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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Es ist jetzt im Werke, den Illinoiscanal dergestalt zu erweitern und zu vertiefen, daß er für Seeschiffe zureichend Wasser enthält. Die Kosten sind auf fünfzig Millionen Dollars veranschlagt. Sollten die Vereinigten Staaten, welchen man dies angesonnen hat, eine solche Kostenlast nicht übernehmen wollen – nun, die Stadt Chicago allein wird sie aufbringen. Und da der Welland-Canal, welcher den Erie- mit dem Ontario-See verbindet, schon jetzt das Auslaufen von in Chicago befrachteten Seeschiffen nach allen Häfen der Welt gestattet, so wird alsdann diese Stadt ebenso, wie mit dem atlantischen Meere, mit dem Golf von Mexico verbunden sein und ihre Flagge auf allen Meeren präsentiren. Von der Handelsbewegung, welche Chicago an sich gezogen, beziehentlich in’s Leben gerufen hat, bekommt man einen schwachen Begriff, wenn man weiß, daß dort an zwanzig Millionen Bushel (Scheffel) Getreide jährlich ostwärts verladen werden, daß für etwa zehn Millionen Dollars jährlich Bauholz von dort westwärts passirt und daß der gesammte Capital-Umschlag des Platzes jährlich nahe an einhundert Millionen Dollars beträgt. Durch beinahe jede Straße der Stadt streckt sich eine Pferde-Eisenbahn; der Dampfbahnen, welche an ihren Grenzen münden, sind fünf, ungerechnet die Zweigbahnen, und den See durchfurchen viele prächtige Dampfboote, welche den Verkehr mit den Häfen des Michigan- und der anderen großen Binnenseen vermitteln. Allem Anscheine nach wird Chicago um 1900 die drittgrößte Stadt Amerikas und eine der größten der Welt sein. Und das Alles in Folge des Freiwilligkeits- und Selbstregierungsprincips!




Blätter und Blüthen.


Die Volksküchen in Berlin. Von all’ den unter den Zeitverhältnissen leidenden Gesellschaftsclassen sind die Familien am unglücklichsten, die verarmt sind bis zu dem Grade der allerhärtesten Einschränkung, ohne daß sie sich selbst aufgeben und als Almosenempfänger herausstellen dürfen. Denen zu helfen ist am schwierigsten, ja, es giebt nur Ein Mittel dieser Hülfe – die Ermöglichung einer Selbsthülfe.

Dieser Gedanke veranlaßte mich, einen Plan auszuarbeiten, wie man für solche Familien, denen es unter den gegenwärtigen Umständen fast unmöglich sein dürfte, ihren Haushalt zu führen, Volksküchen einzurichten habe, aus denen jede bedrängte Familie ohne Scheu gegen den billigsten, d. h. Selbstkostenpreis, die nahrhafteste Kost entgegennehmen kann. Die Gründung solcher Anstalten für eine große Stadt, wie Berlin, und in so traurigen Zeiten, wo das Bedürfniß unter der arbeitenden wie der gewerbtreibenden Bevölkerung ein allgemeines ist, kann allerdings nur durch thatkräftige Betheiligung vieler tüchtiger Männer und Frauen, durch die Vereinigung aller materiellen und geistigen Kräfte erreicht werden. Dies erkannte ich und theilte meine Gedanken einer Reihe von Männern mit, deren rastloses Streben von jeher dem Volkswohl geweiht ist. Mein Unternehmen fand so allseitigen Beifall, daß im Verlauf von acht Tagen ein Central-Comité zusammentrat, um jenes zu organisiren, und jetzt, da kaum vierzehn Tage seit meiner Aufforderung vergangen sind, befindet sich dieses Central-Comité durch Sammlungen bereits im Besitz von viertausend Thalern; außerdem haben zwei Bürger der Stadt Locale zu Küchen, ein anderer die Einrichtung zu einer derselben hergegeben, und ein dritter beabsichtigt, auf seinem Grundstück und mit seinen Freunden auf eigene Kosten eine Volksküche herzustellen und zu erhalten, so daß zunächst vier Volksküchen in Berlin eingerichtet und eröffnet werden, die je nach den weiteren Zeichnungen bis zur Zahl von zwanzig vermehrt werden sollen. Jede dieser Volksküchen wird zweimal täglich eintausend bis eintausend zweihundert Portionen Gemüse und Fleisch, die Portion zu anderthalb bis zwei Silbergroschen, verkaufen. Die Portion enthält das Maß eines preußischen Quarts, so daß zwei erwachsene Personen sich daran satt essen können. Der Einkauf im Ganzen, sowie die Massenfabrikation, wird bei diesem Verkaufspreise die Volksküchen um so mehr ohne Verlust bestehen lassen, als die Bauten, Miethe und Einrichtung durch freiwillige Sammlungen gedeckt werden, so daß nur das besoldete Küchenpersonal, die Nahrungsmittel selbst, wie etwaige Reparaturen der Anstalten, von dem Erlös der verkauften Speisen gedeckt werden sollen.

