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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ruhen wir nun von unserer genußreichen Wanderung auf dem reizenden Plätzchen hinter dem grauen Thurm über der Waldtiefe und versenken uns in Erinnerung an Gründung und Schicksal dieser stolzen großen Burg, so müssen wir in graue Vorzeit uns zurückziehen. Da war denn auch die Kyburg ein Vertheidigungspunkt der alten Römer, wie der Mörtel und der Steinverband an den untern Theilen der Ringmauer und des viereckigen Thurmes beurkunden. Zum festen Punkt ist dieser Platz von der Natur überhaupt wie geschaffen, da er nur von der Südseite, von der flachen Hügelebene her, wirksam belagert werden konnte, dagegen von den drei übrigen Seiten durch tiefe und steile Abhänge wirksam geschützt ist. Starke Gräben schützten auch die zugängliche Südseite. Solid, echt römisch solid ist der noch stehende Theil der Ringmauer zwischen dem Wohngebäude und dem Ritterhause, nämlich zwölf bis vierzehn Fuß. Aber trotzdem steht zu vermuthen, daß das Castrum zwischen 407 und 412 in die Hände der Alemannen fiel und von einem ihrer Häuptlinge als Wohnsitz erkoren wurde. Im Laufe der Zeiten ward die Kyburg noch mehrere Male belagert, genommen und zerstört. So im Jahr 1027 durch Kaiser Conrad den Zweiten nach dreimonatlicher Belagerung; fünfzig Jahre später im Welfen- und Ghibellinenkampf nahm und zerstörte es theilweise der mächtige Abt Ulrich von St. Gallen, der Freund Heinrich’s des Vierten.

Aber der glänzendste Name, der sich an Kyburg heftet, ist Rudolf von Habsburg, der hier, als Neffe des mächtigen Grafen Hartmann von Kyburg, zum Oefteren seinen Aufenthalt nahm und von hier aus manch’ fröhlich Reiterstücklein mit Freiherrn Lütolf von Regensberg ausfocht, von hier aus auch zur Belagerung von Basel zog, wo ihn die Kunde seiner Erwählung zum deutschen Kaiser traf. Er war es auch, der die Reichskleinodien hierher brachte, die auch noch sein ältester Sohn, der nachmalige Kaiser Albrecht, hier in Verwahrung ließ. Von großer Bedeutung aber für das benachbarte Winterthur war es, daß Graf Rudolf die Ansprüche der Winterthurer, die vom Grafen Hartmann dem Aelteren an die Kirche von Straßburg verschenkt worden waren, prüfte und ihnen durch den Stadtrechtsbrief vom 22. Juni 1264 umfassende Rechte und Freiheiten ertheilte und sie durch diese That der Klugheit und Großmuth eng an das Haus Habsburg fesselte. Damals geschah auch die Schenkung des Eschenberger Waldes. Dafür kämpften dann die dankbaren Winterthurer für den nun zum deutschen König gewordenen Rudolf und standen in der fürchterlichen Feldschlacht auf dem Marchfelde gegen Rudolf’s Gegner, Ottokar von Böhmen, heldenmüthig in den vordersten Reihen (1278). Für diese Treue erhielten sie neue Gunstbezeigungen und den zweiten Löwen in ihr Panner und Wappen.

Später ward Kyburg im Namen Oesterreichs von Vögten verwaltet und blieb noch lange ein Hauptstützpunkt desselben in Helvetien. In den Kriegen der Eidgenossen gegen Oesterreich hatte auch Kyburg manche harte Bedrängniß zu erleiden und wurde, als Oesterreichs Macht in den oberen Landen sank, zuerst an Johannes von Bonstetten und neun Jahre später an die Grafen Donat und Diethelm von Toggenburg verpfändet, bis endlich Schloß und Grafschaft an Zürich fielen, das es durch Landvögte verwalten ließ, unter denen namentlich Ritter Schwarzmaurer, Felix Brennwald und Hans Rudolph Lavater, dessen Contrafactur im Rüstsaal sitzt, sich auszeichneten. Die Bildnisse von dreizehn dieser Landvögte erstand in jüngster Zeit Oberst Pfau von einem Bewohner des Dorfes Kyburg und schmückte damit das heimelige Gertrudzimmer. Es ist überhaupt hier der Ort, zu erwähnen, daß dies berühmte Schloß jetzt in den besten Händen sich befindet, von dem alterthums- und geschichtskundigen Besitzer in allen seinen Theilen genau erforscht und umfassend restaurirt wurde, so daß es nun zu einem herrlichen, beneidenswerthen Sitz geworden ist, freilich nicht, ohne daß es noch Anno 1830 in seinen Grundvesten erzittert wäre, als einige Fabrikanten die stolze Welfenburg den Berg hinabstürzen und unten an der Töß in der reizenden Gestalt einer Fabrik wieder aufbauen wollten. Aber die Würgengel mußten abziehen, indem einige Männer von Winterthur, darunter der Vater Pfau’s, das Schloß vom Staat ankauften. Dreißig Jahre lang saß dann (von 1835 bis 1865) der polnische Graf Sobansky auf dieser Burg, die er gekauft hatte, bis dann im letzten Jahre Oberst Pfau in deren Besitz gelangte, wie es denn historisch billig ist, daß ein Epigone jener tapferen Winterthurer Kriegsleute vom Marchfelde das mütterliche Haus des großmüthigen Habsburgers erhalte und in Ehren halte, wobei herzlich zu wünschen, daß er diesen herrlichen Sitz noch recht lange bewohnen, erforschen und zieren möge.

