähren, und als Dank dafür machen sie ihm das Herz der Schwester abspenstig … Herr Gott, steckte ich doch nur zwei Tage in seinen Schuhen, ich wollte den unsaubern Geist austreiben, daß auch nicht eine Spur übrig bliebe! … Uebrigens hoffe ich, daß Herr von Hollfeld wenigstens wieder auf einige Tage nach Odenberg geht. Sein Verwalter hat soeben die Nachricht gebracht, daß die Wirthschafterin ihm plötzlich auf und davongegangen ist; es bleibt Keine, der saubere gnädige Herr ist zu geizig … Es sollen auch noch andere Unannehmlichkeiten drüben vorgefallen sein.“

Burg Gnadeck war erreicht und der Gast wurde von Ferbers sehr herzlich begrüßt. Wie heimlich und traut umfing Miß Mertens’ Stübchen die neue Bewohnerin! Es blinkte in Sauberkeit; auf Bett und Tisch lagen frische, weiße Decken, eine hübsche Schwarzwälder Uhr tickte leise neben dem zierlich geordneten Schreibtisch, und einige Reseden- und Rosenstöcke auf dem Fenstersims hauchten ihren Duft durch den kleinen Raum. Durch die offene Thür sah man in das Wohnzimmer der Familie. Dort auf dem gedeckten Tisch entzündete Elisabeth die Spiritusflamme in der Theemaschine, während Miß Mertens rasch ihre wenigen Habseligkeiten in Kommode und Schrank einräumte.

Unterdeß hatte sich auch der Onkel in Begleitung Hector’s und der langen Pfeife eingefunden. Auch Reinhard blieb da, und so saß bald eine fröhliche Gesellschaft zusammen. Der Oberförster war sehr rosiger Laune. Elisabeth saß neben ihm. Sie bemühte sich aus allen Kräften, auf seine Neckereien einzugehen, aber noch nie war es ihr so schwer geworden, und er, der ein sehr feines Ohr für die leiseste Modulation ihrer Stimme hatte, bemerkte das sehr bald.

„Holla, Goldelse, was ist mit Dir?“ rief er plötzlich, „da ist etwas nicht in Ordnung.“ Er faßte sie am Kinn und sah ihr in die Augen. „Richtig, hast einen Schleier über den Augen und auf der Seele! … Potztausend, Du siehst ja auf einmal ganz anders aus! … Was soll’s mit dem trübseligen Nonnengesicht da?“

Elisabeth wurde feuerroth unter seinem forschenden Blick. Sie bot Alles auf, um durch munteren Scherz einer strengen Beichte zu entgehen, allein es gelang ihr sehr schlecht, und zuletzt blieb ihr nichts übrig, als sich an das Clavier zu setzen, dort neckte und störte er sie ja nie.

Wie wohl that es ihrem gepreßten Herzen, als es aufgehen durfte in vollen, rauschenden Accorden, als die Töne schmerzlich hinausklangen in die beginnende Abenddämmerung, ein Echo jenes tiefen Wehes, das sie erfüllte, seit sie wußte, daß Herr von Walde Thüringen wieder verlassen wollte … Vorbei war es mit jenem Grübeln und Sinnen, jenem Haschen nach dem unklaren, fremdartigen Etwas, das plötzlich wie ein liebliches Räthsel zwischen ihren Tongedanken aufgetaucht war! Es sprach jetzt mit eigener, fester Stimme, in gewaltigen Klängen, vor denen das einstige, harmlose Saitenspiel ihres Inneren zu einem unhörbaren Säuseln erstarb … Der Schleier, unter dem ihre Seele in glücklicher Unwissenheit bis dahin gelegen, war zerrissen, sie erkannte mit Lust und unsäglichem Schmerz, daß – sie liebte.

Wie lange sie gespielt hatte, sie wußte es nicht. Aber sie erwachte jäh aus dem gänzlichen Vergessen der Außenwelt, als ein Lichtstrom aus dem Wohnzimmer herüberquoll und grell über Beethoven’s bleiche Büste floß. Die Mutter hatte die große Lampe angezündet, und Elisabeth sah jetzt, daß der Onkel neben ihr im Fenster saß; er mußte sehr geräuschlos eingetreten sein. Als ihre Hände von den Tasten herabglitten, strich er leise mit, der Hand über ihr Haar.

