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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Gebots zur Möglichkeit macht!“ – „Frau Gräfin, da ist die Thür,“ war die Antwort des erzürnten Directors, und alle Einwendungen halfen hier nichts – die Frau Gräfin mußte den Garten verlassen. Später hat diese Dame dann dem Wunderdoctor viel gute Worte geben müssen, um wieder in die Cur aufgenommen und des Lampe’schen Heils noch ferner theilhaftig zu werden. Das ist eine Probe von Lampe’s Höflichkeit, die ebensosehr wie seine Mildthätigkeit und Sanftmuth gerühmt wird.

Lampe hat nach einiger Zeit das Promeniren mit seiner Karoline aufgegeben und befindet sich mitten unter den Curgästen. Sobald dieser Moment je eintrat, versammelte sich die große Mehrzahl der Gäste schnell um den Director, wie um ein Wunderthier. Er richtete diese und jene Frage an einzelne Patienten, bis ihm dann die Gelegenheit kam, als Apostel aufzutreten. „Sehen Sie, meine Herren,“ so begann Lampe, „Sie sind Alle hier, um gesund zu werden. Die verfluchten Doctors haben viel verdorben; jetzt kommen Sie zu mir, weil Ihnen kein Arzt mehr helfen kann. Sehen Sie, ich könnte auch Doctor sein, aber ich wollte es nicht; der Titel ist mir angeboten, ich wollte aber lieber Director heißen, und das bin ich auch geworden. Ich selbst kann nicht heilen; ich kann nur den Stoffwechsel herbeiführen, die Heilung kommt dann ganz von selbst. Sie Alle werden gesund von Goslar gehen oder doch sehr bald zu Hause gesund werden; aber prägen Sie sich das ein, daß Sie sich vor den dummen Kerls, vor den Doctors, zu hüten haben. Sonst können Sie leicht einen Rückfall bekommen.“ Auf die Bemerkung irgend eines Curgastes, „wie der Herr Director doch so schnell zu Macht und Ansehen gestiegen, und selbst die höchste Anerkennung gefunden,“ brummt er dann vor sich hin: „Ja, wenn der Kronprinz von Hannover nicht zur Zeit meine Hülfe nachgesucht hätte, so –“, und: „wenn der König früher zu mir gekommen wäre, so –.“

Und nun giebt Lampe den neuangekommenen Curgästen lebendige Beispiele seiner Kunst in einer Weise, über die man sich todtlachen müßte, wenn es nicht zum „Todtweinen“ wäre. Für manche Kranke hatte Lampe die „halbe Krisis“ erfunden. Das Wort „Krisis“ war in Goslar in Aller Munde; was Lampe unter halber Krisis verstand, haben sie mir nicht mitgetheilt; ich kann es mir aber wohl denken. – Aus der Krisis geht der Patient in Goslar entweder todt oder lebendig hervor. Tritt der erste Fall ein, so war die Krisis vollständig, ja mehr als das, und man erwähnt ihrer gar nicht erst; im zweiten Falle aber bestimmt Lampe darüber. Hat Jemand die Droguencur schon so lange gebraucht, daß es als ein Wunder zu betrachten ist, wenn er aus der Krisis überhaupt noch auf die Beine kommt, so hat er seine Schuldigkeit gethan und die ganze Krisis überstanden. Es wird ihm einfach erklärt: „Sie sind geheilt und können reisen,“ wenn er auch nichts dem Aehnliches an sich verspürt. Ist er etwa so offenherzig zu erklären: „Ich fühle mich aber doch noch sehr leidend,“ so erhält er den Trost mit auf den Weg, daß die Nachcur die hier begonnene Heilung vervollständigen werde. Ist dagegen die Krisis bald nach Beginn der Cur eingetreten und giebt der Zustand des Betreffenden zu keinem ernsten Bedenken Anlaß, so vindicirt man ihm die halbe Krisis. Er kann weiter trinken und so seine sechs bis acht Wochen, die gewöhnliche Curzeit, unter Zahlung von sechs Thalern pro Woche, abarbeiten.

Hat Lampe seinen Vortrag geendet, den ärztlichen Stand, wie immer, nach Möglichkeit und in der brutalsten Weise insultirt, so lohnt ihm reichlicher Applaus seiner Zuhörer. Der seiner Rede zu Theil gewordene Beifall versetzt Lampe in Ekstase; er ruft diesem und jenem zu: „Nu, man nich den Kopf hängen lassen; immer frischen Muth, Ihr müßt Alle gesund von Goslar gehen,“ und befiehlt der Musik, zur Aufheiterung der Gesellschaft einen recht „Lustigen“ zu spielen. Er bezeichnet selbst das zu spielende Stück: “Ach, ich bin so müde, ach, ich bin so matt“, dreht sich, als ob ihn eine Tarantel gebissen, nach dem Tact der Musik im Kreise herum und verschwindet unter einem gnädigen „auf Wiedersehen!“ den Blicken der gaffenden Menge.

Es ist ein Wagstück für einen Curgast Lampe’s, einen wirklichen Arzt zu Rathe zu ziehen; verschwiegen bleibt es nicht lange, und erfährt es Lampe, so ist es mit dem Verweilen in Goslar zu Ende, man erhält den Laufpaß. Der betreffende Quartiergeber muß dem Willen seines Gebieters Folge leisten, und böte man ihm auch den zehnfach höheren Miethspreis, er würde doch eintretenden Falls die Exmission vornehmen und vornehmen müssen, wenn anders er nicht von Stund’ ab auf jede andere Einquartierung zu verzichten gesonnen wäre.

