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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Frankfurts, die zum Unterpfande für gewissenhafte Erfüllung der auferlegten Pflicht dienen mußten, in Freiheit gesetzt werden. Ich werde aber auch ferner wachen, daß diesem Hause – mag die nächste Zeit noch so Furchtbares bringen – kein Leid widerfahre. Es ist ja das theuerste Interesse, welches mich an dasselbe knüpft. Ja, theures Mädchen, lassen Sie mich in diesem glücklichen Augenblicke Ihrer Frau Mutter Alles gestehen und auch um ihre Zustimmung bitten, wie ich schon das Wort Ihres Vaters habe, das mich unendlich beseligt.“

Die Mutter war durch diese plötzliche Eröffnung, besonders was ihren Gatten betraf, ganz aus der Fassung gekommen; was sie erwiderte, war ohne Zusammenhang. Sie sprach von „schmeichelhaft, großer Ehre, Ueberraschung“. Dorothea, in peinlichster Ungeduld, mußte das Wort für sie nehmen; gerade, wenn Stamm ihren Vater vor einem ungerechten und überstürzten Urtheilsspruch gerettet hatte, durfte er nicht getäuscht oder hingehalten werden.

„Herr Stamm,“ begann sie mit bebender Stimme, „wir sind Ihnen zu ewigem Danke verpflichtet, aber ich darf Sie nicht in Ungewißheit lassen, daß die Andeutungen, welche Sie … der Mutter ausgesprochen haben … zürnen Sie mir nicht, wenn ich Ihnen eine Hoffnung nicht bestätigen kann – mich trifft keine Schuld –“

„O geliebtes Mädchen, ich habe Ihr Zartgefühl verletzt, in soldatischer Frankheit Sie überrascht, verzeihen Sie mir! Berathen Sie sich mit dieser edlen Frau, sprechen Sie mit Ihrem Vater. Ich bestrafe mich für meine Unvorsichtigkeit, indem ich mich aus Ihrer himmlischen Nähe verbanne; ich werde mein Schicksal mit Geduld erwarten.“

Er sagte das so rührend, daß Thränen in das Auge der Mutter traten und sie ihm, als er raschen Abschied nahm, allerdings Hoffnungen machte, während Dorothea darüber unwillig wurde.

„Kind, Du böses Mädchen, was thust Du?“ rief die Mutter, von der Thür zurückkommend. „Willst Du ihn zu unserm Feinde machen, wenn der Vater und wir Alle noch in der Gewalt der Franzosen sind?“

„Glauben Sie ihm denn, Mama?“ entgegnete Dorothea, welche mehr und mehr den Gedanken, der ihr bei dem Blick in Stamm’s Augen aufgeblitzt war, zur Klarheit brachte. „Er ist schon so sehr Franzose, daß er uns Deutsche durch das plumpste Stücklein zu bethören wähnt. Warten wir doch ab, was der Vater über die gegen ihn angestellte Untersuchung sagen wird!“ Der Mutter wurde bei dieser neuen Anschauung der Dinge ganz schwindlig; sie konnte sich mit ihrer Tochter wie schon oft bei Meinungsverschiedenheiten, in keinen Ideenkampf einlassen.

Gegen Mittag große Freude! Hartinger kehrte wirklich zu den Seinigen zurück. Die Million war bezahlt, die Geiseln wurden in Freiheit gestellt, der Stadt blieb es überlassen, beim Nationalconvent in Paris wegen der noch rückständigen Summe der Contribution Schritte zu thun. Ueber sein eigenes Schicksal ließ sich Hartinger gegen Frau und Kind nicht aus; er konnte sich über die Behandlung nicht beschweren, von einer Anklage, wie ihm Dorothea sagte, wußte er nichts, verhört war er gar nicht worden, und als Stamm sein Retter genannt wurde, rief er ungeduldig: „Laßt mich damit zufrieden! Ich habe die ganze Wirthschaft satt!“

War er geheilt von seiner Vorliebe, die mit seinen sonstigen Ansichten über die eigene Stellung und deren Vorrechte, welchen er keineswegs zu entsagen gesonnen war, schon in manchen Conflict gerathen sein mußte? Diese Frage, die so nahe lag, hätte sich dem scharfen Verstande seiner Tochter aufdrängen müssen, wenn sie nicht für sich selbst hätte denken und sorgen müssen. Denn die Mutter, obschon sie für den Moment die verdrießliche Stimmung ihres Mannes scheute, kam doch sehr bald auf Stamm zurück, weil sie nach dessen Behauptung als gewiß annehmen mußte, daß sein Antrag bereits die Zusicherung des Vaters hatte. Hartinger war mit ihr allein, als sie ihn ohne Eingang danach fragte. Er fuhr heftig auf: „Das ist gelogen!“ rief er. „Willst Du sie ihm etwa geben? Wie steht es mit Doris?“ Ohne die Antwort abzuwarten, ging er gleich nach Dorothea’s Zimmer, der Frau gebieterisch winkend, daß sie zurückbleiben solle.

