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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Hurrahs auf die Bürger Luft machten. Leider wurden schon wenige Stunden darauf einige der Tapfern von vordringenden Hannoveranern zusammengehauen oder gefangen genommen. Das geschah einem Vorposten von neun Mann auf der ersten Anhöhe von Langensalza nach Gotha zu, bei dem Dorfe Hennigsleben, wo die preußischen Dragoner sich postirt hatten.

Das Drama der Unglückswoche begann am 23. Juni gegen Mittag mit der Festnahme eines hannoverschen Officiers, welcher dicht vor der Stadt am Postgebäude die Telegraphendrähte durchhauen, und wobei ihm ein hiesiger Arbeiter ganz gemüthlich die Axt gereicht und die Leiter gehalten haben soll. Diese Arretirung trug für die Stadt beinahe sehr verhängnißvolle Folgen. Kaum hat der zurückfahrende Kutscher des gefangenen Officiers einer ihm begegnenden Abtheilung Dragoner und Husaren davon Mittheilung gemacht, als diese sofort die Carabiner laden, die Säbel ziehen und in raschem Galopp zur Stadt sprengen, den Gefangenen befreien und nun mit wüthenden Gebehrden und Flüchen vor’s Rathhaus kommen, um das Oberhaupt der Stadt, welches jene Arretirung veranlaßt, zu blutiger Rechenschaft zu ziehen. Die Sache wurde endlich in Güte beigelegt, die erschöpften Feinde auf’s Beste bewirthet und letzteres auch für die nachfolgenden hannoverschen Truppen zugesagt.

In der ganzen Stadt wurde nun mittels Ausrufer den Hausbesitzern befohlen, sich auf eine Einquartierung von wenigstens zehn Mann einzurichten und für deren Verpflegung Sorge zu tragen. Da gab es denn ein Laufen und Rennen und Furcht und Bestürzung auf allen Gesichtern, denn solche Gewaltscenen, wie eben hier gespielt, solch enorme Einquartierung war in dem stillbürgerlichen Städtchen unerhört. Ich sah dann den König einziehen; auf einem Schimmel reitend, der von einem nebenbei reitenden Adjutanten an der Leine geführt wurde, bot der stattliche Mann allerdings kein Bild eines Schlachtenführers. Am verwirrtesten mochte es jetzt wohl im Schützenhaus zugehen, wo der König und der Kronprinz von Hannover nebst Ministern und zahlreichem Gefolge Absteigequartier genommen. Durch den hannoverschen Major von Hammerstein waren sämmtliche oberen Räume mit Beschlag belegt worden. Der österreichische Gesandte, ein Graf Ingelheim, bezog den Gasthof zum Kreuz, befand sich aber zumeist an Seite des Königs, um ihm – guten Rath zu geben. Bei jeder Unterhandlung waren seine stereotypen Worte: „Majestät, um keinen Preis unterschreiben Sie, Ihre Ehre als Welfe duldet keine Unterwerfung und mein Herr und Kaiser schützt Sie!“ Und wie auch der besser unterrichtete und heller sehende königliche Sohn bat, flehte, dieser sein guter Engel mußte thränenden Auges weichen, der leiblich und geistig Blinde blieb in Dunkel und Nacht – die blutige Saat loderte zu grauenvoller Ernte empor.

Kaum hatte der König seinen Einzug gehalten, so folgten unübersehbare Reihen der hannoverschen Armee zu Fuß, zu Pferde, zu Wagen, alles in oder durch die Stadt, in einer Dauer von zwei bis drei Stunden. In dem Orte selbst verblieben wohl circa acht- bis zehntausend Mann und quartierten sich ein, wo es nur geschehen konnte.

Am 24. Juni früh rückte darauf die hannoversche Macht aus, um in der Nähe der Stadt Stellung zu nehmen, denn wenn auch Unterhandlungen zu ehrenvoller Heimkehr oder zur Beseitigung des Conflictes geführt wurden, so war man doch auf Schlimmes vorbereitet und suchte durch solche Truppenaufstellungen wohl auch zu imponiren. Und imposant war der Feind, besonders wenn er seine sämmtliche Artillerie und seinen stundenlangen Troß an Gepäck-, Fourage- und unzähligen andern Wagen, die Staatscarossen des Königs und seines höhern Hofpersonals, der Minister, der Gesandten, den vollständigen Marstall in der Zahl von hundert bis zweihundert Pferden mit sich führte, was in der Regel geschah.

