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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Mädchenstolzes, alle Vorsichtsmaßregeln des Verstandes haltlos verwehten… Sie dachte daran, wie sie zuerst ihm widerstandlos gefolgt war, obgleich ihr tief gekränktes Ehrgefühl ihr gebot, den Kreis, in welchem sie so unwillkommen erschien, zu verlassen; sie empfand noch einmal jene Glückseligkeit, mit der sie an seine Seite geeilt war, als er es vor allen Anwesenden betont hatte, daß er ihr für heute angehöre und keine Stellvertreterin für sie wolle. Er hätte sie bis an das Ende der Welt führen können, sie wäre ihm blindlings gefolgt mit unerschütterlichem Vertrauen und der vollsten Hingabe ihres ganzen Wesens… Und ihre Eltern? … Jetzt begriff sie, wie eine Jungfrau das Vaterhaus verlassen könne, um einem Manne anzugehören, dessen Lebensbahn bis dahin, fernab von der ihrigen, über vielleicht ganz entgegengesetztes Gebiet gelaufen war; der nichts wußte von all’ jenen Neigungen, Beziehungen, großen und kleinen Ereignissen, durch die jede Faser ihres bisherigen Lebens mit dem ihrer gesammten Familie innig verwebt wurde. Noch vor zwei Monaten war ihr das ein unlösbares Räthsel gewesen.

Sie hatte einen Weg betreten, den sie oft in Miß Mertens’ Gesellschaft zurückgelegt hatte. Er mündete, in zahllosen Windungen schmal durch das Dickicht laufend, an der Chaussee, die den Wald durchschnitt und eine Strecke lang die Grenze zwischen dem Fürstlich L.’schen Forstgebiet und dem des Herrn von Walde bildete. Jenseits der Chaussee, dem Fußweg gegenüber, öffnete sich die breite Fahrstraße, die nach dem Forsthause lief.

In ihre Träumerei versenkt, hatte Elisabeth nicht gehört, daß schon längst rasche Schritte ihr folgten; deshalb erschrak sie jetzt doppelt, als dicht in ihrer Nähe ihr Name von einer männlichen Stimme genannt wurde – Hollfeld stand hinter ihr. Sie ahnte, was ihn hierher führte, und fühlte ihr Herz klopfen, aber sie faßte sich schnell und trat ruhig seitwärts, um ihn auf dem schmalen Weg vorüber zu lassen.

„Nein, so ist es nicht gemeint, Fräulein Ferber,“ sagte er lächelnd und in einem eigenthümlich vertrauten Ton, der sie tief verletzte. „Ich wollte mir erlauben, Sie zu begleiten.“

„Ich danke,“ entgegnete das junge Mädchen ruhig, aber zurückweisend, „es wäre eine nutzlose Aufopferung Ihrerseits, denn ich gehe stets am liebsten allein durch den Wald.“

„Und kennen Sie keine Furcht?“ fragte er, so nahe an sie heraustretend, daß sein heißer Athem ihre Wange berührte.

„Nur die vor ungebetener Gesellschaft,“ entgegnete sie, mühsam ihre Entrüstung bekämpfend.

„Ah, das ist wieder einmal jene hoheitvolle Haltung, hinter der Sie sich mir gegenüber stets verschanzen; weshalb? nun, das weiß ich mir schon zurechtzulegen … Heute jedoch werde ich sie nicht so respectiren, wie ich sonst folgsamer Weise thue – ich muß Sie sprechen.“

„Und ist das so wichtig, daß Sie um deswillen Ihre Freunde und das Fest verlassen?“

„Ja, es ist ein Wunsch, der mit meinem Leben zusammenhängt, der mich Tag und Nacht verfolgt. Ich bin krank und elend, seit ich fürchte, er könne sich vielleicht nie verwirklichen – ich –“

Elisabeth war unterdeß immer rasch vorwärts geschritten. Es wurde ihr unsäglich unheimlich diesem Menschen gegenüber, aus dessen Augen jetzt jene Leidenschaft unverhohlen loderte, die ihr schon einen heftigen Abscheu eingeflößt hatte, als sie noch beherrscht wurde. Sie fühlte aber auch, daß Ruhe in diesem Augenblick ihre einzige Waffe sei, und deshalb unterbrach sie ihn, während der schwache Versuch eines Lächelns um ihre Lippen zuckte.

„Ach,“ sagte sie, „unsere Clavierübungen sind also vom besten Erfolg gewesen, Sie wünschen meinen Beistand auf dem Gebiet der Musik, wenn ich recht verstehe?“

„Sie verstehen mich absichtlich falsch,“ rief er zornig.

„Nehmen Sie das als eine Art von Schonung meinerseits, ich müßte Ihnen sonst Dinge sagen, die Sie vielleicht noch weniger zu hören wünschen,“ erwiderte Elisabeth ernst.

„Sprechen Sie immerhin, ich kenne die Frauen genug, um zu wissen, daß sie es lieben, eine Zeit lang die Maske der Kälte und Zurückweisung vorzuhalten … die Beglückung ist dann um so süßer. Ich gönne Ihnen die Freude dieser unschuldigen Koketterie, aber dann –“

Elisabeth stand einen Augenblick starr und sprachlos vor dieser Unverschämtheit; solch’ häßliche Worte hatten noch nie ihr Ohr berührt. Scham und Entrüstung trieben ihr das Blut in das Gesicht und sie suchte vergebens nach Worten, um diese beispiellose Frechheit zu strafen. Er faßte ihr Schweigen anders auf.

