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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

der Gesellschaft, welche ohne sie, wenn jeder Einzelne von uns in seinen Daseinsforderungen sich selber genügte und nicht auf seine Nebenmenschen angewiesen wäre, kaum existiren würde. Erst die Arbeitstheilung schafft mittelst der Classenscheidung die unentbehrlichen Organe, deren die Gesellschaft zu ihren Lebensfunctionen bedarf.

Und somit trägt sie die natürliche Schranke gegen die gerügten Ausschreitungen in sich selbst. Sind die beiden Elemente, das trennende und das einende, nichts als zwei Seiten einer und derselben Sache, gleichsam die Pole der Achse, um welche sich Alles bewegt, so müssen sie beide gleichmäßig zur Geltung kommen, soll die normale Wirkung eintreten. Denn sobald das eine das andere entschieden überwiegt, wird der Schwerpunkt des Ganzen verschoben, die ausgleichende Wirkung, welche beide aufeinander auszuüben bestimmt sind, vernichtet und man geräth in Bahnen, welche von den natürlichen mehr oder weniger abweichen. Ganz besonders wird dies der Fall sein, wenn dem trennenden Elemente, welches sich zu dem einenden doch nur als das untergeordnete, als Mittel zum Zweck verhält, zuviel Spielraum verstattet wird, so daß die Classenscheidung das Bewußtsein der höhern Zusammengehörigkeit ertödtet, die Gegenseitigkeit in den Leistungen der verschiedenen Classen mehr und mehr aufhebt, und einzelnen von ihnen das Abmühen um die materiellen Lebensbedürfnisse der Gesammtheit als ausschließliche Lebensbestimmung aufgebürdet wird.

Und dies bringt uns auf den Kern der Frage: auf die Bestimmung des Lebensgebietes und seiner Grenzen, innerhalb dessen die Arbeitstheilung ihrem wahren Sinn und Zwecke nach sich zu bethätigen hat. Da sie nichts weiter ist als die Form, in welcher menschliche Arbeit überhaupt verrichtet wird, so müssen wir dabei nothwendig auf die letztere selbst zurückgreifen. Der unbestrittene Zweck aller Arbeit ist nun die Versorgung der Menschen mit ihrem Lebensbedarf, die Beschaffung der Mittel zum Dasein im weitesten Sinne. Wohlverstanden also: mit den Daseinsmitteln, nicht mit dem Daseinszwecke haben es die verschiedenen Arbeitsverrichtungen der Menschen zu thun, welche auf Herstellung der zum Gesammtbedarf erforderlichen Summe von Gütern und Diensten gerichtet sind, aus welcher jeder Einzelne sein Theil beansprucht. Und so lassen sich die Grenzen des fraglichen Gebietes füglich bestimmen. Die Arbeitstheilung tritt darnach vorzugsweise bei allen den Aufgaben ein, welche den Menschen in die Lage versetzen sollen, seiner wahren Bestimmung, der Ausbildung und Bethätigung aller in ihn von der Natur gelegten Anlagen, mit Erfolg nachzugehen. Namentlich gilt dies von Beschaffung der Mittel zur materiellen Existenz und von gewissen Diensten und Hülfsleistungen, welche nothwendige Erfordernisse der individuellen Entwickelung sind. Nur auf diesem Gebiete, nur bei Gewährung der äußern Vorbedingungen zur Erreichung unseres eigentlichen Lebenszweckes ist der Austausch gegenseitiger Leistungen überhaupt möglich; nur hier mag der Eine für den Andern eintreten, mag also eine Vertheilung der darauf bezüglichen Thätigkeiten unter verschiedene Personen mit der Wirkung stattfinden, daß die Leistungen des Einen den Andern zu gut kommen. Niemals aber darf die Arbeitstheilung in dem, was die Menschenbestimmung selbst in sich faßt, scheidend und ausschließend zwischen die Einzelnen treten. Liegt doch hier ein innerer Lebensproceß vor, der sich in jedem Menschen selbst und ganz vollziehen muß, den Keiner für den Andern durchmachen kann. So wenig Einer für den Andern wachsen oder lernen kann, so gewiß solche Acte in Jedem selbst vor sich gehen müssen, sollen sie ihm zu gut kommen: so gewiß kann jene innere geistige Lebensarbeit nicht vertheilt und Jemandem abgenommen, so gewiß darf Niemandem die Selbstthätigkeit dabei entzogen werden, weil dadurch sein eigentlicher Lebenszweck gefährdet wird. Deshalb hat sich die Arbeitstheilung auf das eigentliche Erwerbsleben, die sogenannten Fachthätigkeiten, zu beschränken, welche theils, wie Production und Handel, die zur äußeren Existenz erforderlichen Sachgüter, theils, wie die Thätigkeiten des Arztes, Beamten, Lehrers, Gesindes und dergleichen, gewisse Dienste uns zu Gebote stellen, die zur Nothdurft und Annehmlichkeit gehören und unser körperliches und geistiges Gedeihen fördern. In diesem ihrem Elemente sich bewegend, wird die Arbeitstheilung nur die wohlthätigsten Folgen für den Einzelnen, wie für die Gesammtheit üben, und sich wirklich als das unentbehrlichste und wirksamste Förderungsmittel für alle höhere Culturbestrebungen bewähren. Dies wird aber im Augenblick verschoben, wo die von ihr bewirkte Classenscheidung so weit geht, daß sie, wie wir bereits sagten, einem Theile der Menschen die Sorge und Beschäftigung für die äußere Nothdurft des Daseins, insbesondere die niedere Gewerbsarbeit, dergestalt ausschließlich aufbürdet, daß demselben weder Zeit noch Kraft zu jener innern Aufbauung übrig bleibt. Dann fördert sie die davon Betroffenen nicht in Erreichung ihres Lebenszweckes, was wir doch allein als ihre Bestimmung erkannten, vielmehr hemmt sie dieselben. Ja, dann kann man überhaupt nicht mehr von einer Theilung menschlicher Arbeit, sondern weit eher von einer Zertheilung des Menschen selbst, einer Verstümmelung des menschlichen Wesens überhaupt reden, wenn man dessen Hauptelemente, die ganz und unzerstückelt in Allen vorhanden sind, bei ganzen Classen nur zu einem Bruchtheil sich entwickeln läßt und insbesondere die Summe der höheren geistigen Anlagen nur bei einer bevorzugten Minderheit zur vollen Bethätigung bringt, während dieselben bei den Uebrigen der Verkümmerung preisgegeben werden. Das ist ein Hohn wider das Menschenthum, ein Auflehnen wider die Natur!

