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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Diese Nacht aber konnte ich nicht einschlafen – die Geschichte mit dem Linke ging, mir noch durch den Kopf – da hörte ich droben Schritte, so leise, als ob eine Katze über die Dielen schliche. Aha, dachte ich, da geht das Nachtwandeln wieder los, und machte mich auf; aber als ich hinauf kam, da war das Nest schon leer; auf dem Tisch am offenen Fenster brannte ein Licht, und als ich die Thür aufmachte, da flog der Vorhang über die Flamme – Herr Gott, wäre ich nicht sofort zugesprungen, es hätte ein Feuerwerk geben können, bei dem die alten Balken im Forsthaus sicher gern mit geholfen hätten… Und wie war sie hinausgekommen? … Durch’s Küchenfenster… Ei, da will ich doch lieber einen Ameisenschwarm hüten, als solch’ eine geriebene Person…“

„Ich bin fest überzeugt, das Mädchen hat ein Liebesverhältniß,“ meinte Frau Ferber.

„Ja, das haben Sie mir schon einmal gesagt, Frau Schwägerin,“ entgegnete der Oberförster ärgerlich, „wenn Sie mir aber auch dabei bemerkten wollten, mit wem, dann würde ich Ihnen sehr dankbar sein… Sehen Sie sich doch um, ob nur ein Einziger da ist, der einem Mädchen so den Kopf verdrehen könnte… Meine Gehülfen? … Die sind ihr lange nicht gut genug, die hat sie gleich zu Anfang ablaufen lassen, daß es eine Art hatte … und der Schurke, der Linke, der wird’s wohl auch nicht sein mit seinen krummen Beinen und der semmelfarbnen Perrücke, und damit wäre denn das Register voll.“

„Einen haben Sie vergessen,“ fügte Frau Ferber bedeutsam und sah sich um nach Elisabeth, die einige Schritte zurückgeblieben war, um für Ernst eine Gerte abzuschneiden.

„Nun“ fragte der Oberförster.

„Herrn von Hollfeld.“

Der Oberförster blieb betroffen stehen. „Hm,“ brummte er endlich, „das wäre mir auch in meinem ganzen Leben nicht eingefallen.… Nein, nein,“ fuhr er lebhaft fort, „das glaube ich nicht; denn erstens wird das Mädel nicht so stockdumm sein, sich einzubilden, der werde sie zur gnädigen Frau auf Odenberg machen –“

„Vielleicht hat sie das doch gehofft und sieht sich nun enttäuscht,“ warf Frau Ferber ein.

„Hochmüthig und eitel genug wäre sie am Ende,“ meinte der Onkel nachdenklich, „aber er – er soll sich ja ganz und gar nichts aus den Weibern machen.“

„Er ist ein kalter Egoist,“ sagte Miß Mertens.

„Das Letztere glaube ich – das Erstere aber nicht,“ „erwiderte Frau Ferber, „und eben diese Anschauung erklärt mir Bertha’s ganzes Thun und Treiben.“

„I, das wäre ja eine gräuliche Geschichte!“ rief der Oberförster zornig. „Und ich hätte mir in meiner Arglosigkeit und Nachsicht eine Nase drehen lassen, wie nur irgend ein alter, bornirter Komödienvater! … Ich werde der Sache jetzt unerbittlich auf den Hals rücken, und wehe der ehrvergessenen Person, wenn sie es wirklich gewagt hat, unter meinem ehrlichen Dach eine Liebelei anzuzetteln, die ihr und mir nur Schande bringen kann!“

Das Mittagessen verlief sehr still. Der Oberförster war und blieb verstimmt und hätte am liebsten Bertha sogleich in die Beichte genommen, wenn nicht Frau Ferber gebeten hätte, er möge des Sonntags gedenken. Nach dem Kaffee verließen die Gäste das Forsthaus. Der Onkel warf die Büchse über die Schulter, ging mit hinauf bis vor das Mauerpförtchen und verlor sich dann in den Wald, der, wie er sagte, ihn stets beruhigte und wieder zu sich selbst brachte.

Elisabeth schmückte sich zum Concert, d. h. sie zog ein einfaches, weißes Mullkleid an und steckte als außergewöhnlichen Schmuck ein frisches Waldblumenbouquet an die Brust. Die Mutter brachte ein kleines Medaillon am schwarzen, schmalen Sammetbändchen und legte ihr dasselbe um den Hals – das war die Concerttoilette, die gewiß jedes andere junge Mädchen, im Hinblick auf sein Erscheinen in einer glänzenden Gesellschaft, mit einem bedrückten Gefühl angelegt haben würde. Die Mutter hatte heute das goldene Lockengekräusel selbst geordnet, das auf Elisabeth’s Stirn fiel und durch seinen lichten Glanz die feinen, aber festen Bogen der schwarzen Augenbrauen, als einen eigenthümlichen Reiz, wunderbar hervortreten ließ … Sie konnte Miß Mertens nicht widersprechen, die, nachdem Elisabeth den Weg in’s Schloß angetreten hatte, begeistert meinte, der Anblick des jungen Mädchens habe etwas Ueberirdisches, denn sie selbst hatte heute überrascht die Bemerkung gemacht, daß ihr Kind in auffallender Schönheit erblüht sei.

