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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Wirklich? Ist seitdem Schnee gefallen?“

„Nein.“

„Nun, unter solchen Umständen muß die Spur ja noch vorhanden sein und Du weißt gewiß, wohin sie führt. Doch, bevor Du antwortest, trinke einmal einen Schnaps.“

Mit diesen Worten reichte ich ihm eine zu diesem Zwecke mitgenommene Flasche. Tönnis nahm schmunzelnd einen ehrlichen Schluck und mit demselben schienen alle seine Bedenken hinuntergespült zu sein. Wie ich erwartet hatte, berichtete er nunmehr ausführlich, daß die erwähnte Bärenspur in sein Revier führe, daß er derselben gefolgt sei und sich überzeugt habe, Meister Petz sei in einem nicht allzugroßen, mitten in seinem Walde befindlichen Dickicht zu Bett gegangen. „Doch,“ fügte er hinzu, „es ist ein mächtig großer Bursche, und wenn die Herren nicht gute und ruhige Schützen sind, könnte es leicht ein Unglück geben.“

Wir beruhigten ihn über seine Besorgnisse und trugen ihm nur auf, uns für die Nacht ein Strohlager am Feuer zu bereiten, welchem Auftrage er bereitwilligst Folge leistete. Wir streckten uns auf dasselbe hin und nach einigen fruchtlosen Bemühungen gelang es uns denn auch, trotz mancher Unbequemlichkeiten in Gestalt von Flöhen und anderen Ungeziefers, einige Stunden Schlafs zu genießen.

Die Uhr hatte noch nicht neun geschlagen, als wir uns am andern Morgen in Begleitung unsers Wirthes auf den Weg machten. Jeder von uns trug eine doppelläufige Jagdflinte und zum Ueberfluß noch einen tüchtigen Dolch im Gürtel. Tönnis hatte sein Gewehr zu Hause gelassen, weil er behauptete, daß das alte Schießeisen darin einen hartnäckigen Eigensinn an den Tag lege, nicht loszugehen, wenn er es gerade für erforderlich erachte. Statt dessen hatte er sich mit einem gewichtigen Handbeil bewaffnet, welches unter Umständen auch ganz gute Dienste leisten konnte.

Es war bitter kalt. Der Schnee knirschte unter unsern Stiefeln, und als wir den Forst erreichten, hörte man die mit mächtigen Schneemassen bedeckten Fichten laut knacken und dröhnen, als ob sie im Begriffe ständen, mitten auseinander zu bersten. Der Wald selbst aber mit seinen himmelanstrebenden Stämmen war still und öde, wie das Innere eines imposanten Domes, wenn ihn die rauschende Menschenmenge verlassen, und mit Ausnahme eines munteren Kernbeißerpärchens oder eines scheuen Eichhorns, welches gewandt von Ast zu Ast hüpfte, oder einer Schneemasse, welche sich vermöge ihrer eigenen Schwere von einem Zweige löste und alsdann in tausend und abertausend kleine Brillanten zerstäubend zu Boden sank, schien jedes Leben in der Natur erstorben. Wir gingen schweigend, Einer in die Fußstapfen des Andern tretend, durch den ausgedehnten Forst, und ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß meine Nerven sich nicht in einer leisen Aufregung befanden. Im Gegentheil, ich gestehe es offen, daß meine Pulse schneller schlugen, als gewöhnlich, und daß von Zeit zu Zeit ein eigenthümlicher Schauer meine Glieder durchzuckte, der den Körper gegen jeden Einfluß der Kälte unempfindlich machte. Sollte ich doch ebenso wie meine beiden Jagdgenossen Sternberg und Reinfeldt in den nächsten Minuten dem stärksten Raubthiere unserer einheimischen Wälder gegenüberstehen und gewissermaßen ein Duell über das Schnupftuch mit demselben ausfechten, ein Kampf, dessen glücklicher oder unglücklicher Ausgang von hundert Zufälligkeiten abhing. Dazu kam, daß wir gerade die gefährlichste Art gewählt hatten, um mit Meister Braun anzubinden, denn weil man nur selten mit völliger Sicherheit wissen kann, in welchem Busch oder Gestrüpp der Bär gerade sein Lager aufgeschlagen hat, während die dichten Wachholder- und Tannengebüsche dem Jäger jede freie Rundschau unmöglich machen, so ist es sehr leicht möglich, dem Gesuchten ganz unerwartet in nächster Nähe gegenüberzustehen, oder gar in seine Arme zu laufen. Doch zu derartigen Bedenken war keine Zeit mehr vorhanden, denn unser Führer stand plötzlich still und wies schweigend und mit ernsthafter Miene auf eine mitten im Walde befindliche, fast kreisrunde, kleine Erdsenkung, welche etwa hundert Schritte von uns entfernt und mit einem dichten Tannen- und Wachholdergestrüpp bewachsen war. Wie auf Commando blieben wir Alle stehen und ich wandte mich flüsternd an unsern Begleiter mit der Frage, ob er wirklich glaube, daß der Bär sich in dem Dickicht befinde.

„Ohne Zweifel,“ entgegnete dieser, „denn die Spur, welche ich Ihnen gezeigt, führt direct in das Dickicht und, wie ich mich noch gestern vergewissert, auf der anderen Seite nicht wieder hinaus.“

„Befindet sich hinter der Erdsenkung ebenso lichter Wald wie diesseits?“ fragte ich weiter.