Die einsame Kyburg ist jetzt zu einem wahren Wallfahrtsort geworden und kein kleiner Genuß ist’s, in dem in der Galerie aufliegenden Fremdenbuche zu blättern, wohin wir nun aus dem lieblichen Schatten am Gertrudthurm zur Abschiedspflichterfüllung ebenfalls aufbrechen wollen.




Zwei fürstliche Geheimnisse neuerer Zeit.
II.


Im Jahrgang 1863 der Gartenlaube (Nr. 19 u. 20) führten wir unsere Leser vor „ein geheimnißvolles Grab“ auf dem Stadtberge bei Hildburghausen. Wir erzählten ihnen von einem von aller Welt abgeschlossenen Menschenpaar, das um das Jahr 1807 mit nicht gewöhnlichem äußeren Glanz in Hildburghausen angefahren kam, mit großen Ansprüchen, aber in äußerster Zurückgezogenheit, erst in einem Gasthofe, dann in Privatwohnungen lebte, bis es etwa drei Jahre später nach dem anderthalb Stunden von Hildburghausen an der Straße von da nach Coburg gelegenen Dorfe Eishausen übersiedelte und dort das geräumige Schloß des herzoglichen Domainengutes bezog. Wir schilderten ferner, mit welch’ augenscheinlicher Aengstlichkeit der Herr, welcher Graf Vavel de Versay genannt wurde, die Dame, die man, weil man sie für seine Gemahlin hielt, als „die Gräfin“ bezeichnete, jedem Auge, selbst noch in der Dorfeinsamkeit, entzog; wie diese Dame mehr und mehr als die Hauptperson, als die Ursache des so streng bewachten Geheimnisses erschien; wie ihr stets die neuesten Pariser Moden zu Gebote standen; wie selbst der „Graf“ stets in äußerster Ehrerbietung vor ihr erschien, während man ihre geistige Bildung nach Allem, was über ihren tagtäglichen Zeitvertreib verlautete, absichtlich niedergehalten haben mußte, und wie das schöne Weib im Jahre 1837 starb, ohne daß der Schleier des Geheimnisses gelüftet worden wäre. Selbst der Tod der „Gräfin“ vermochte nunmehr nichts an den Gewohnheiten des „gnädigen Herrn“ zu ändern: er blieb der Abgeschlossene von der Menschheit, aber im Geist, im wiederholten Studium der „Classiker von vier Nationen“, und durch die Tagesblätter desto reger mit ihr fortlebend, bis auch ihn 1845 der Hügel deckte.

Wir haben als Hauptquelle zu jenem Artikel von 1863 außer eigenen Forschungen (d. V. wohnte Jahre lang in Hildburghausen und längere Zeit sogar in nächster Nähe des „geheimnißvollen Grabes“, das noch von den Nachkommen der letzten Diener „des Grafen“ gepflegt wird) den ausführlichen Bericht in Bülau’s „Geheimen Geschichten und räthselhaften Menschen“ benutzt, als dessen Verfasser uns der Director der Musterschule zu Frankfurt a. M., Dr. Kühner, genannt ist. Seine Darstellung ist so pietätvoll gehalten, daß sie gern jeden unwürdigen Verdacht gegen die Stellung des Geheimnißvollen zurückweist, und seine Behauptungen sind so entschieden und allezeit so gut belegt, daß man kaum einen Zweifel dagegen hegen kann. Da wir nun in jenem frühern Artikel vieles, die Möglichkeit einer dereinstigen Aufdeckung des Schleiers Andeutende aus Mangel an Raum zurücklegen mußten, so fühlen wir uns, durch einzelne neuere Winke angeregt, nunmehr verpflichtet, das damals gegebene Versprechen, „in einem nachträglichen Artikel alles bis jetzt über dieses unheimliche Geheimniß Ermittelte treulich zu berichten“, nach Möglichkeit zu erfüllen.

Lange ehe in Folge des Todes des Grafen und der dadurch in der Tagespresse wiedererweckten Fama über das allgemeine Theilnahme erregende Geheimniß ein Blick in die Vergangenheit der beiden Hauptpersonen eröffnet worden war, hatten einzelne Anzeichen und Angaben den Ursprung desselben nach Frankreich verwiesen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_375.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)