Die Controle sowie die Verwaltung dagegen geschieht von Seiten des Centralausschusses, respective der Localausschüsse.

Solche Volksküchen sollen eine allgemeine, gesellschaftliche Wohlthat der freien Vereinigung werden, die jeder Bedrängte um so eher annehmen kann, je weniger sie ihm als beschämendes Almosen entgegentreten. Dennoch vermag durch dieselben auch wohlthuend auf die gänzlich unbemittelten Bewohner der Stadt gewirkt zu werden, wenn bemittelte Familien Marken an sich kaufen, die sie als Almosen den Armen ihres Kreises vertheilen. Aehnliche Anstalten, wie diese Volksküchen, sind bereits von einzelnen Fabrikanten in England, Hannover, Sachsen und Schlesien für deren Arbeiter errichtet worden und haben sich seit einer Reihe von Jahren so vorzüglich bewährt, daß sie Theilnahme und Bethätigung weit über den Arbeiterkreis hinaus gefunden haben.

Eine der vorzüglichsten dieser Anstalten hält Herr Egestorff zu Linden bei Hannover, der uns bereitwillig in den Besitz seiner Statuten gesetzt hat. In seiner Arbeiterküche sind auch Speisesäle vorhanden und es wird meist in der Anstalt selbst gespeist. Anders wird es sich in den Volksküchen Berlins verhalten. Wohl wäre es gut, wenn wir es dahin bringen könnten, dem einzelnen Arbeiter, der einzelnen Arbeiterin Stuhl und Tisch in den Volksküchen zu bieten. Allein man würde bei Berücksichtigung dieser Wohlthat für Einzelne nicht allein das ganze Unternehmen hier in Berlin gefährden, da man einerseits das gemischte Publicum der untersten Classen schwer zu zügeln vermöchte, es andererseits auch doppelt schwer werden würde, solche Locale zu finden, in denen Speisesäle für fünfhundert bis eintausend Menschen eingerichtet werden könnten. Was aber bei Weitem wichtiger erscheint, warum vorläufig keine Speisesäle in den Berliner Volksküchen eingerichtet werden sollen, ist, daß wir dieselben vorzugsweise für verarmte Familien gründen, die wohl noch eine Häuslichkeit besitzen, in der sie die Familienglieder innig versammeln, aber kein Feuer, um den häuslichen Heerd warm zu halten, und kein Geld, um genügende Nahrung auf demselben zu bereiten. Wohl sind auch in Paris öffentliche Küchen, wo der von der Arbeit heimkehrende Mann speist, während sein auch außer dem Hause arbeitendes Weib in einer anderen und die in Fabriken beschäftigten Kinder vielleicht in einer dritten ihnen naheliegenden Küche ihre Mahlzeiten verzehren. Dahin jedoch soll es in Deutschland nicht kommen, so lange Volksfreunde solches Unheil der Familienauflösung verhüten können. Des Deutschen Heimath, seine Gesittung, sein innerer Halt, sein ganzes Glück liegt in der Familie! Wenn jedes Mitglied derselben auch mühselig zur Erhaltung des Lebens beitragen muß, so giebt es eine Zuflucht, eine Genugthuung, einen Einigungspunkt selbst für den Aermsten: es ist die Zusammenkunft der Familienglieder nach vollbrachter Arbeit am eigenen Heerd! Diese heilige Stätte wollen wir unsern Arbeitern wahren, wir wollen ihnen helfen, die Familie zu erhalten. Die Volksküchen ersparen der Frau des Arbeiters wie des kleinen Gewerbtreibenden die Feuerung, die Zeit und Kraft, die sie der Küche für den Haushalt widmen müßten und die sie nun besser für Mann und Kinder verwerthen können; sie ersparen dem Unbemittelten einen großen Betrag an Geld, welchen er für verhältnißmäßig schlechtere Nahrungsmittel im Einzelnen ausgeben müßte.