„Hast Du hinter meinem Rücken ein Liebesverständniß angeknüpft?“ war seine erste, barsche Frage, als er vor seiner Tochter stand.

„Vater!“ rief sie, und ihr Ton, noch mehr ihr Blick, gab ihm die Antwort, die er forderte.

„Herr Daniel Stamm, französischer Bürger und Adjutant des hohen Bürger-Generals, hat sich auf mich berufen, hat er das?“ fuhr der Vater fort. „Er hat Euch weis gemacht, meinen Kopf der Guillotine entzogen zu haben – eine Puppenkomödie! Mit Redensarten fängt man uns nicht, das habe ich ihm gesagt, wir wollen die Wechsel, die sie auf Freiheit und alle möglichen Erdengüter ausstellen, auch durch die That honorirt sehen!“

Dorothea athmete hoch auf. Aehnliche Worte hatte sie selbst schon an ihren Vater gerichtet, der sie von sich gewiesen hatte, so lange er nicht selbst von den Consequenzen des französischen Treibens betroffen worden war. Die Tochter konnte sich diesem demüthigenden Gedanken nicht verschließen. Wie hatte er sonst auch über Stamm gedacht! Jetzt, da er so verächtlich von ihm sprach, fühlte sie sich fast berufen, ihn wenigstens gegen den Verdacht gemeinster Absichten, deren ihn der Vater zieh, in Schutz zu nehmen.

„O schweig!“ rief Hartinger. „Wenn ich Dich enterbte, würdest Du in seinen Augen auf einmal häßlich sein, wie eine Eule. Du hast ihm also keine Hoffnung gemacht? Liebst ihn nicht, bist vielleicht einem Andern gut?“ Er sagte das mit einem Ausdruck, der wahrhaft besorgt klang, und gleichsam den Lippen abgezwungen, nannte er den Namen seines Neffen, wobei er der Tochter ängstlich in das Gesicht sah.

„Ich kann nicht falsch sein,“ erwiderte Dorothea erröthend, aber mit freiem Blick. „Wie sehr es auch der Wunsch meiner Eltern scheint, ich bin dem Vetter herzlich gut, aber wie ich der Mutter schon erklärt habe …“

Hartinger schloß sie heftig in die Arme. „Mein Wunsch!“ rief er, sie auf die Stirn küssend. „Gott soll mich vor der Sünde bewahren. Nein, Kind, bleibe ihm gut, liebe ihn wie … eine Schwester! Haltet treu zusammen, ihr Beiden, als Freunde euer Leben lang, auch wenn Du einen braven Mann geheirathet haben wirst.“ Er gerieth in eine so tiefe Bewegung, daß ihm die Stimme versagte. Welches Räthsel bei dem sonst so kalten, ruhigen Manne!

(Schluß folgt.)




Eine Kaiserburg in der Republik.
Von A. Corrodi.


Die Vorbereitungen des Krieges werden immer drohender und lauter, bald wird Ihr liebes Deutschland ein einziges großes Feldlager sein, und je mehr die immer noch still genährten Friedenshoffnungen schwinden, desto sehnsüchtiger blickt so Mancher nach einem ruhigen Asyle, wo er, wenn das grimme Waffenhandwerk zu blutiger Arbeit kommt, sich und die Seinigen vor den Schrecken der entfesselten Kriegsfurie in Sicherheit bergen könne. Und wem es Mittel und Lebensstellung erlauben, der wendet sich dann wohl zunächst nach unserer Schweiz, als dem am leichtesten zu erreichenden Port, um dort im Schutze der sichern Alpenveste die Tage der Noth draußen vorüberbrausen zu lassen. Solche Flüchtlinge werden für diesen Sommer den Schweizern einen Theil der sonstigen Touristenschwärme ersetzen müssen, und wenn sich die meisten jener Flüchtlinge auch in den großen Fremdencentren Zürich, Luzern, im Berner Oberlande zusammenfinden werden, gar Vielen wird es doch um minder heimgesuchte Landschaften zu thun sein. Ihnen wollen wir im Nachstehenden eine solche zeigen, die zwar kein See- und kein Alpenbild, doch des Schönen und auch geschichtlich Interessanten genug bietet. – Die Stadt Winterthur, eine der reichsten der Schweiz, ist allgemein bekannt. In ihrer Nähe im Süden zieht sich über langgedehnte Hügel und durch kühle Schluchten der Eschenbergerwald hin, das eigentliche Bijou des Winterthurers. Auch heut’ noch, trotzdem eine musterhafte Forstwirthschaft alle Thiere des Waldes, mit Ausnahme der befiederten, verscheucht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_372.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)