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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Alles Grundwasser stammt aus der Atmosphäre, d. h. die wässerigen atmosphärischen Niederschläge (Regen, Schnee) speisen dasselbe. Allein nur bei ganz außergewöhnlicher Menge derselben vermehrt sich das Grundwasser so, daß eine förmliche unterirdische Ueberschwemmung herbeiführt wird und selbst mit niederem Wasserstande versehene Brunnen überlaufen, „ersaufen“. Gewöhnlich entspricht die Regenmenge keineswegs dem Grundwasserstande; ja bei reichlichem Regenfall steht das Grundwasser oft tief, und umgekehrt. Noch lassen sich bei der Neuheit der Sache die eigenthümlichen auf den Grundwasserstand influirenden Bodenverhältnisse nicht genau angeben.

Das Grundwasser hält nun nicht immer, wie bereits bemerkt, denselben Stand ein, es fällt und steigt und ist in diesen Schwankungen fortwährend begriffen, so daß es unter gewöhnlichen Verhältnissen in den verhältnißmäßige kurzen Zeiträumen von vierzehn Tagen oder vier Wochen Aenderungen im Niveau von einem oder einigen Zollen bis zu etwa zwei Fuß wahrnehmen läßt. Merkwürdig ist dabei, daß das Grundwasser in seinen Schwankungen ziemlich regelmäßig große Perioden durchmacht: in der Mitte des Jahres, im Mai, Juni und Juli, steht es (in München) in der Regel am höchsten, fällt dann bis zum December und Januar, bleibt dann meist eine Zeit lang still stehen und beginnt darauf wieder zu steigen.

Der Gesundheitszustand hängt aber nicht sowohl von dem gleichmäßig tiefen oder hohen Stande des Grundwassers ab, sondern vielmehr von den mehr oder minder jähen Schwankungen, welche das Grundwasser durchmacht, in der Art, daß der Gesundheitszustand gefährdet ist, wenn auf einen verhältnißmäßig hohen Stand des Grundwassers ein schneller Abfall erfolgt, vorausgesetzt nämlich, daß die übrigen Bedingungen zum Ausbrechen einer Epidemie gegeben sind. Diejenigen epidemischen Krankheiten, für welche das Gesagte gilt, sind die Cholera, der Typhus und das Wechselfieber, denen sich wohl bei weitern Forschungen noch mehr werden anreihen lassen. Die übrigen Bedingungen für den Ausbruch der Epidemie sind dann noch: die Gegenwart des Keimes der Krankheit und die Durchtränkung des lockern, für Luft und Wasser durchgängigen Bodens mit Düngstoffen.

Der Keim der Krankheit muß also vorhanden sein, wenn eine Epidemie ausbrechen soll. Niemand hat zwar diesen vor Augen gehabt, aber alle Umstände zwingen zu der Annahme eines Stoffs, welcher der Träger der Krankheit ist und durch welchen sich die Krankheit verbreitet. Am deutlichsten zeigt sich dieses Verhältniß bei der Cholera. Die Cholera ist eine in Indien einheimische Seuche, und von hier aus nehmen die verheerenden Umzüge der Cholera ihren Ausgang. Niemals nun hat sich Cholera an einem Orte gezeigt, in den nicht vorher an Cholera oder an Choleradiarrhöe Leidende oder wenigstens mit den Ausleerungen Cholerakranker beschmutzte Gegenstände (Wäsche) gelangt waren. In den Ausleerungen der Cholerakranken muß also jener die Krankheit fortpflanzende Stoff enthalten sein. Andererseits weiß man, daß Leute, welche häufiger als andere mit den Kranken in Berührung kommen, wie Aerzte, Wärter, oder mit den Ausleerungen zu thun haben, wie Wäscherinnen, keineswegs häufiger erkranken; die Cholera kann daher nicht in der Weise auftreten, wie z. B. die Pocken, daß der Krankheitsstoff durch unmittelbare Uebertragung auf Gesunde die Cholera erzeugt; er muß vielmehr vorher gewisse Veränderungen durchmachen, entweder reifen, oder sich vermehren, oder gar erst eine andere Gestalt annehmen. Wohin soll man nun die Stätte verlegen, an welcher diese Verwandlung vor sich geht, welche den Keim der Cholera zur Erzeugung der neuen Erkrankung fähig macht? Es weist wieder Alles darauf hin, daß dieser Vorgang im Boden stattfindet. Dafür spricht zunächst und vor allen Dingen, daß die Cholera auf weite Entfernung niemals zu Schiffe verschleppt wurde, im Gegentheil hat sich gezeigt, daß die Cholera auf Schiffen erlischt, sich nur auf die am Lande bereits Angesteckten beschränkt und sich auf Andere nicht ausbreitet. Pettenkofer hat hierfür schlagende Beispiele gesammelt. So litt während des Krimkriegs die Mannschaft der Schiffe in den Häfen von Varna und Balaklawa nicht minder an der Cholera, wie die Bevölkerung der Hafenstädte; auf den Schiffen dagegen, die mit kranker Mannschaft auf die hohe See gingen, verlor sich die Krankheit binnen zwölf bis sechszehn Tagen. Auf dem stark bemannten Viceadmiralschiff Britannia erkrankten in der ersten Woche, nachdem es den Hafen von Varna verlassen hatte, soviel Matrosen und Soldaten, daß es selbst an der nöthigen Pflege fehlte. Der Viceadmiral rief darauf ein anderes, aus keinem inficirten Hafen kommendes, cholerareines Schiff an und griff in der Noth zu dem verzweifelten Mittel, kranke Mannschaft auf das gesunde Schiff zu versetzen und gesunde Mannschaft auf sein Schiff zu nehmen: weder von den versetzten gesunden Matrosen, noch von der gesunden Mannschaft des zum Lazareth gemachten Schiffes erkrankte auch nur Einer an der Cholera. Mit Leichtigkeit ließen sich die Beispiele vermehren, die unzweifelhaft beweisen, daß die Cholera zu ihrer weiteren Entwickelung und Ausbreitung nothwendig des Bodens bedarf.