So sind die Volksküchen nicht allein eine große gesellschaftliche Wohlthat, die jedem Einzelnen zu gut kommen, sondern sie sind in volkswirthschaftlicher Beziehung ein großer Fortschritt. Möge es uns gelingen, dies recht bald durch die That zu beweisen, und mögen auch andere Städte und Ortschaften unserem Beispiele folgen.

Lina Morgenstern.




Wir haben gern die obige Notiz zum Abdruck gebracht, da wir mit wahrer Freude das darin entwickelte Project begrüßen und ihm und den wackern menschenfreundlichen Unternehmern von Herzen den besten Erfolg wünschen. Dabei können wir indeß die Mittheilung nicht zurückhalten, daß, was jetzt in Berlin erst angestrebt wird, hier in Leipzig seit längerer Zeit bereits verwirklicht worden ist und schon großen Segen gestiftet hat. Wesentlich auf die Anregung des in weiten Kreisen bekannten Stadtrath Felsche trat nämlich bereits im Januar des Jahres 1849 unter dem Namen „Städtische Speiseanstalt’“ eine solche Volksküche in’s Leben. Die Stadt lieferte Local und nöthige Einrichtung dazu, im Uebrigen erhält sich das Unternehmen, das ein aus angesehenen Bürgern gebildetes Comité leitet, durch sich selbst. Diese Speiseanstalt ist so eingerichtet, daß sie täglich bis zu zweitausendfünfhundert Portionen kräftigen Essens zu dem niedrigen Preise von à zwölf Pfennigen herstellen kann, wie sie denn auch die gesammte österreichische Truppenabtheilung, die, seiner Zeit, 1851, nach Schleswig-Holstein gehend, durch Leipzig passirte, gespeist und augenblicklich die Verköstigung der im hiesigen Schlosse liegenden preußischen Besatzung übernommen hat; für gewöhnlich aber, und namentlich seit die Brodpreise niedriger geworden sind, giebt sie im Durchschnitt jetzt täglich nur vier- bis fünfhundert Portionen Essen aus, theils an bestimmte Wochenabonnenten, theils an Familien und Personen, – meist verschämte Arme – die sich die Speisen nach Hause holen lassen, theils an eine kleinere Anzahl, welche im Local selbst beköstigt wird. Immer aber ist feststehendes Princip, daß Niemand unentgeltlich gespeist, sondern ihm nur eine kräftige Nahrung um den Kostenpreis der im Ganzen und Großen eingekauften Lebensmittel überlassen wird; dagegen pflegen auch hier Wohlhabendere Speisemarken anzukaufen und an Bedürftige zu vertheilen.

Endlich sei noch erwähnt, daß Egestorff seine Volksküche erst nach dem Muster der Leipziger Speiseanstalt errichtet hat und dieser letztern auch ähnliche Volksküchen in Dresden und Chemnitz Anregung und Ursprung verdanken.

Die Redaction.




Frau Currier. Friedrich Münch in Missouri, ein in Amerika sehr geachteter und geistreicher Landsmann, dessen literarische Thätigkeit überall große Anerkennung gefunden hat, schreibt uns: Vom Osten her wird täglich die Klage lauter, daß das orthodoxe Christenthum in Verfall gerathe, die Kirchen leerer werden, ganze Kirchengemeinden sich auflösen und ihre Prediger das Weite suchen müssen, während andere Prediger auf den Ausweg verfallen, mehr durch geistreiche Reden über Zustände und Vorgänge, die Tages- und Partei-Politik nicht ausgeschlossen, ihr Publicum zu unterhalten, als es durch dogmatische Predigten zu langweilen. Hat das seinen Grund darin, daß die veraltete kirchliche Scholastik doch endlich der frischeren Lebensansicht und der unaufhaltsam eindringenden wissenschaftlichen Bildung weichen muß? Oder erklärt sich die Sache durch eine ganz neue geistige und geisterhafte (spiritualistische) Bewegung, von welcher hier noch die Rede sein muß?

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_431.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)