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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Aenderung der Textworte hatte eine wunderbare Wirkung auf uns Alle ausgeübt, wir ersuchten deshalb den Capitän Alexander Cosmar, der wie ich ein Deutscher von Geburt und der beliebte Führer der Compagnie E[1] war, uns auch eins seiner das Herz tief ergreifenden deutschen Lieder vorzusingen. Cosmar folgte dem allgemeinen Wunsche und sang mit seiner klangreichen und ausdrucksvollen Stimme Heinrich Hoffmann’s schönes Lied von den „drei Liebchen“, das von Wilhelm Speier componirt und von F. Malone Raymond in’s Englische übersetzt ist.

Cosmar’s Lied hatte eine etwas melancholische Stimmung unter uns hervorgerufen. Man sang deshalb noch verschiedene muntere Kriegslieder und mancher herzstärkende Toast wurde beim Klange der Gläser, in denen ein köstlicher Catawba funkelte, auf künftigen Sieg, auf Oberst Fanning’s und seiner Gattin Wohl, auf Emancipation der Sclaven etc. ausgebracht. Allein Oberst Fanning war ungewöhnlich still geworden. Er war gerade nicht traurig, denn er sprach manch heiteres Wort und entzog sich durchaus nicht der allgemeinen Unterhaltung; aber ein gewisser stiller Ernst war über Alles, was er sagte oder that, ausgebreitet und sein dunkles Auge folgte mit einem eigenthümlichen Ausdrucke fast jeder Bewegung seiner liebenswürdigen jungen Frau.

Endlich drangen wir in Capitän Francis Carter, unseren „ältesten Mann“, einen ernsten Junggesellen von fünfundvierzig Jahren, daß er auch ein Lied singen oder einen Toast ausbringen möchte. Capitän Carter war von Geburt ein Engländer, er hatte ein vielbewegtes Leben geführt und war, obschon er das Herz und den Kopf auf dem rechten Flecke hatte, dem Anscheine nach oft unfreundlich und abstoßend, selbst gegen seine besten Bekannten. Wider unser Erwarten ging er nach einigem Zögern auf unsern Wunsch ein und sang mit einer zwar etwas rauhen Stimme, aber doch mit einem aus dem Herzen kommenden und zum Herzen dringenden Gefühle ein Lied von Thomas R. Hervey, dessen Schlußverse also lauteten:

„Rings Rundgesänge und glühende Lust, –
Nur mir ist allimmer verödet die Brust!
Rings heitre Gesichter und Busen voll Freude,
Nur mein Herz dünkt mir des Kummers Beute!
Ich bin wie ein Mehlthau in blühendem Land,
Und eng ist der düstere Kreis, der mich bannt.

Ich gehe herum, wie ein Schatten der Noth,
Im Hirne den Zauber, im Herzen den Tod;
Ich zitt’re, wenn Lust und Jubel frohlocken,
Und die Pulse des trauernden Herzens stocken;
Ich sollt’ in der Welt ein Fremdling sein,
Und ich sitze im Gram – und ganz allein!“

Dem Gesange Francis Carter’s folgte tiefes Schweigen. Das Mondlicht fiel voll und hell auf die Antlitze der Krieger, auf die jungen wie auf die älteren, aber auf allen lag der Ausdruck treuer, fester Entschlossenheit, möge kommen, was da wolle. Grace Fanning versuchte vergebens wiederum eine lebhaftere Unterhaltung hervorzurufen; auch war es bereits spät geworden, und so schieden wir denn unter freundlichen Gutenachtwünschen und verschiedenen Plänen für den kommenden Tag von unserem Gastgeber, dem Oberst Fanning und seiner von uns Allen gefeierten Frau.

Ich ging zuletzt. Da rief mich der Oberst noch einmal zurück und sagte mit fester, doch tief bewegter Stimme: „Ich freue mich von Herzen, daß Du hier bist, Robert; Grace würde doch nicht so ‚ganz allein‘ sein, wenn ich –“

Hier legte sich ihre kleine, weiße Hand auf seine Lippen, die sie mit Küssen bedeckten, und wir trennten uns in froher Zufriedenheit. Nachdem ich eine kurze Strecke gegangen war, stand ich still und blickte zurück. Da standen sie unter dem Sternenbanner. Ihr schöner Kopf ruhte vertrauensvoll an seiner Brust, seine starken Arme hielten sie liebend und schützend umfangen und Beide umfloß mit wunderbarem Reize das Licht der „mondbeglänzten Zaubernacht“. Nie sah ich ein schöneres Bild männlicher Kraft und beglückender, hingebender Frauenliebe. –

Ich eilte – es war bereits 11 Uhr – mit raschen Schritten meinem Zelte zu. Tiefe Stille herrschte schon im ganzen Lager, der Zapfenstreich war längst verhallt; die Nachtfeuer waren heruntergebrannt und die braven Jungen unseres Regimentes in einen wohlverdienten, tiefen Schlaf gesunken. Nur aus dem hastig hergerichteten Feldhospitale tönte dann und wann ein leises Stöhnen von drei oder vier kranken Soldaten, deren schwache Constitutionen den Beschwerden des anstrengenden Marsches erlegen waren und die nun unter heftigen Fieberphantasien große Schmerzen erduldeten. Obschon ich volle Sympathie für das Leiden jener Unglücklichen hatte, so kehrten meine Gedanken doch stets zum Oberst Fanning und zu seiner ebenso tugendhaften, wie schönen Gattin zurück, bis ich endlich gegen zwölf Uhr fest und ruhig einschlief.

