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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

So kann man nun an jedem Orte sich vorzugsweise auf die Herstellung solcher Arbeitserzeugnisse legen, welche sich da, Dank der Naturausstattung, am leichtesten und billigsten herstellen lassen, was schließlich durch den allgemeinen Tauschverkehr Allen zu statten kommt.

Wie die Arbeitstheilung sonach sich als unentbehrlich für unsere materiellen Bedürfnisse erweist, ist sie es in demselben Grade für unsere geistige Entwickelung, für den gesammten Culturfortschritt des menschlichen Geschlechts. Ehe Jemand daran denken kann, sich mit Ausbildung seiner höheren Anlagen, mit der Pflege der edleren Keime seiner Natur zu beschäftigen, muß erst für die leibliche Nothdurft gesorgt sein. Man muß erst dem gebieterischen Bedürfniß der sinnlichen Natur genügen, erst das Nothwendige und Nützliche schaffen, ehe man an das Schöne und Angenehme denken kann. So lange die Arbeit bei einem Volke nicht soweit entwickelt ist, daß sie einen Ueberschuß über den täglichen Gebrauch gewährt, ist von Bildung keine Rede. Nur ein solcher Ueberschuß macht einen Theil der zur Beschaffung des Nothwendigen erforderlichen Menschenkräfte frei und stellt sie für höhere Aufgaben zur Verfügung. Daß aber solche geistige Bildung im Haushalt der menschlichen Gesellschaft, ein solches Mehr der Gesammtproduction über die Gesammtconsumtion ohne die Arbeitstheilung niemals erreicht werden kann, ist unbestritten.

Als Anhalt für unsere Erörterungen fassen wir daher das Gesagte kurz dahin zusammen:

1. Die Arbeitstheilung beruht auf einer innern, in der menschlichen Natur begründeten Nothwendigkeit;

2. ohne dieselbe reichen die Kräfte der Menschen zur Beschaffung der Mittel ihrer leiblichen Existenz nicht aus, und von der Entwickelung und Bethätigung der uns eingebornen höheren Anlagen, d. h. der Erreichung wahrer Menschenbestimmung, könnte nicht die Rede sein.

II. Die socialen Uebelstände der Arbeitstheilung.

Aber wenn über die wirthschaftliche Unentbehrlichkeit der Arbeitstheilung kein Streit herrscht, so ändert sich dies, sobald man zu den weiteren socialen Folgen derselben übergeht, und es eröffnet sich ein ganzes Feld feindlicher Meinungen und ungeschlichteter Wirren, aus denen wir nur das Hauptsächlichste herausheben.

Trotz des Gesagten soll nämlich die Arbeitstheilung, so wirft man ihr vor, für die Entwickelung eines großen Theiles der Menschen geradezu hemmend, ja verderblich sein. Insbesondere wird ihr die Hervorbringung der noch immer bestehenden schroffen Classenunterschiede schuld gegeben, vermöge deren den Menschen in Beziehung auf Bildung und Wohlstand wie auf ihre gesellschaftliche Stellung so ungleiche Loose zufallen, daß es scheint, als könne das Wohlbefinden der Einen nur erkauft werden durch die Verkümmerung der Andern. Besonders verweist man hierbei auf die Nachtheile, welche die in der neuern Industrie immer mehr durchgeführte Beschränkung der einzelnen Arbeitergruppen auf ganz specielle Verrichtungen mit sich bringt, und in der That lassen sich dieselben durchaus nicht in Abrede stellen. Denn indem dadurch einer jeden solchen Gruppe nur ein geringer Bruchtheil der Production ihrer Branche zufällt, ihre ganze Thätigkeit häufig auf die unablässige Wiederholung einiger wenigen mechanischen Manipulationen beschränkt ist, verlieren sie das Ganze der Production aus den Augen, was nicht nur eine einseitige Richtung in ihrer technischen Befähigung zur Folge hat, sondern auch ungünstig auf ihre ganze Lebenshaltung zurückwirkt. „Ein Mensch,“ sagt ein bekannter französischer Nationalökonom, „der während seines ganzen Lebens nur eine Verrichtung thut, gelangt sicher dazu, sie besser und schneller auszuführen, als ein Anderer, aber zugleich wird er zu jeder andern physischen und geistigen Beschäftigung weniger geeignet, indem seine übrigen Fähigkeiten durch Nichtgebrauch erlöschen.“ Daß sich dies nicht auf das technische Gebiet beschränkt, sondern auf den ganzen Menschen erstreckt, deuteten wir schon an. Der Umstand, welche Anlagen unserer Natur bei der Berufsthätigkeit vorzugsweise zur Ausbildung gelangen, die Summe der physischen, sittlichen und intellectuellen Anregungen, welche die Art der Arbeitsverrichtung auch mittelbar in sich schließt, ist für die humane Entwickelung, für die wirthschaftliche Lage und bürgerliche Stellung der Betheiligten nicht gleichgültig. Und je stetiger ungünstige Einflüsse in dieser Richtung in einer meist von Jugend an aufgenommenen Beschäftigung auf den Menschen wirken, desto schwerer wird es, sich ihnen zu entziehen.