Als Elisabeth das Vestibül im Lindhofer Schloß betrat, bemerkte sie den Doctor Feld, der, seine Frau am Arm führend, eben in einen Corridor einbiegen wollte. Sie eilte auf ihn zu und begrüßte ihn freudig, denn ihr Herz hatte auf dem ganzen Weg ängstlich geklopft bei dem Gedanken, daß sie allein in den weiten Saal werde eintreten müssen, wo voraussichtlich schon der größte Theil der Geladenen versammelt war. Der Doctor reichte ihr sogleich erfreut die Hand und stellte sie seiner Frau mit halblauter Stimme als das „Heldenmädchen von gestern“ vor. Beide nahmen das junge Mädchen herzlich gern in’s Schlepptau … Die hohe Flügelthür des Saales rauschte auf. Elisabeth dankte in diesem Augenblick ihrem guten Stern, der sie hinter der imposanten Gestalt der Doctorin völlig verschwinden ließ, denn der Eindruck des großen, festlich geschmückten Raumes, über dessen spiegelglattes Parquet prachtvolle Damenroben rauschten und die feinen Lackstiefeln der vornehmen, befrackten Herren hinglitten, hatte etwas Ueberwältigendes für sie … Inmitten des Saales stand die Baronin Lessen, von einem prächtigen, dunkelblauen Moiré, antique umbauscht, und machte die Honneurs. Sie erwiderte den Gruß des eintretenden Ehepaares sehr höflich, aber auch sehr kühl und deutete auf des Doctors Frage nach Herrn von Walde an einen Menschenknäuel, nahe am Fenster, von welchem ein Gesumm, unverständlich wie die babylonische Sprachverwirrung, herüberscholl.

Während Fels mit seiner Frau dorthin schritt, folgte Elisabeth froh und dankbar einem Wink Helenens, die, in einem andern Fenster sitzend, ihr hastig und aufgeregt mittheilte, daß sie plötzlich vom sogenannten Lampenfieber überfallen werden sei: sie habe entsetzliche Angst, vor all’ diesen Leuten zu spielen, und möchte am liebsten in ein Mäuseloch kriechen. Schließlich bat sie das junge Mädchen, statt der vierhändigen Pièce, mit der das Concert eröffnet werden sollte, eine Sonate von Beethoven zu spielen, ein Wunsch, auf den Elisabeth sofort einging. Ihre Befangenheit war verflogen. Sie trat an den Tisch, auf welchem die Musikalien lagen, und schlug die Sonate auf, die sie vortragen wollte. Während dem fuhren draußen Wagen auf Wagen donnernd in die Einfahrt. Die Thüren öffneten sich unermüdlich und beförderten nach und nach einen solchen Ueberfluß von Tüll und Spitzen und Sammet und Seide in den Saal, daß Elisabeth bedauerlich lächelnd auf ihr schöngebügeltes Mullkleid hinabsah, denn einmal zwischen jenes Crinolinengedränge gerathen, mußte es auf der Stelle seine tadellose Glätte einbüßen.

Aus der Begrüßung der Baronin konnte sie sehr leicht erkennen, auf welcher Rangstufe die Eintretenden standen. Mittels einer einzigen Wendung des federgeschmückten Hauptes schwebte die Dame sofort über dem Fahrwasser freundschaftlichen Verkehrs, wenn bürgerliches Element in ihre Nähe kam, und dieses bürgerliche Element that auch Alles, jenen hohen, unnahbaren Standpunkt streng zu respectiren und anzuerkennen. Zuerst strömten gewöhnlich alle Ankommenden auf den Wink der Baronin nach dem Fenster, wo Herr von Walde stehen sollte – von ihm selbst sah Elisabeth keine Spur, denn der Ring, den die Glückwünschenden bildeten, war stets undurchdringlich – dann vertheilten sie sich in einzelne Gruppen, die entweder ruhig der Dinge harrten, die da kommen sollten, oder eine Unterhaltung auf eigene Faust anknüpften.

In diesem Augenblick rauschte abermals die Thür auf und eine alte, corpulente Dame hinkte am Arm eines ebenso bejahrten, vielfach decorirten Herrn und von Fräulein von Quittelsdorf begleitet, in den Saal. Die Baronin eilte den Eintretenden entgegen, auch Fräulein von Walde erhob sich mühsam und trat, von Hollfeld geführt, auf das alte Paar zu, während die um sie versammelten Damen ihr folgten, wie ein Kometenschweif. Der Menschenknäuel am Fenster löste sich ebenfalls wie durch einen Zauberschlag und Herrn von Walde’s hohe Gestalt wurde sichtbar.

„Man muß zu Ihnen kommen, wenn man Sie sehen will, Sie Unartiger!“ rief die alte Dame, indem sie mit dem Finger drohend auf ihn zuwackelte. „Hat denn das schöne Spanien jede Erinnerung an ihre alten Freunde verwischt? … Sie sehen, trotz meiner kranken Füße, und obgleich ich mich von Ihnen schmerzlich vernachlässigt fühle, komme ich heute doch, um unter Denen nicht zu fehlen, die Ihnen ihre Glückwünsche aussprechen.“

Er verbeugte sich und sagte ihr einige Worte, worauf sie ihm lachend einen leichten Schlag auf die Schulter versetzte; dann

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)