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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Augenblick kommen mußt“ betheuerte er, als sie abermals den Versuch machte, in die Thür zu treten. „Ist Ihnen denn meine Gegenwart hier gar so schrecklich?“ fügte er leiser mit einem Anflug von Trauer hinzu.

„Allerdings,“ entgegnete Elisabeth kalt und rückhaltlos. „Wenn Sie sich Ihres neulichen Benehmens gegen mich erinnern, so werden Sie wissen, daß es mir unerträglich sein muß, auch nur einen Augenblick mit Ihnen allein zu sein.“

„Wie hart und unversöhnlich klingt das! … Soll ich den kleinen, unbedachten Scherz wirklich so grausam büßen?“

„Ich rathe Ihnen, künftig vorsichtiger zu sein in der Wahl der Leute, mit denen Sie scherzen wollen.“

„Mein Gott, ich sehe ja ein, daß es ein Mißgriff war, ich schäme mich dieser Uebereilung … wie hätte ich aber auch ahnen können –“

„Daß man mir Achtung schuldig sei?“ unterbrach ihn Elisabeth mit flammenden Augen.

„Nein, nein … das habe ich ja gar nicht bezweifelt. Gott, wie Sie heftig werden können! Aber ich konnte doch wahrhaftig nicht wissen, daß Ihnen das Recht zusteht, weit, weit mehr zu beanspruchen.“

Elisabeth sah ihn fragend an; sie verstand ihn offenbar nicht.

„Kann ich mehr thun, als Sie kniefällig um Verzeihung zu bitten?“ fuhr er fort.

„Die soll Ihnen werden unter der Bedingung, daß Sie mich sofort allein lassen.“

„Hartnäckiger Trotzkopf, der Sie sind! … Ich wäre ein Thor, wenn ich den kostbaren Augenblick vorübergehen lassen wollte … Elisabeth, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich Sie glühend liebe, liebe bis zum Sterben!“

„Und ich bin mir bewußt, Ihnen sehr deutlich erklärt zu haben, daß mir dies sehr gleichgültig ist.“ Sie fing an zu zittern; nichtsdestoweniger blieb ihr Blick fest und ruhig.

„Elisabeth, treiben Sie mich nicht zum Aeußersten!“ rief er aufgeregt.

„Vor Allem muß ich Sie ersuchen, die einfachste Höflichkeitsform festzuhalten, die uns gebietet, Fremde nicht mit dem Eigennamen anzureden.“

„Sie sind ein Satan an Kälte und Bosheit!“ rief er bebend vor Zorn. „Nun, ich gebe zu, daß Sie einen Schein von Berechtigung haben, mich zu quälen,“ fügte er, sich mühsam bezwingend, hinzu, „ich habe mich gegen Sie vergangen, aber ich will ja Alles wieder gut machen … Hören Sie mich nur einen Augenblick ruhig an, und Sie werden mir Ihre Härte sicher abbitten. … Ich biete Ihnen hiermit meine Hand. Sie werden wissen, daß ich im Stande bin, meiner künftigen Frau, was Rang und Vermögen betrifft, eine glänzende Existenz zu bereiten.“

Mit einem triumphirenden Lächeln sah er auf sie nieder. Es war ja so natürlich, daß seine schöne Widersacherin diese beglückende Wendung nicht vermuthet hatte, sie mußte wohl starr sein vor freudiger Ueberraschung; aber das geschah unerhörterweise nicht, Elisabeth richtete sich vielmehr stolz auf und trat einen Schritt zurück.

„Ich bedaure, Herr von Hollfeld,“ sagte sie mit ruhiger Würde; „Sie hätten sich selbst einen unangenehmen Moment ersparen können. Nach Allem, was ich Ihnen bis jetzt gesagt habe, fasse ich kaum, daß Sie noch ein solches Wort aussprechen mögen. … Da Sie mich denn durchaus zwingen, so erkläre ich Ihnen hiermit, daß unsere Wege weit auseinander gehen –“

„Wie!“

„Und daß ich mich nie entschließen könnte, an Ihrer Seite zu leben.“

Er starrte sie einen Moment an, wie geistesabwesend, oder wie gänzlich unfähig, ihre Worte aufzufassen. Seine Gesichtsfarbe wurde grünlich, und seine weißen Zähne gruben sich in die Unterlippe.

„Und Sie treiben wirklich die Komödie so weit, mir eine solche Antwort zu geben?“ frug er endlich mit ungewisser, fast heiserer Stimme.

Elisabeth lächelte verächtlich und wandte sich ab. Diese Bewegung brachte ihn fast zur Wuth.

„Die Gründe, die Gründe will ich wissen!“ stammelte er und trat abermals zwischen Elisabeth und die Thür, nach der sie zustrebte. Er haschte mit der Hand nach ihrem Kleid, um sie fest zuhalten. Sie erschrak heftig vor dieser Bewegung und wich einige Schritte tiefer in’s Zimmer zurück.

