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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 17.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Goldelse.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


16.

Als der Diener aus Lindhof am Mauerpförtchen läutete, saß Elisabeth in der großen Halle. Sie wand aus Immergrün und Epheu eine lange Guirlande, während Miß Mertens, ihr zur Seite sitzend, einen halbfertigen bunten Asternkranz in den Händen hielt. Das Grab auf dem Lindhofer Gottesacker war vollendet. Heute Nachmittag, zwischen fünf und sechs Uhr, sollte der Zinnsarg mit den sterblichen Ueberresten der schönen Lila der Erde feierlich übergeben werden. Hätten Jost’s gefürchtete Augen neben den Kranzwinderinnen auftauchen können, sie würden gewiß mild und versöhnt geruht haben auf seinem lieblichen Urenkelkind,[WS 1] welches die frisch vom Waldboden abgeschnittenen, grünen Ranken als letzten Schmuck auf den Todtenschrein legen wollte.

Nach Rücksprache mit der Mutter nahm Elisabeth die Einladung an, um so mehr, da sie nur „auf ein Plauderstündchen“ lautete. Bald nachdem der Diener sich entfernt hatte, kam auch Reinhard. Er sah sehr ernst aus und erzählte auf Miß Mertens’ Befragen, daß sein Herr in einer nicht zu beschreibenden Gemüthsstimmung aus Thalleben zurückgekehrt sei.

„Die Eindrücke im Trauerhause müssen schrecklicher Art gewesen sein,“ bemerkte er, „denn ich erkenne Herrn von Walde nicht wieder. Ich hatte ihm nothwendig verschiedene Meldungen zu machen, allein im Lauf meines Vortrags merkte ich wohl, daß ich umsonst sprach … Er saß vor mir wie gebrochen, wie völlig verloren in qualvolle Gedanken. Merkwürdigerweise fuhr er heftig auf, als ich ihm zum Schluß die Entdeckung hier oben in den Ruinen mittheilen wollte; ‚ich habe die Sache bereits zur Genüge gehört,‘ unterbrach er mich zornig und ungeduldig, ‚bitte, lassen Sie mich allein!‘“

Es entging Miß Mertens nicht, daß Reinhard sich verletzt fühlte durch die Art und Weise, wie sein Gebieter ihn angelassen hatte.

„Lieber Freund,“ sagte sie beschwichtigend, „in einem Augenblick, wo ein großer Seelenschmerz uns beherrscht, berührt uns die Außenwelt entweder gar nicht, oder sie wird uns peinlich; wir fühlen uns abgestoßen dadurch, daß in ihr sich Alles nach wie vor unbeirrt abwickelt, während unsere innere Welt schwankt und aus dem Geleise getrieben ist. Herr von Walde mag den Verunglückten wohl sehr geliebt haben … Aber mein Gott, Elisabeth, was thun Sie denn?“ unterbrach sie sich selbst. „Meinen Sie wirklich, daß das hübsch aussieht?“

Sie deutete aus die Guirlande. Elisabeth hatte nämlich, während Reinhard sprach, mit zitternden Händen einige dickköpfige Dahlien ergriffen und dieselben dem schlanken, bis dahin einförmig grünen Gewinde einverleibt. Es war in der That ein arger Mißgriff, auf den sie selbst mit erstaunten Augen und hochgerötheten Wangen niedersah. Die armen Dinger wurden sofort wieder von dem weichen, grünen Pfühl entfernt, an den sie sich behaglich geschmiegt hatten, und mit einer Strenge behandelt, als hätten sie sich eigenmächtig vorgedrängt.

Es hatte schon längst auf dem Lindhofer Kirchthurm drei geschlagen, als Elisabeth den Berg hinabeilte. Der Onkel hatte sie im Gespräch festgehalten; er war unwirrsch geworden darüber, daß sie der Einladung folgen wollte. „Denn,“ meinte er, und zwar nicht mit Unrecht, „das arme Wesen, welches heute eingesenkt werden soll, verdiene es schon, daß man wenigstens einen Tag seinem Andenken allein weihe.“ Er hatte freilich keine Ahnung von dem, was in dem Herzen des jungen Mädchens vorging. Er wußte nicht, daß sein kleiner Liebling in den letzten Tagen sehnsüchtig Stunde auf Stunde gezählt hatte, deren jede den Augenblick ja näher rücken mußte, da es heißen würde: „Er ist wieder da!“ und mußte es erleben, daß sein sonst so gehorsames Herzblatt unter seinen Händen wegschlüpfte und wie ein Sturmwind durch das Mauerpförtchen flog.

Ihre Füße berührten kaum die Erde. Sie hoffte, durch rasches Laufen den Zeitverlust einigermaßen zu ersetzen, aber beinahe hätte sie Thränen der Ungeduld vergossen, als zum Ueberfluß auch noch ihr leichtes Kleid an einer wilden Rosenhecke hängen blieb und mit sehr vorsichtiger Hand und vieler Langmuth losgemacht werden mußte. Fast athemlos erreichte sie den Pavillon. Beide Flügel der Thür standen offen, der Salon war noch leer. Auf dem Tische war eine Auswahl von Erfrischungen und die eine Ecke im Sopha für Helene bequem hergerichtet.

Mit erleichtertem Herzen trat Elisabeth ein und lehnte sich an eines der hinteren Fenster, vor welchem sich die dichte Buschwand hinzog, als sie ein leises Geräusch hinter sich hörte .... Hollfeld hatte hinter einem der vorstehenden Thürflügel gestanden und näherte sich ihr. Sie wollte sofort den Salon wieder verlassen, ohne den Verhaßten eines Blickes zu würdigen; er trat ihr jedoch in den Weg, wenn auch durchaus nicht in unbescheidener Weise, es lag vielmehr etwas Unterwürfiges und Ehrerbietiges in seiner Haltung, und versicherte, die Damen würden gleich erscheinen. Elisabeth sah erstaunt auf, da war auch nicht der leiseste Rest jenes frechen Tons in seiner Stimme zu bemerken, der ihr neulich jeden Blutstropfen empört hatte.

„Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Fräulein von Walde jeden

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Urenkelind
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_257.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)