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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

würde sicher nicht mehr schreckensvolle Ueberraschung und Entsetzen ausgedrückt haben, als in diesem Augenblick. Sie öffnete die schneebleich gewordenen, zuckenden Lippen, aber kein Laut kam hervor, und unfähig, ihren Schmerz zu bewältigen, schlug sie plötzlich beide Hände vor das Gesicht und sank mit einem leisen Weheruf in die Kissen zurück.

Hollfeld eilte sofort an ihre Seite und nahm ihre beiden Hände in die seinigen.

„Helene,“ flüsterte er leise, aber zärtlich – der Ton gelang ihm vortrefflich – „willst Du, daß ich rede und Dir eine wunde Stelle in meinem Herzen zeige? … Du weißt es nur zu gut, daß ich liebe und daß diese Liebe meine erste und einzige durch mein ganzes Leben hindurch bleiben wird.“

Die Zunge verdorrte ihm nicht bei dieser abscheulichen Lüge ja, sie vermochte sogar, mit einer ihr sonst fremden Geschmeidigkeit tiefinnige Klänge anzuschlagen, welche die ganzen Gefühle des jungen Mädchens aufstürmten und in einen unaussprechlichen Taumel versetzten. Hätte ein guter Engel der Armen zugeflüstert, sie möge nur ein einziges Mal die Augen aufschlagen, so wäre freilich der furchtbare Schmerz der Enttäuschung unausbleiblich für sie gewesen, denn der Blick, der bei jener Versicherung über ihre verkrüppelte Gestalt hinglitt, war ein überaus spöttischer; aber sie hätte doch vielleicht in ihrer Entrüstung die Kraft gefunden, sich den Schlingen des erbärmlichen Egoisten zu entziehen. Ihre Augen blieben jedoch geschlossen, als wolle sie die ganze Außenwelt von sich weisen, um einzig in dem Klang der Stimme zu schwelgen, die zum ersten Mal das Wort der Liebe aussprach.

„Wollte Gott,“ fuhr er fort, „ich dürfte meinem Herzen folgen und nur dieser Neigung leben, denn wenn auch meine höchsten Wünsche unerfüllt bleiben, müssen, so bin ich doch glücklich neben Dir, in Deinem Umgang, Helene .… Aber, Du weißt, ich bin der letzte Hollfeld, schon aus dem Grunde bin ich gezwungen, mich zu vermählen … Es bleibt nur ein Mittel, mir dieses Opfer zu erleichtern: ich muß eine Frau wählen, die Dich kennt –“

„O, sag’ es nur schnell!“ rief Helene in ausbrechendem Schmerz, während unaufhaltsame Thränenströme aus ihren Augen stürzten, „Du hast bereits gewählt, meine Ahnung hat mich nicht betrogen, es ist Cornelie!“

„Die Quittelsdorf?“ rief er lachend, „dieser Irrwisch? …

Molli im Kaffeehaus.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_229.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)