„Lassen Sie mich!“ rief sie mit fliegendem Athem; die Angst erstickte ihr fast die Stimme, trotzdem raffte sie ihren ganzen Muth noch einmal zusammen und hob den Kopf stolz und gebieterisch. „Wenn denn nicht ein Funke von Ehre in Ihnen ist, an den ich appelliren kann, so sehe ich mich gezwungen, auch meine Waffen zu gebrauchen, indem ich Ihnen sage, daß ich Sie tief, tief verachte, daß ich Ihren Anblick hasse; nicht das Zischen einer Schlange könnte mir mehr Abscheu und Schrecken einflößen, als Ihre Worte, mit denen Sie meine Zuneigung zu erringen hoffen … Niemals hat auch nur die leiseste Regung in mir zu Ihren Gunsten gesprochen; aber selbst, wenn es der Fall gewesen wäre, sie hätte sofort erstickt werden müssen durch Ihr verachtungswürdiges Betragen gegen mich … Lassen Sie mich jetzt ruhig gehen und –“

Er ließ sie den Satz nicht vollenden. „Das werde ich wohl bleiben lassen,“ knirschte er wüthend. Sein vorher so bleiches Gesicht glühte, die Augen rollten, er war außer sich vor Leidenschaft und stürzte auf sie zu wie ein Raubthier. Sie floh zu dem Fenster, weil sie die Thür nicht zu erreichen vermochte, und versuchte den Flügel aufzureißen, um über die sehr niedrige Brüstung hinauszuspringen, aber wie angefesselt vor Schrecken haftete plötzlich ihr Fuß am Boden. Draußen aus dem Buschwerk, dicht an den Scheiben, starrte ein schreckliches Gesicht. Die todtbleichen Züge verzerrten sich in einem höhnischen Grinsen, und aus dem Auge, das sich stier in das Gesicht des jungen Mädchens bohrte, glühte der Wahnsinn … Elisabeth erkannte mit Mühe die stumme Bertha; sie schüttelte sich vor Entsetzen und wich zurück, Hollfeld’s Arme fingen sie auf und umklammerten sie mit eiserner Gewalt; blind vor Aufregung, bemerkte er die Erscheinung vor dem Fenster nicht. Elisabeth drückte die eiskalten Hände auf ihre Augen, um das entsetzliche Gesicht draußen nicht zu sehen; sie fühlte den heißen Athem ihres Peinigers über ihre Finger hinstreifen, sein Haar berührte ihre Wange, sie schauderte, aber alle physischen Kräfte versagten ihr buchstäblich; das zwiefache Entsetzen hatte sie momentan gelähmt, nicht einmal ein Laut entrang sich ihrer Kehle … Bei Hollfeld’s Anblick erhob Bertha drohend die festgeballten Hände und richtete sie gegen die Scheiben, um das Glas zu zerschmettern; doch plötzlich wandte sie den Kopf seitwärts, als lausche sie auf ein Geräusch; sie ließ die Hände sinken, stieß ein grelles Lachen aus und entfloh in das Gebüsch.

Das Alles war das Werk weniger Augenblicke gewesen. Infolge des häßlichen Geschreis sah Hollfeld erschreckt auf. Einen Moment versuchte sein Auge in das Gebüsch zu dringen, wo Bertha verschwunden war, aber gleich darauf kehrte es wieder zurück auf die Gestalt, die er in seinen Armen hielt und die er nur um so fester an seine Brust drückte. Seine ängstliche Vorsicht, sein heuchlerisches Bestreben, seine niedrigen Neigungen vor dem Auge der Welt zu verbergen, waren in diesem Augenblick völlig von ihm gewichen. Er dachte nicht daran, daß die Zeit da war, wo Helene kommen sollte; durch die weit offene Thür konnten jeden Moment der Gärtner oder Einer von der Dienerschaft hereinsehen, er lag völlig im Bann seiner Leidenschaft und bemerkte deshalb nicht, daß Fräulein von Walde in der That am Arme ihres Bruders auf der Thürschwelle stand; hinter ihnen erschien die Baronin mit langem Halse und einem nicht zu verkennenden Ausdruck heftigen Unwillens.

„Emil!“ rief sie mit zornbebender Stimme. Er fuhr empor und sah mit wirren Blicken um sich; unwillkürlich öffneten sich seine Arme, Elisabeth ließ die Hände von den Augen fallen und faßte taumelnd nach der nächsten Stuhllehne. Diesmal klang ihr die harte, abscheuliche Stimme der Baronin süß wie Musik, denn von ihr kam ja die Hülfe .... Und dort stand die hohe, männliche Gestalt, deren Anblick sofort ihre stockenden Pulse lebendig klopfen machte. Sie hätte sich ihm zu Füßen werfen und bitten mögen: „Schütze mich vor Jenem dort, den ich fliehe und verabscheue wie die Sünde!“ Aber welch’ ein Blick fiel auf sie! … Kam dieser niederschmetternde Strahl in der That aus jenem Auge, das erst vor wenig Tagen mit so wunderbar süßinnigem Ausdruck das ihre gesucht hatte? War jene Erscheinung mit dem streng zurückgeworfenen Kopfe und der todtbleichen, eisernen Stirn jener Mann, der sich damals über sie geneigt und in unsäglich weichem Klang die Worte gesprochen hatte: „Ihnen möge unterdeß mein guter Engel den Namen jenes Wunderreiches zuflüstern!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_258.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)