Seite:Die Gartenlaube (1866) 312.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ein einfaches Geschäft, das mit Geld möglicherweise so schnell zu erledigen sei, daß wir vielleicht den kommenden Tag schon wieder frei wären. – Wir waren wenige Schritte gegangen, so führte uns das dunkle Schicksal, das sich in das düstere Gewand von Briganten gehüllt, einen vierten Reisegefährten zu. Es war R. Gubler, den die Räuber zur gleichen Zeit in einem nach seiner Wohnung führenden Sträßchen angetroffen hatten. Auch er mußte sich dem Zug anschließen, damit die Briganten ungestörter ihre Geschäfte verrichten könnten.

So zogen wir dahin, an meiner Wohnung vorbei und zwar keineswegs so still und geräuschlos wie anfänglich. Man denke sich meine Stimmung! Oben in meiner Wohnung sah ich Licht, sah im Geiste die besorgte Gattin meiner wartend, die nichts von meinem Schicksal ahnte. Und ich durfte keinen Laut von mir geben! Vorüber, vorüber! Der Weg führte uns durch eine Meierei, wo Friedli den tollkühnen Gedanken faßte, durch einen beherzten Sprung die Böschung hinab seine Freiheit zu suchen. Vielleicht wäre ihm die Flucht unter dem Schutze der tiefen Dunkelheit gelungen, wäre er nicht unglücklicher Weise in einen Graben gestürzt, der ihn aufhielt. Es währte nicht lange, so brachten sie ihn wieder zurück.

Ehe wir nun unsern Marsch fortsetzen, muß mir der Leser einige Schritte rückwärts folgen zum Hause meiner Gattin. Als Viertelstunde um Viertelstunde verronnen war und ich immer nicht heimkehren wollte, wurde meine Gattin unruhig. Verschiedene Gedanken und Befürchtungen bemächtigten sich ihrer, bis endlich die Ahnung immer mehr Gestalt annahm, ich möchte auf diesem allerdings nicht mehr ungewöhnlichen Wege in Geschäfte mit den Briganten verwickelt worden sein. Die Vermuthung wurde beinahe zur Gewißheit gesteigert durch die Aussage der Schwester meiner Frau. Sie hatte nämlich eine Gesellschaft von Männern – wahrscheinlich unsere Gesellschaft selbst – nahe am Hause vorbeigehen sehen. Da aber kein Ruf, kein Aufschrei und kein Waffengeräusch hörbar geworden, so hatte sie an nichts Arges gedacht.

Diese Andeutungen waren mehr denn genügend für meine Gattin, und sie eilte rasch entschlossen ganz allein in die Dunkelheit hinaus nach der Fabrik, um sich dort nach mir zu erkundigen. Man denke sich nun den Schrecken Aller, als man weder hier noch in der ganzen Nachbarschaft etwas von mir und meinen Begleitern wissen wollte, als die eifrigsten Nachforschungen kein Resultat ergaben und als nur noch die Annahme übrig blieb, daß wir sämmtlich durch Briganten gefangen genommen sein müßten!

Sofort wurde nun nach Salerno geschickt, Anzeige gemacht von dem Vorfalle, Militär aufgeboten und den Flüchtigen nachgesandt. Und nicht lange stand es an, daß man unzweideutige Spuren unserer Flucht und damit vollste Gewißheit von unserem Schicksale hatte. Allein bis dahin war eine verhältnißmäßig lange Zeit verstrichen. Es war Mitternacht und wir mit unserer anmuthigen Begleitung längst über alle Berge, obgleich die Bande sich gar nicht besonders beeilt hatte; sei es, daß Meister Manzo alle diese Umstände schon zum Voraus genau in Berechnung gezogen; sei es, daß er den Diensteifer und den Todesmuth der Truppen zu Salerno längst aus Erfahrung kannte.

Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung wieder zu unserem Marsche zurück. Jeder von uns hatte zu größerer Sicherheit einige dieser Industriellen als Schutzmänner bekommen, und so ging es, nachdem Manzo auf dem Wege noch einen Wasserwächter hatte mitgehen heißen, um einen Verrath unmöglich zu machen, in dunkler, feuchtkalter Nacht einem Bache entlang, den wir bald zu überschreiten hatten. Dann ging’s weiter bergunter und bergauf, auf ungebahnten Wegen, die nur kletternden Ziegen und ihren Hirten bekannt sind, durch düstere Waldreviere, grause Schluchten, an drohenden Abgründen im zerrissenen Gebirge, schweigsam, jeder seinen eigenen Betrachtungen überlassen, aus denen wir nur durch erst öfters sich wiederholendes rauhes „Vorwärts“, begleitet von wüsten Drohungen, aufgeschreckt wurden, wenn die ungewöhnte Anstrengung und die eintretende Müdigkeit sich unser bemächtigten. Es sind lange und bange Stunden gewesen, die wir, Jeder einen Briganten auf den Fersen, in dieser Nacht verlebten, todmüde und stets gehetzt von dem eilenden Gesindel, und es wird mir immer in Erinnerung bleiben, mit welchem Gefühle ich drüben im Osten den ersten Lichtstreifen, den Vorboten des jungen Tages, am Horizonte aufblitzen sah. Endlich, endlich wurde es Tag, und nicht weniger erstaunt mochte die junge Sonne auf unsere gemischte Gesellschaft herabsehen, als wir selber Einer dem Andern in’s Gesicht blickten. Ich weiß nicht, soll ich es Ueberraschung oder soll ich es Enttäuschung nennen, was sich meiner bemächtigte. Ich hatte wenigstens geglaubt, wahrhaftige Banditen, echte Räubergestalten vor mir zu sehen, wie man sie etwa in Rinaldo Rinaldini’s Lebensbeschreibung oder auf Lithographien in Bauern-Wirthshäusern zu sehen bekommt. Was fand ich aber? Ganz gewöhnliche Menschenkinder, meist dem ehrsamen Stande der italienischen Ziegenhirten angehörend, aus welcher Menschenclasse die Briganten sich zunächst recrutiren, Geißhirten, welche die Lust angewandelt hatte, sich einmal in ergiebigern Artikeln zu versuchen. Sie waren Alle ordentlich, fast möchte ich sagen, gut gekleidet, sodaß Jeder von ihnen als ganz unverdächtig taxirt worden wäre, hätte man ihn unter ehrliche Leute gesteckt.