Können wir uns hiernach nicht entbrechen, die großen Mißstände in unsern socialen Verhältnissen in nahe Beziehung zur Arbeitstheilung zu bringen, wie dieselbe sich mit ihren Consequenzen im heutigen Wirthschaftsleben herausgebildet hat, so drängt sich uns die Frage auf: ob diese Erscheinungen principiell, mit innerer Nothwendigkeit, aus dem Wesen der Arbeitstheilung hervorgehen, so daß wir sie als ewig und unabänderlich damit verbunden zu betrachten haben? oder: ob sie im Gegentheil als krankhafte Auswüchse, als Abirrungen von der normalen Gestaltung derselben aufzufassen sind, veranlaßt durch äußere Störungen durch fremde Einflüsse, mit deren Beseitigung sie verschwinden?

Sicher werden wir der ersten Alternative, der Permanenzerklärung des Elends, als unvermeidlicher Nachtseite der Cultur, uns ohne Weiteres anzuschließen um so weniger geneigt sein, als dadurch die Natur eines furchtbaren Widerspruchs mit sich selbst bezichtigt wird. Ist die Arbeitstheilung, wie wir nachgewiesen haben, der Ausdruck unseres eigensten Wesens und nie und nirgends für uns zu entbehren, da ohne sie die Menschheit niemals zu einer gesicherten materiellen Existenz, geschweige denn zur vollen Entfaltung ihres höhern Geisteslebens zu gelangen vermag; hat die Natur also selbst dem Menschen die Arbeitstheilung durch seine Organisation unerläßlich auferlegt: wie mag dieser große natürliche Hebel in sein Gegentheil umschlagen und mit derselben innern Nothwendigkeit, wenn auch nur bei einem Theile der Menschen, die leibliche und geistige Verkümmerung nach sich ziehen? In der That ein unlösbarer Conflict wenn derjenige Vorgang, welcher die Civilisation erst möglich macht, uns gleichzeitig zum großen Theil der Segnungen derselben beraubte; ein entsetzlicher Hohn, wenn es wahr wäre, daß, wie Proudhon es ausdrückt, „die Arbeitstheilung, das erste und mächtigste Werkzeug des Wissens und Reichthums, welches die Vorsehung in unsere Hand gelegt hat, für uns ein Werkzeug des Elends und der Dummheit würde!“ Wohl muß eine Frage, welche die höchsten Interessen unseres Geschlechts so nahe berührt, uns zu ernster Erwägung auffordern, und um hier einen Anhalt zu gewinnen, werden wir auf Wesen und Zweck der Arbeitstheilung näher einzugehen haben, und ihre Wirkungen mit den berührten Erscheinungen in das rechte Verhältniß zu setzen suchen.

Daß mittels der Arbeitstheilung, durch Einordnung der Einzelnen in die verschiedenen Beschäftigungszweige, eine Scheidung der Menschen sich vollzieht, welche auf die individuelle Entwickelung, wie auf die gesellschaftliche Lage wesentlichen Einfluß übt, davon gingen wir bei unserer Betrachtung aus. Aber wenn wir auch diese Scheidung als etwas wesentlich durch die Arbeitstheilung Bedingtes gelten lassen, so ist damit doch noch nicht gesagt, daß sich dieselbe nothwendig bis zu jenen schroffen Classenunterschieden steigern müßte, welche mit der Spaltung und dem feindlichen Widerstreit der Interessen, mit den schneidenden Gegensätzen zwischen äußerstem Ueberfluß und äußerster Entblößung, zwischen höchster menschlicher Entfaltung und tiefster Verkommenheit das Grundübel unserer socialen Zustände ausmachen. Ein genauerer Hinblick genügt vielmehr, dies zu verneinen und uns zu zeigen, daß die Schranken gegen solche Ausschreitungen ebenfalls im Wesen der Arbeitstheilung liegen, daß der trennenden Tendenz in ihr zugleich das Gegengewicht beigegeben ist, welches den Vorgang regelt. Alles von der Natur Gegebene, jede wahrhaft natürliche Organisation trägt ihr Maß in sich selbst. Rufen wir uns nur die im Eingange begründeten Sätze zurück. Einzig durch die Arbeitstheilung war die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse möglich. Da nun jede der verschiedenen Beschäftigungsclassen blos einen Theil des eignen Bedarfs wie des aller Uebrigen herzustellen im Stande ist und die Gesammtaufgabe nur durch die Cooperation, die ineinandergreifende Thätigkeit Aller gelöst werden kann: so ist keine dieser Classen sich selber genug, keine im Stande, die Befriedigung ihrer Bedürfnisse sich durch ihre alleinige Thätigkeit zu verschaffen. Vielmehr bleibt jede von ihnen in demselben Grade, wie ihre Thätigkeit den andern unentbehrlich ist, auch ihrerseits auf die Leistungen dieser anderen angewiesen. Und das eben ist, jenem trennenden Elemente gegenüber, das einende Element der Arbeitstheilung, wodurch dieselbe die sämmtlichen von ihr geschiedenen Gruppen in eine höhere Einheit wieder zusammenfaßt und sie gerade durch jene Scheidung aus ihrer Isolirung herausnöthigt. Einzig durch diese Gliederung der Einzelnen in den verschiedenen Classen schafft die Arbeitstheilung den ineinandergreifenden Organismus

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_191.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)