„Siehst Du, Kind,“ sagte er endlich mit bewegter Stimme, nachdem das letzte Vibriren der Saiten verhallt war, „wenn ich nicht schon gemerkt hätte, daß etwas ganz Absonderliches in Dir vorgeht, so wüßte ich’s jetzt durch Dein Spiel; das waren ja Thränen, nichts als Thränen!“


11.

Mit Miß Mertens’ Einzug in der alten Burg hatte sich das Ferber’sche Familienleben womöglich noch freundlicher gestaltet als bisher. Die Gouvernante fühlte sich seit langer, trostloser Zeit zum ersten Male wieder heimisch angeweht und von Liebe umgeben. Ihr warmes Fühlen, bis dahin ängstlich bewacht und zurückgehalten, brach jetzt hervor und ließ sie im Verein mit ihrem reichen Wissen höchst liebenswürdig erscheinen. Sie trachtete sich nützlich zu machen, wo sie konnte. Namentlich beschäftigte sie sich viel mit dem kleinen Ernst, der unter ihrer Anleitung eifrig englische und französische Vocabeln lernen mußte; auch Elisabeth suchte von dem Aufenthalt der Miß Mertens auf Gnadeck so viel Vortheil wie möglich zu ziehen. Sie studirte emsig, denn das war ja die beste Abwehr für alle trübe Grübelei.

Die Uebungsstunden bei Fräulein von Walde hatten mittlerweile ihren regelmäßigen Fortgang. Hollfeld, der nur auf einen Tag nach Odenberg gegangen war, kam nach wie vor als eifriger Zuhörer und bot Alles auf, einen Moment des Alleinseins mit Elisabeth zu gewinnen. Er hatte es schon einigemal so schlau einzurichten gewußt, daß Helene während der Pause aufgestanden war, um irgend einen besprochenen oder von ihm gewünschten Gegenstand in einem anderen Zimmer zu holen; allein er erreichte seinen Zweck nicht, denn Elisabeth ging zugleich hinaus und ließ sich von dem Bedienten ein Glas Wasser geben. An ein Begegnen auf dem Nachhauseweg durfte er auch nicht denken, da Miß Mertens regelmäßig mit Ernst kam, um das junge Mädchen abzuholen .… Dieses stete Vereiteln seiner Wünsche machte ihn endlich ungeduldig und rücksichtsloser. Die Hand fiel von dem Gesicht, er trug seine Leidenschaft unverhohlen zur Schau, und nur ihrer Kurzsichtigkeit verdankte es Helene, daß ihr eine schmerzvolle Entdeckung vor der Hand noch erspart blieb … So wurden Elisabeth die Gänge in’s Schloß, immer peinlicher, und sie dankte Gott, als endlich das beabsichtigte Fest heranrückte, denn mit ihm hörten dann wenigstens die täglichen Uebungsstunden auf.

Es war am Tage vor dem Geburtsfest des Herrn von Walde, als Reinhard Nachmittags bei einem Besuch auf Gnadeck erzählte, daß bereits ein Gast unten im Schlosse angekommen sei.

„Der Flederwisch hat uns noch gefehlt!“ meinte er ärgerlich.

„Wer ist denn das?“ fragten lachend Frau Ferber und Miß Mertens zugleich.

„Ach, eine sogenannte Freundin von Fräulein von Walde, eine Hofdame aus L. Sie will beim Arrangement des Festes helfen; gnade Gott den armen Leuten, die kehrt das Unterste zum Obersten!“

„Ah, Fräulein von Quittelsdorf!“ rief Miß Mertens noch immer lachend. „Nun ja, die hat allerdings Quecksilber in den Adern, sie ist entsetzlich oberflächlich, aber von Herzen nicht böse.“

Später ging Elisabeth in Reinhard’s Begleitung hinunter nach Lindhof. Als sie in die Nähe des Schlosses kamen, wurde gerade Herrn von Walde’s Reitpferd an die große Freitreppe inmitten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_162.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)