„Sehen Sie,“ rief er triumphirend, „daß ich Sie durchschaut habe! … Das Erröthen des Ertapptseins steht Ihnen unvergleichlich! … Sie sind schön wie ein Engel; noch nie ist mir eine solche Nymphengestalt vor die Augen gekommen, wie die Ihre … Sie wissen recht gut, daß Sie mich bei unserer ersten Begegnung bereits zum Sclaven gemacht haben, der zu Ihren Füßen schmachtet … Welcher Nacken! … Welche Arme! und das Alles haben Sie bisher neidisch verhüllt.“

Ein Ausruf der höchsten Aufregung entrang sich Elisabeth’s Lippen.

„Wie können Sie es wagen,“ rief sie laut und heftig, „mich so zu beleidigen! … Haben Sie mich vorhin nicht verstanden, so sage ich Ihnen jetzt klar und deutlich, daß mir Ihre aufgedrungene Gesellschaft verhaßt ist und daß ich allein sein will.“

„Bravo, der befehlende Ton gelingt Ihnen vortrefflich!“ sagte er spöttisch. „Man sieht doch gleich, daß von der Mutter her ein Tröpflein adlig Blut in Ihren Adern rollt … Was habe ich Ihnen denn gethan, daß Sie so plötzlich die Entrüstete spielen? Ich habe Ihnen das Compliment gemacht, daß Sie schön sind, das aber lassen Sie sich des Tags unzählige Mal von Ihrem Spiegel sagen, und ich bezweifle sehr, daß Sie ihn dafür zertrümmern.“

Elisabeth wendete ihm verachtungsvoll den Rücken zu und schritt hastig weiter. Er hielt sich an ihrer Seite und schien durchaus nicht gesonnen zu sein, auf einen endlichen Sieg zu verzichten.

Sie hatten eben die Chaussee erreicht, als eine Equipage vorüberbrauste. Ein Männerkopf bog sich aus dem Wagenfenster, fuhr aber jäh, wie erschrocken, zurück – es war Herr von Walde. Noch einmal sah er heraus nach dem Waldweg, als ob er sich überzeugen wolle, daß er recht gesehen habe, dann verschwand der Wagen bei einer scharfen Biegung der Chaussee.

Elisabeth hatte unwillkürlich die Arme nach dem davonrollenden Wagen ausgestreckt, als möchte sie ihn zurückhalten; er, der da drinnen saß, wußte ja um ihre Abneigung gegen Hollfeld; nach ihrer vor wenig Stunden abgegebenen Erklärung durfte er keinen Augenblick im Zweifel sein, daß sie sich nicht freiwillig in dessen Gesellschaft befand. Konnte er nicht für einen Moment seine Reise unterbrechen, um sie von dem Zudringlichen zu befreien?

Hollfeld hatte ihre Bewegung gesehen.

„Ei,“ rief er unter boshaftem Lachen, „das sah ja beinahe zärtlich aus! … Müßte ich nicht an die siebenunddreißig Sommer meines Vetters denken, wahrhaftig, ich könnte eifersüchtig werden! … Ah, Sie dachten wohl, er solle sofort aussteigen und Ihnen galant den Arm bieten, um Sie nach Hause zu führen? Sie sehen, er ist zu tugendhaft, er verzichtet auf dies Glück und erfüllt lieber eine sogenannte heilige Pflicht. Er ist ein Eisblock, für den die Reize des schönen Geschlechts vergebens in der Welt sind … Daß er heute ausnahmsweise ritterlich gegen Sie war, das galt durchaus nicht Ihren bezaubernden Augen, schöne Gold-Else, es geschah lediglich, um meine Mama ein wenig zu ärgern.“

„Und scheuen Sie sich nicht, den Mann, dessen Gastfreundschaft Sie unausgesetzt genießen, einer so gemeinen Denkungsweise zu beschuldigen?“ rief Elisabeth empört. Sie hatte sich zwar vorgenommen, ihm mit keiner Sylbe mehr zu antworten, in der Hoffnung, daß sie ihn mit diesem Schweigen langweilen und endlich verscheuchen würde, allein die Art und Weise, wie er sich über Herrn von Walde äußerte, brachte ihr ganzes Innere in den heftigsten Aufruhr.

„Gemein?“ wiederholte er. „Sie reden in sehr starken Ausdrücken. Ich nenne es eine kleine Revanche, zu der er vollkommen berechtigt war… Und was die Gastfreundschaft betrifft, so genieße ich jetzt schon einfach von dem, was später doch einmal mein Eigenthum sein wird; ich sehe nicht ein, wie ich um deswillen das Urtheil über meinen Vetter ändern soll … Uebrigens bin ich derjenige, welcher sich aufopfert und Dank verdient; rechnen Sie meine Hingebung und Aufmerksamkeit für Fräulein von Walde gar nicht?“

„Es mag in der That eine schwere Aufgabe sein, hie und da einige Blumen zu pflücken, um sie einer armen Kranken zu bringen,“ sagte Elisabeth ironisch.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_196.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)