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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

solchen melancholischen Betrachtungen nicht beizupflichten vermögen. Er wird gern zugeben, daß die Gegenwart noch mancherlei zu wünschen übrig läßt, aber noch viel bereitwilliger wird er anerkennen, daß die Menschheit ohne Zopf und Haarbeutel sich schöner, sauberer und stattlicher ausnimmt, als die, welche mit diesen Zierden des Rockkragens einherging, oder, deutlicher ausgedrückt, daß wir Menschen des neunzehnten Jahrhunderts nicht nur ein gutes Theil klüger und reicher, sondern auch erheblich besser sind als die Zeit. da der Urgroßvater die Urgroßmutter nahm. Noch deutlicher läßt sich diese geschichtliche Wahrheit dahin formuliren, daß man sagt: der Glaube an den höheren sittlichen Werth, an die größere Wahrhaftigkeit und Treue, an das gemüthlichere und behaglichere Wesen der Vergangenheit ist nichts mehr und nichts weniger als Aberglaube und zwar – mit Erlaubniß der Patriarchalischen und à la Seraph Gescheitelten – ein recht drolliger Aberglaube.

Dieser Aberglaube ist in den letzten Jahren oft als solcher aufgedeckt worden, wir meinen jedoch, daß darin nicht zu viel gethan werden kann. Um indeß dem Bedürfniß nach Abwechselung gerecht zu werden, führen wir statt Gründe einmal eine Sammlung von Schattenrissen aus der „guten“ alten Zeit gegen ihn zu Felde. Den Vergleich dieser schwarzen Physiognomien der Vergangenheit mit den entsprechenden Typen der Gegenwart möge der verehrte Leser selbst vornehmen. –

Ein seltsamer Anblick für uns Menschen der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, wenn wir uns in das Treiben eines Jahrmarktes in der Zeit zwischen dem dreißigjährigen und dem siebenjährigen Kriege zurückversetzen. Nicht sowohl der ehrliche kleine Kaufmann und der Handwerker, als das fahrende Volk der Gaukler und Gauner spielt hier die Hauptrolle und macht hier die besten Geschäfte. Der lächerlichste Schwindel wird dem guten dummen Bäuerlein und dem nicht viel klügeren Kleinbürger als heilsame Wahrheit geboten, und die Reclame florirt wie heutzutage nirgends, selbst nicht in den Spalten amerikanischer Zeitungen. Die wunderlichste Figur aber unter diesem Volk von Bärenführern und Luftspringern, unter diesen bunten Landstreichern mit abgerichteten Affen, Murmelthieren und Hunden, unter diesen Burschen, die sich das Gesicht ohne Schaden mit geschmolzenem Blei waschen, oder Werg essen und darauf Feuer speien, unter diesen Grimassenschneidern, Possenreißern, Schaufechtern und Komödianten aller Art, ist die, welche das Volkslied noch jetzt unter dem Namen des Doctors Eisenbart feiert, des vagirenden Volksarztes und Volksapothekers der „guten“ alten Zeit, mit ihrer rührenden Unwissenheit, ihrem Ueberfluß an Aberglauben und ihrem Mangel an aller und jeder Wohlfahrtspolizei. Schildern wir den würdigen Herrn einmal, ohne uns lange mit allgemeinen Betrachtungen aufzuhalten, in einigen der Gestalten, in denen er vorzüglich auftrat.

Ein kaiserlicher Soldat im dreißigjährigen Kriege ist nach allerlei Abenteuern nach Frankreich, verschlagen worden und auf dem Rückweg von da an seiner Habe so herabgekommen, daß er sich entschließen muß, entweder zu betteln oder, wie er selbst uns naiv erzählt, ein Arzt zu werden. Er resolvirt sich zu letzterem und ist sofort in der Sache zu Hause. In der Apotheke kauft er sich für das anspruchsvollere Dorfpublicum die Materialien zu einem Theriak, der damals in der Medicin als vortreffliches Mittel gegen allerlei Vergiftung galt, obwohl die Stoffe, aus denen er zusammengesetzt war, theils ganz unwirksam waren, theils einander aufhoben. Für die einfacheren Bauern verschafft sich unser resoluter Aesculap Wachholderlatwerge, die er mit Eichenlaub, Weidenblättern und andern herben Ingredientien zu Pillen dreht. Ferner macht er sich aus Kräutern und Wurzeln verschiedener Art, Butter und Oel eine grüne Wundsalbe zurecht, „mit der man wohl ein gedrucktes Pferd hätte curiren können“. Desgleichen aus Galmei, Kieselsteinen, Krebsaugen, Schmirgel und Trippel ein Pulver, um die Zähne damit weiß zu machen. Ferner ein blaues Wasser aus Lauge, Kupfer, Salmiak und Kampher, für Mundfäule sowie für – Augenweh gut. Diese kostbaren Arzeneien gießt und streicht er in eine Anzahl Blech- und Holzbüchsen und Gläschen, und „damit es ein Ansehen habe“, läßt er sich einen Zettel drucken, auf welchem man sehen kann, wozu das Eine und Andere gut ist. Nach Verlauf von drei Tagen ist er mit seiner Arbeit fertig, und als er sich seine Ausgaben überrechnet, findet er, daß ihm sein ganzer Medicinvorrath nicht mehr als drei Kronthaler kostet.