Wenn sich der Cholerakeim nur im Boden zu seiner Reife entwickeln kann, so ist doch nicht jeder Boden dazu geeignet; Cholerakranke sind in viele Orte gekommen, ohne daß sich an diesen die Cholera weiter ausbreitete, es gehört dazu noch eine besondere Beschaffenheit des Bodens, wie wir sie bereits oben bezeichneten. Der Boden muß locker, porös sein, muß kurze Zeit vorher gründlich durchfeuchtet und mit Düngstoffen getränkt sein. Die gründlichsten Untersuchungen haben dargethan, daß sich der Cholerakeim nur da weiter entwickelt, wo die Durchfeuchtung des Bodens stattgefunden hat, und zwar entweder durch eine intensive oberirdische Bewässerung (durch lange Ueberschwemmung, durch starken Schneefall, wie kürzlich in den von der Cholera heimgesuchten Orten des sächsischen Erzgebirges) oder, was aus leicht begreiflichen Gründen der Beobachtung bisher entgangen war, durch eine unterirdische Ueberschwemmung. Ueberschwemmungen letzterer Art werden durch das Grundwasser bewirkt und hierin liegt die Bedeutung, welche das Grundwasser für den Gesundheitszustand hat: es ist eine Hülfsursache, eine verborgen, aber gewaltig wirkende. Um den Boden für die Entwickelung des Cholerakeims geschickt zu machen, ist es nicht unbedingt nöthig, daß das Grundwasser vor seinem Zurücksinken einen außerordentlich hohen Stand gehabt hat; es braucht blos ein gutes Stück zurückzugehen; aber wenn der Boden vorher bis nahe zur Oberfläche durchnäßt worden ist, erreicht der entwickelungsbedürftige Cholerakeim leichter die ihm zusagende Bodenschicht und wird solcher Boden zur Ausbildung des Keims mehr beitragen. Mit diesen Voraussetzungen stimmen eine große Zahl von Erfahrungen über die Ausbreitung der Cholera überein. Vorwiegend erreicht die Cholera im Spätsommer und im Herbst ihre höchste Ausbildung, zu einer Zeit also, wo das Grundwasser schon von seinem höchsten Jahresstand zurückgegangen ist; sie breitet sich den Wasserläufen, den Thalmulden entlang aus und folgt keineswegs vorzugsweise den Verkehrsstraßen des Landes; Thallehnen werden oft von der Cholera verschont, während ihre Thalmulden schwer unter ihr leiden; thalauf war sie oft nicht vorhanden, thalabwärts wüthete sie auf’s Heftigste; in Niederungen und weiten Ebenen hielt sie sich hartnäckiger, als in Gebirgsgegenden.

Endlich ist noch ein Umstand für die Ausbreitung der Cholera maßgebend: die Durchtränkung des Bodens mit Düngstoffen. Nicht die Aufhäufung des reinen Düngstoffs ist der Entwicklung des Cholerakeims günstig; er bildet sich in den Düngerstätten ebensowenig aus, wie das Samenkorn in purem Dünger wächst; die Vertheilung des Düngstoffes im Boden macht diesen erst für den Cholerakeim fruchtbar. Häuser mit Senk- oder Versieggruben, unter denen der Boden weit umher mit Düngstoffen imprägnirt ist, sind ganz besonders gefährdet, vorzugsweise aber solche, deren Düngerstätten oberhalb des Grundes liegen, so daß auch die oberflächlichsten Schichten von Düngstoff durchsetzt werden. Diese Verhältnisse haben allenthalben in der Ausbreitung der Cholera einen höchst verderblichen Einfluß gezeigt. Nicht minder nachtheilig erwies sich der Gebrauch unreinen, mit Jauche vermischten Wassers, wie es in der Nähe von Düngerstätten angelegte Brunnen oder Flüsse, in welche Cloaken münden, liefern; solches Wasser führt dem Boden den Düngstoff in der nöthigen Verdünnung zu und übt außerdem auf die, welche es genießen, einen noch besonders verderblichen Einfluß aus.

Die Cholera ist aber nicht die einzige Krankheit, deren Entwicklung vom Gang des Grundwassers abhängt, nicht die einzige Bodenkrankheit, wie man sie nennen kann. Ganz gleiche Verhältnisse sind von dem Wechselfieber und dem Unterleibstyphus nachgewiesen. Das Wechselfieber tritt nur in Sumpfgegenden auf, wo also das Grundwasser fast immer einen hohen Stand einnimmt; es zeigte sich in beschränkten Oertlichkeiten einer Stadt, die hohes Grundwasser hatten, während in den benachbarten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_279.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)