Kaum mochte ich eine Stunde geschlafen haben, da ertönte mit einem Male hell und laut das Alarmsignal. Nur Derjenige, welcher dies Zeichen vernommen hat, unter Umständen, wo es augenblickliche Gefahr und möglichen Tod bedeutet, vermag sich eine richtige Vorstellung von dem gleichsam in’s Herz einschneidenden Gefühle zu machen, mit welchem ich, einem festen Schlafe plötzlich entrissen, von meinem Lager aufsprang und mich in der größten Hast zum Kampfe rüstete. Ich war schnell gewesen, und doch waren Andere mir bereits zuvorgekommen; ich fand unsere Leute, halbangezogen, vor dem Lager in Schlachtreihe aufgestellt und nahm sogleich meinen Platz ein.

Hinter uns lag das Lager, wie eine breite, mit einer doppelten Reihe von Zelten besetzte Straße, an deren unterem Ende das alte Blockhaus stand; nahe bei diesem, doch ein wenig mehr in der Fronte, befand sich das Hauptquartier mit der darüber wehenden Fahne. Vor uns war der Oberst, der Wald und die blinkenden Säbel einer starken feindlichen Cavalerieabtheilung. In wildem Galopp kamen sie herangebraust, die feindlichen Reiter, unbekümmert, wie viel Sättel durch unsere Kugeln leer wurden; aus dem Dickicht des Waldes stürmten sie in dunklen Massen heran und hieben mit rasender Wuth auf uns ein. Der Mond stand hoch am Himmel und es war fast so hell wie am Tage.

So wüthend der Angriff, so fest und tapfer war der Empfang. Oberst Fanning’s Stimme ertönte laut durch die Nachtluft, den Kampf ordnend und die Leute ermuthigend. Der Feind machte eine Schwenkung zur Linken, um uns im Rücken anzugreifen; doch ruhig traf der Oberst seine Gegenmaßregeln, und wir blieben unflankirt. Wiederum stürmten sie heran in vollem Rosseslaufe; wiederum warfen wir sie mit unerschrockenem Muthe zurück. Jetzt schien unserem tapferen Obersten der Augenblick gekommen, von der Vertheidigung zum Angriffe überzugehen. Mit gefälltem Bajonnete drangen wir vorwärts; unser Angriff war unwiderstehlich, der Feind wich – und ein lautes, siegverkündendes „Hurrah“ schallte donnernd durch unsere Reihen. Allein unser Siegesgeschrei war verfrüht, und statt Freude und Triumphgefühl zog Kummer und Sorge in unsere Herzen ein. Denn Oberst Fanning, unser geliebter Führer, war gefallen. Ein tückischer, aber wohlgezielter Carabinerschuß hatte ihn mitten in der Brust getroffen. Treue, brave Soldatenhände hoben ihn auf; sein jugendlich-schönes Antlitz war blaß und seine starke, breite Brust in Blut gebadet. Man trug ihn hin, wo seine Frau war. Plötzlich, durch die schüttelnde Bewegung wieder zu sich gekommen, öffnete er die Augen und rief: „Muth! Sieg! Cameraden! Vorwärts und nimmer verzweifelt!“ Als er mich erblickte, rief er mich zu sich und sagte: „Geh’, Robert, und bereite sie vor!“

Ich überließ einem erfahrenen Unterofficiere meinen Platz, und bevor man den auf den Tod verwundeten Führer nach seinem Zelte durch unsere Reihen hindurch zurückgebracht hatte, war ich demselben bis auf wenige Schritte nahe gekommen. Da stand sie, mit hochklopfendem Busen der kommenden Dinge wartend, einen kleinen Revolver in der Hand; ein leichter Mantel umhüllte die feine Gestalt, und über ihre Schultern herab floß in goldenen Wellen ihr prachtvolles Haar. Ich sah sie still und ernst an; sie begriff, daß etwas Schreckliches an sie herantrat, und während ich nach Worten suchte, blieb ihr wild und ängstlich umherirrendes Auge auf einer vom Monde hellerleuchteten, lichten Stelle des Waldes haften, da erblickte sie ihn und seine Träger. In wenigen Secunden war sie an seiner Seite; thränenlos und blaß, die Hand auf seinem Herzen, ging sie mit den Trägern dahin. Die Soldaten, selbst tief erschüttert, legten ihren Führer sanft auf die Erde, nachdem man die Fahne, welche den Abend vorher Grace’s Stuhl geziert hatte, über dieselbe ausgebreitet. Mit einer ernsten, befehlenden Handbewegung, die aber durchaus nicht verletzend wirkte, sandte sie die Krieger, welche ihr ihren Gatten gebracht hatten, in den Kampf zurück. Dann aber sank sie neben diesen mit dem schmerzlichen Ausrufe nieder: „O Robert, wird er niemals wieder mit mir sprechen? So hilf ihm, hilf ihm doch!“

  1. Die verschiedenen Compagnien eines Regiments waren in der amerikanischen Armee nicht mit Zahlen, sondern mit Buchstaben benannt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_330.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)