Er probirt nun sein Glück vor der Kirche eines Dorfes, macht aber, da es ihm mit dem Aufschneiden noch nicht recht gelingt, zunächst schlechte Geschäfte. Zudem hört er von dem Wirth in der Schenke, daß die Bauern hier nur gute Waare kaufen wollen und daß sie mit dem Gelde gewaltig zurückhalten, wenn sie keine gewisse Probe sehen, daß der Theriak vorzüglich ist. Da kommt ihm ein gescheidter Einfall. Er verschafft sich ein halbes Glas voll starken Straßburger Branntwein und fängt sich in einer benachbarten Pfütze eine recht häßliche schwarz und rothgelb gefleckte Unke. Diese setzt er in ein Schoppenglas mit Wasser und stellt sie, als er wieder hinter seinem Stand unter der Dorflinde Platz genommen, neben seine Waare auf den Tisch. Und von jetzt an wollen wir ihn in der Sprache heutiger Zeit selbst weiter erzählen lassen.

Wie sich nun die Leute zu sammeln anfingen und um mich herumstanden, meinten einige, ich würde mit der Zange, die ich aus der Küche der Wirthin entlehnt, Zähne ausbrechen. Ich aber fing an:

„Ihr Herren und guten Freunde, ich bin kein Zahnbrecher, aber ich habe gutes Wasser für die Augen, es treibt alle Flüsse aus den rothen Augen.“

„Ja,“ antwortete Einer, „man sieht’s an Euren Augen, die brennen ja wie zwei Irrwische.“

„Das ist wahr,“ sagte ich, „hätte ich aber das Wasser nicht gehabt, so wäre ich wohl schon blind geworden. Uebrigens verkaufe ich das Wasser nicht, nur den Theriak und das Pulver für die weißen Zähne und die Wundsalbe verkaufe ich, das Wasser schenke ich dann dazu. Ich bin keiner von den Schreiern und Leutebetrügern. Wenn ich meinen Theriak probirt habe und er Dir dann nicht gefällt, so brauchst Du mir ihn nicht abzukaufen.“

Indessen ließ ich einen der Umstehenden eins von meinen Theriakbüchschen auswählen, und daraus nahm ich soviel wie eine Erbse und that es in meinen Straßburger Branntwein, den die Leute für Wasser hielten, zerrieb es darin und zog hierauf mit der Zange die Unke aus dem Wasserglase, indem ich sagte: „Seht, ihr guten Freunde, wenn dieses giftige Gewürm meinen Theriak trinken kann ohne zu sterben, so ist er nichts nütze, dann kauft mir ihn nicht ab.“ Damit steckte ich das arme Ding, welches im Wasser geboren und erzogen war und nie in einer andern Flüssigkeit gelebt hatte, in meinen Branntwein und hielt das Glas mit einem Papier zu, daß es nicht heraus konnte. Da fing es fürchterlich zu wüthen und zu zappeln an und geberdete sich nicht anders, als ob ich es auf glühende Kohlen geworfen hätte, und nachdem es dies eine Weile getrieben, starb es und streckte alle vier Beine von sich. Die Bauern aber sperrten Mund und Beutel auf, als sie diese gewisse Probe mit eignen Augen angesehen hatten. Nun war kein besserer Theriak auf der Welt als der meinige, und ich hatte alle Hände voll zu thun mit Einwickeln des Plunders und Geldeinstreichen. Etliche kauften es wohl fünf- und sechsfach, damit sie für den Nothfall mit so köstlicher Giftlatwerge versehen wären, ja sie kauften auch für Freunde und Verwandte, die an andern Orten wohnten, so daß ich von ihrer Einfalt, obwohl kein Markttag war, diesen Abend zehn Kronthaler löste und doch noch mehr als die Hälfte meiner Waare behielt. –

Unser Doctor Eisenbart zog dann weiter von Dorf zu Dorf, und namentlich so lange er Unken haben konnte, ging sein Geschäft ganz vorzüglich. Wo die Unken fehlten, wußte er als kluger Kopf die Vortrefflichkeit seiner Giftlatwerge auf andere Manier zu beweisen. Ich machte mir, erzählt er weiter, aus Mehl, Safran und Gallus einen gelben Arsenik und aus Mehl und Vitriol einen Quecksilber-Sublimat. Und wenn ich vor den Bauern die Probe thun wollte, so hatte ich zwei gleiche Gläser mit frischem Wasser auf dem Tische, von denen das eine ziemlich stark mit Scheidewasser oder Vitriolöl gemischt war. In diesem zerrührte ich ein wenig von meinem Theriak und schabte alsdann in beide Gläser von meinen beiden Giften so viel, als genug war, hinein. Davon wurde das eine Wasser, welches keinen Theriak und also auch kein Scheidewasser hatte, so schwarz wie Tinte, das andere aber blieb wegen des Scheidewassers so klar, wie es gewesen.

„Ha!“ riefen dann die Bauersleute, „seht an, das ist fürwahr ein köstlicher Theriak um so geringes Geld.“

Mischte ich dann den Inhalt der beiden Gläser untereinander, so wurde Alles wieder klar. Darüber zogen dann die Leute ihre Beutel und kauften mir ab, was nicht blos meinem hungrigen Magen zu Paß kam, sondern mich auch beritten machte und mir die Taschen mit Geld füllte, mit welchem ich glücklich an die deutsche Grenze gelangte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_391.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)