So entschloß auch ich mich nur mit Zagen zu dem Schritt, den Dr. Müller zu consultiren; aber die Nothwendigkeit war geboten, Frau und Kind waren leidend, das letztere, so dachte ich, konnte zur Noth als Ableiter des Lampe’schen Zorns dienen. Ich ging nun gar nicht mehr zu Lampe, ließ mich krank melden und erhielt die zwei Flaschen Kräutertrank pro Tag regelmäßig nach meiner Wohnung. Ich darf wohl nicht erst versichern, daß ich den Trank fortan nicht mehr genoß; ich goß ihn in die Straßenrinne und zahlte, so lange ich noch in Folge der erlittenen Cur unfähig zur Rückreise war, die sechs Thaler per Woche regelmäßig weiter. Lampe schwieg, er traute mir wohl schon längst nicht mehr, ich aber fürchtete ihn jetzt nicht sonderlich, da mir der menschenfreundliche Arzt, Dr. Müller, für den Fall der Exmission bereitwilligst ein Logis bei einem seiner Verwandten zur Verfügung stellte. Ich war übrigens in Folge der entsetzlichen Purgircur so kraftlos geworden, daß ich Tage lang nicht das Zimmer zu verlassen und nicht anders als mit den Händen von Stuhl zum Tisch greifend mich über die Stube fortzubewegen vermochte; die Nerven waren auf’s Furchtbarste angegriffen, ihre Erregtheit hatte eine bedenkliche Höhe erreicht. Dazu traten nun noch als stetes Gefolge einer so sinnlosen Purgircur die heillosesten Unterleibsstockungen, so daß der Gesammtzustand mir in Wahrheit die größten Besorgnisse einflößte.

Nach etwa vierzehntägiger Behandlung durch den Physicus Dr. Müller hatte ich das Unheil, welches die Lampe’sche Cur über meinen Körper gebracht, wenigstens so weit überwunden, um ohne zu große Gefahr die Rückreise antreten zu können. Ich wollte aber doch nicht ganz, wie eine Katze aus dem Taubenschlag, aus Goslar ziehen, und so entschloß ich mich, obschon schweren Herzens, dem Herrn Director noch einen letzten Besuch zu machen. Als ich in den Curgarten trat, fand ich denselben von Curgästen bereits geleert, nur Lampe saß, in Gedanken vertieft, auf einem erhöhten Platz in einer Laube; vielleicht stellte er so seine Betrachtungen über das „die Welt will betrogen sein“ an. Als er meiner ansichtig ward, rief er mir auf den ihm dargebotenen Morgengruß mit rauher Stimme entgegen: „Wo stecken Sie? Warum kommen Sie nicht zur Cur?“

„Ich war sehr leidend,“ war meine Antwort.

„Nun,“ entgegnete der Spaßvogel, „wissen Sie denn nicht, daß wir Neumond haben? Man muß nicht so zimperlich sein; kommen Sie einmal näher.“

Ich mußte mich nun an seine Seite setzen und er fragte weiter: „Wie lange sind Sie in der Cur?“

„Acht Wochen,“ erwiderte ich und erhielt nun die glücklichste Bescheerung in meinem Leben mit den inhaltsschweren Worten:

„Sie sind gesund und können reisen! Was noch an Krankheit in Ihrem Körper etwa vorhanden sein sollte, verschwindet in der Nachcur; ich werde Ihnen das Recept geben, holen Sie sich den Thee und verfahren Sie nach Vorschrift. Nur mäßig in allen Dingen, und die verfluchten Doctors lassen Sie ja in Ruhe!“ –

Wem Geld und Gesundheit lieb ist, der folge meinem Rathe und reise nicht nach Goslar! Nicht Jedem dürfte es ergehen wie mir, der ich bei meiner sonst zähen Constitution noch so mit blauem Auge davongekommen bin, obschon ich noch lange an den Folgen dieser unverantwortlichen Cur zu leiden hatte. Schwache Naturen können nach dieser willkürlichen, mehr für Pferde denn für Menschen eingerichteten Cur den Tod oder doch vollständiges Siechthum davontragen. Vor keinem der bekannten Medicinal-Pfuscher muß so ernstlich gewarnt werden, wie gerade vor Friedrich Lampe in Goslar, trotzdem, oder besser gesagt, weil er Director einer Heilanstalt ist und cum privilegio curirt; in dieser Auszeichnung, die an ihm geradezu zum Hohne wird, liegt die Versuchung und das Verderben für Tausende von Menschen.

Irren ist menschlich und verzeihlich! Nach meiner innersten Ueberzeugung, Keinem zu Gunsten oder Gefallen, rein empirisch, spreche ich meine Ansicht dahin aus: Lampe ist der größte Charlatan der Welt! Durch zähe Ausdauer, durch richtige Speculation auf die Dummheit der Menschen, durch Schlauheit, am meisten aber durch besondere Glücksumstände ist es ihm gelungen, Behörden und Publicum in Täuschung zu versetzen und es schließlich dahin zu bringen, der Vernunft wie dem Rechte officiell in’s Gesicht schlagen zu dürfen.



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