Täuscht mich mein Gedächtniß nicht, so begegneten wir an diesem Tage einer Patrouille der Guardia Mobile (eine Streifwache von Landleuten), die aber weder das Bedürfniß, noch den Muth fühlten, einen Angriff auf die Bande zu wagen, zumal sie Meister Manzo und dessen Kühnheit wohl kannten. Einer dieser Helden von der mobilen Garde – so erzählte man uns später – habe seinem Chef hoch und theuer versichert, daß Manzo mit einem einzigen Schusse drei der Tapfersten niederstrecken werde. Was Wunder, wenn der Patrouillenchef wenig Lust hatte, mit den blauen Brigantenbohnen Bekanntschaft zu machen. Es mag am Platze sein, das hier anzureihen, was ich später über Manzo von einem seiner Verwandten erfuhr. Manzo war seines Zeichens ebenfalls Viehhirt und zwar von drei Brüdern der zweitälteste. Ihr Geburtsort ist Acerno. Die Härte, mit der ihn früher der Sindaco seines Ortes behandelt hatte, trieb ihn zur Rache. Mit seinem ältern Bruder erschoß er den grausamen Dorfregenten, rettete sich in die Wälder und war nun Brigant. Zu seinem Lobe muß ich beifügen, daß man behauptet, er habe sonst keinen Mord auf dem Gewissen und mache überhaupt eine vortheilhafte Ausnahme von Andern seines Gelichters.

Der größere Theil seiner Bande – sie war dreiundzwanzig Mann stark – ist ebenfalls aus der Gegend von Acerno, einem Dorfe in einer Gebirgsgegend, welche an Wildheit und Zerklüftung mit jeder Partie unserer Schweizer Kalkalpen wetteifert. Hier haust noch urgemüthlich der Wolf, und auf unserm Märsche sahen wir einst, wie zwei solcher Bestien auf einen etwas zurückgebliebenen Briganten zuschlichen zur Recognoscirung ihres Opfers. Die schnell herbeigeeilte Bande verhütete ein Unglück.

Hier, auf diesen zerrissenen Gebirgen, wo nur der schwindelfreie Ziegenhirt und seine leichtfüßige und leichtfertige Heerde eine Heimath finden, hier sind die sichern Schlupfwinkel des Räubers. Hier übersieht er die ganze Gegend, überschaut jede drohende Gefahr, der er dann mit Leichtigkeit ausweicht. Hier können die Ritter vom Stegreif auch leicht von ihren Helfershelfern mit Speise und Trank und den nöthigen Bedürfnissen versehen und vor Gefahren gewarnt werden; hier bewachen sie ungestört ihre Opfer und sehen mit aller Gemüthsruhe den etwa gegen sie unternommenen Verfolgungen entgegen. Diese Helfershelfer sind meist wohlhabende Grundbesitzer. Dies beweisen alle Processe gegen die Briganten, namentlich auch derjenige Giardullo’s, dessen Haupthehler der Baron Perotti war. Sogar Officiere der Nationalgarde machen nicht selten Geschäfte der Art, wobei ihnen namentlich der Umstand zu statten kommt, daß sie die Bewegung der Truppen den Briganten verrathen können.

Müde und matt bis in’s Herz, zerrissen an Kleidern und Schuhen, wurden wir von unseren Peinigern endlich auf den schrecklichsten Pfaden in ihren Schlupfwinkel im düstern, schweigsamen Walde gebracht. Rasch wurden einige Bäume gefällt und eine Blockhütte aufgeschlagen, welche nur nothdürftigen Schutz gegen die rauhe Herbstwitterung gewährte. Kaum waren wir untergebracht, als schon Manzo mit Papier, Tinte und Feder kam und Herrn Wenner aufforderte, zu schreiben. Der Inhalt des Briefes wurde kurz, aber inhaltsschwer, dahin präcisirt: „Sie schreiben Ihrem Vater, daß er für Sie 200,000 Ducati (850,000 Frcs.) zu erlegen habe!“ – „Ich schreibe dies nicht, war die entschiedene Antwort des jungen Wenner. – „So schreiben Sie 150,000,“ erwiderte Manzo erregt. – „Ich schreibe auch dies nicht,“ gab Wenner abermals zurück. Manzo beantwortete die abermalige Weigerung mit einigen Ohrfeigen, ich aber bemerkte Wenner, daß es sich einstweilen nur um das Schreiben, keineswegs aber schon um

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_312.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)