Bei Thieren sehen wir wohl eine solche Theilbefähigung innerhalb der Gesammtthätigkeit einer Gattung von der Natur gegeben, nicht aber beim Menschen. Wir verweisen auf das bekannteste aller Gesellschaftsthiere, die Biene, wo man von einer Arbeitstheilung in gewissem Sinne sprechen kann. Da finden wir die einzelnen Classen: die Arbeiterin, die Drohne, die Königin, ganz speciell und ausschließlich zu einzelnen Functionen organisirt, und bei jeder Classe geht ihre ganze Lebensthätigkeit und Fähigkeit, also ihre ganze Bestimmung in dieser speciellen Classenfunction auf. Die Arbeitsbiene ist eben nur das, und will und kann nichts Andres sein, ebenso die Drohne, wie die Königin, als Mutter des Stockes, und der Gattungsbegriff „Biene“ kommt in keiner dieser Classen für sich allein zum Abschluß. Anders der Mensch. In der Erwerbsthätigkeit, in jenen Fachstrebungen und Leistungen, vermöge deren Jeder das Seine zu dem äußerlichen Bedürfniß, zu dem Lebensapparat der Gesammtheit beiträgt, ist die Summe seines Daseins nicht beschlossen, welches höhere Ziele hat und über höhere Kräfte gebietet. Vielmehr sind wir von der Natur so organisirt, daß der Einzelne die ganze volle Menschheit in sich entwickeln, daß Jeder ein ganzer Mensch sein kann und sein soll, nicht blos ein Bruchtheil davon. Jedem ist der göttliche Funke eingeboren, der uns erst zu Menschen macht, und was darauf hinausläuft, ihn bei einem Theile der Menschen zu ersticken, ist ein Attentat gegen die Menschheit. Am wenigsten darf die Arbeitstheilung, zu welcher die Natur selbst unser Geschlecht hindrängt, um mittels der leichteren Beschaffung der Mittel zum Dasein ihm die Erreichung seiner höheren Ziele zu ermöglichen, auf die angedeutete Art in ihr Gegentheil verkehrt, dazu gemißbraucht werden, eine ganze Halbschied der Menschheit von diesem höheren Ziele auszuschließen und um ihr besseres Theil zu verkürzen.

(Schluß folgt.)




Kleiner Briefkasten.


A. R…r in L. Ganz Recht. In dem in Nr. 10 unseres Blattes enthaltenen Artikel „Künstlerwandelungen“ muß es gelegentlich des Componisten des „Matrimonio segretto“ nicht Cherubini, sondern „Cimarosa“ heißen.

G. F. in S… Auf Ihre Anfrage, was es mit den Angriffen zweier Leipziger Blätter und darin veröffentlichter Correspondenz hinsichtlich unserer Mittheilungen über den „Untergang des London“ für eine Bewandtniß habe, antworten wir: Wir glauben vollkommen im Rechte zu sein, wenn wir den betreffenden Bericht als von einem „Augenzeugen“ herrührend bezeichneten, da in dem sehr angesehenen englischen Blatte, das unser Londoner Correspondent seinem Artikel zu Grunde legte, ausdrücklich von der Erzählung eines „Augenzeugen der Katastrophe“ die Rede ist.

K. in D. Wie oft sollen wir wiederholen, daß es nicht Aufgabe der Gartenlaube ist, sich in das Getriebe der Tagespolitik zu mischen? Unsere Tendenzen sind klar ausgesprochen: wir wollen neben der Unterhaltung und Belehrung alle Bestrebungen der Humanität und Aufklärung und die Kräftigung des Nationalismus in entschiedener Weise zu fördern suchen. Dieses Programm wird unter jeder Bedingung festgehalten, und weder Kanzel noch grüner Tisch werden uns darin stören.




Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das erste Quartal. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Verlagshandlung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_192.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)