„Ja, Herr, Sie haben dort ebenso freies Schießen wie hier, und wenn Sie das Gebüsch von drei Seiten umstellen, so kann keine Maus unbemerkt entschlüpfen.“

„Gut,“ sagte ich. „Du stellst Dich mit diesem Herrn etwa zwanzig Schritt vor dem Gebüsche an der diesseitigen Ecke auf. Herr Reinfeldt wird jene Ecke besetzen und ich für meine Person werde das Gebüsch im Bogen umgehen und mich auf der dritten Ecke postiren. Wir bilden auf diese Weise ein Dreieck, dessen ihm zugewandte Seiten jeder Einzelne von uns bequem übersehen kann. Hast Du die Steine bei Dir?“

„Ja.“

„Nun, denn vorwärts! Wenn ich pfeife, so rückt vor, und sollte der Bär auf unser Schreien nicht herauskommen, so werft einige Steine in das Gebüsch.“

Mit diesen Worten entfernte ich mich, spannte die Hähne meines treuen Gewehres und überzeugte mich, daß die Zündhütchen in Ordnung waren. Nach Verlauf einer Minute hatte ich meinen Standpunkt erreicht, athmete noch einmal tief auf und ließ dann leise meinen Signalpfiff ertönen. Auf das Signal rückten meine Begleiter gleichfalls vor und kurze Zeit darauf belehrte mich ihre Antwort, daß unsere Schlachtreihe in Ordnung war. Wie aus einer Kehle ertönte nun von allen drei Seiten ein lautes Hollah, allein wer es nicht für gut befand zu erscheinen, war Meister Petz. Da hörte ich mit dumpfem Geräusch einen gewichtigen Stein mitten in die Zweige prasseln. Ein zweiter folgte und ein unwilliges Brummen oder vielmehr Gröhlen, sowie das Knacken von Aesten und Zweigen bewies, daß der Langschläfer im Begriff war, sich Morpheus’ Armen zu entreißen und uns die Ehre seiner nähern Bekanntschaft zu gönnen. Von diesem Augenblicke an war die ganze übrige Welt für mich verloren, und sonderbar, jede Unruhe, jede Aufregung, die in den letzten Minuten mein Blut schneller durch die Adern rollen ließ, hatte aufgehört. Ruhig wie auf der Hasenjagd folgte ich, das Gewehr im Anschlage, mit gespannter Aufmerksamkeit dem Brechen und Knistern der Zweige in meiner Nähe, fest entschlossen, nicht eher Feuer zu geben, als bis ich meinen Zielpunkt sicher in’s Auge gefaßt habe. Da endlich sah ich zwischen mir und meinem Freunde Reinfeldt einen dunkeln Schatten durch die Büsche gleiten. Noch einige Secunden und der Schatten, welcher nunmehr den lichteren Wald erreicht hatte, erwies sich als ein sogenannter schwarzer Bär von bedeutender Größe, der im Begriffe stand, sich unserer nähern Bekanntschaft eiligst durch die Flucht zu entziehen. Doch wir hatten uns einmal in den Kopf gesetzt, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen, und im nächsten Momente krachten kurz nach einander zwei Schüsse, welche so wohl angebracht waren, daß unser Flüchtling kopfüber in den Schnee stürzte und jeden Gedanken an Flucht aufgeben zu müssen schien. Schon wollten wir durch ein freudiges Hurrah unseren Sieg verkündigen, allein der nächste Augenblick belehrte uns, daß die Sache noch keineswegs zu Ende war. Mit dumpfem, röchelndem Gebrüll richtete sich der Schwarze wiederum auf, und die Ohren an den Hals gelegt, den Rachen mit dem blinkenden, furchtbaren Gebisse weit aufgesperrt, näherte er sich Reinfeldt, welcher ihm zunächst stand. Das racheschnaubende, aus zwei Kugelwunden blutende Thier bot einen entsetzlichen Anblick, dessenungeachtet aber verlor unser Jagdgenosse keinen Augenblick die Geistesgegenwart, ließ den Bären ruhig auf etwa fünf Schritte Entfernung herankommen und gab dann kaltblütig und bedächtig zielend zum zweiten Male Feuer. Die Kugel traf die Bestie mitten in die Brust und muß wohl die edelsten Theile durchbohrt haben, denn Braun stürzte wie vom Blitze getroffen zusammen und unterfing sich nicht mehr, uns nochmals durch sein Wiederaufstehen zu behelligen. Mittlerweile waren auch Sternberg und der Buschwächter herbeigeeilt und wir umstanden nunmehr tiefaufathmend mit freudigen Gesichtern und blitzenden Augen in respectvoller Entfernung den gefallenen Helden, welcher sich zuckend auf der Erde wälzte und den Schnee weithin mit seinem Herzblute färbte.

Bei näherer Besichtigung erwies sich, daß der Bär von drei Kugeln getroffen worden war, von denen die meinige ihm das rechte Schulterblatt zerschmettert hatte, während Reinfeldt ihm eine Kugel in den Bauch, die andere unmittelbar tödliche aber, wie gesagt,

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