An demselben Tage, am 24. Juni, wurden den Hannoveranern durch den Herzog von Coburg-Gotha in Vollmacht für den König von Preußen Bedingungen zur Capitulation gestellt, in Folge deren die hannoversche Armee mit Wehr und Waffen abziehen, dagegen sich verbindlich machen solle, während eines Jahres nicht gegen Preußen zu dienen. Der König solle während eines Jahres seinen Wohnsitz außerhalb des Königreichs nehmen und Garantie dafür bieten, daß seine Armee binnen Jahresfrist die Waffen gegen Preußen nicht führe. Der König von Hannover lehnte die Bewilligung der Garantieforderung ab und hannoversche Truppen rückten trotz und während der Capitulationsverhandlungen vor bis zum Dorfe Mechterstedt am Fuße des Hörselberges, zerstörten die Eisenbahn und Telegraphenlinie, und versuchten Durchbruch und Vereinigung mit der inzwischen bis Meiningen, ja bis zum hessischen Dorfe Brotterode am Inselsberge vorgerückten baierschen Armee, wurden aber von den bei Eisenach aufgestellten preußischen und gothaischen Truppen zurückgetrieben. Dieses Alles geschah, während der General-Adjutant des Königs von Preußen, Herr von Alvensleben, vor König Georg stand, um im Namen seines Monarchen die Capitulation zu ratificiren.

Noch am Vormittage zogen sich die hannoverschen Truppen theilweise wieder zurück, ohne daß es zu einem Kampfe gekommen war. Ein großer Theil marschirte Mittags nach Eisenach zu, um den bereits erwähnten Durchbruch zu versuchen. Die Stadt erhielt ihre Einquartierung wieder, ein Jeder suchte sein Quartier auf, besonders wenn es ihm daselbst behagt hatte; aber es schien der Geist friedlicher Gesinnung etwas aus ihren Herzen gewichen zu sein. Die stundenlange Aufstellung in glühender Sonnenhitze, aufregende Reden der Officiere und Vorgesetzten hatten die Gemüther entflammt, die Mittheilung, daß die Preußen das Ernst-August-Denkmal in Hannover zerstört und die herrliche Herrenhäuser Allee umgehauen, hatte allgemeine Empörung hervorgerufen. Als sie diese, wie sich später erwies, ganz grundlose Kunde in ihren Quartieren erzählten, riefen sie wuthentflammt: „Nun nehmen und geben wir keinen Pardon, wenn es zum Kampfe kommt. Wir haben’s uns zugeschworen und die Hand drauf gegeben. Der Napoleon hat unsere vaterländischen Denkmale geschont, der Preuße nicht, dem wir doch gar nichts gethan. Nun mag’s werden wie’s will.“

Ein neuer Versuch einzelner hannoverscher Abtheilungen zwischen Eisenach und Gotha, trotz des am Abend des 24. Juni abgeschlossenen Waffenstillstandes, durchzubrechen, wurde durch das vierte Garde-Regiment zu Fuß nachdrücklich zurückgewiesen. Die Hannoveraner ließen mehrere Verwundete zurück, auf preußischer Seite war keine Verwundung vorgekommen.

So stand es also noch am 24. Juni in der Macht des Königs Georg, mit Ehren zu capituliren und abzuziehen, ja sogar am 26. Juni erschien noch ein Mal ein höherer Officier des Königs von Preußen, um ihm ein Bündniß anzubieten und ihm im Fall der Annahme ungesäumte ehrenvolle Rückkehr sämmtlicher Truppen zuzusagen; aber der König ließ sich auf die bestgemeinten Vorschläge nicht ein. Im Drang des Augenblicks wirkte der Glanz der Krone mächtiger als das Heil des Landes. Bezeichnend für seine Stimmungen und Handlungsweise ist die Erklärung des Königs Georg, als ihm der preußische Gesandte das Ultimatum seines Monarchen überreichen wollte. Er verweigerte jegliche Erklärung bis nach dem Genuß des heiligen Abendmahles. Dagegen war nichts zu thun. Der Gesandte entfernte sich und zugleich wurde der Hofprediger Niemann zum Könige befohlen. Der König fragte ihn, ob es Gottes Wille sein könne, daß er den vierhundertjährigen Rechten seiner Krone entsage, um einer Gefahr zu entgehen? Der Hofprediger erklärte: Wenn durch die Entsagung Pflichten verletzt würden, besonders solche Pflichten, die ein Fürst gegen sein Land und Volk zu beobachten habe, dann dürfe sie nicht stattfinden. Habe aber der König blos persönlichen Vortheilen zu entsagen, um dem Lande zu nützen oder es vor Schaden zu bewahren, dann müsse er sich fügen, wie schwer es ihm auch werde. Dem König soll diese Antwort mißfallen haben und es ist dies zu glauben, da er gleich darauf den preußischen Gesandten, den Grafen Platen, zu sich bescheiden ließ, um ihm zu sagen, er möge thun, was er nicht lassen könne, worauf denn das Ultimatum übergeben wurde.

Auch hier in Langensalza ging er Sonntag früh zur Kirche, an die in der Aufregung und in den Befürchtungen für die kommenden Stunden nur Wenige gedacht, selbst der Prediger – ein Pfarrer vom Lande – war ausgeblieben. Ein Geistlicher der Stadt hielt deshalb stellvertretend den Gottesdienst, an welchem König Georg mit großer Andacht, wie es schien, Theil nahm; aber obwohl der erstere inbrünstig gen Himmel flehte, die Herzen der Fürsten mit Gedanken des Friedens und der Versöhnung zu erfüllen und auch ihren Völkern die Friedenspalme zu reichen, in dem Herzen des Königs Georg fand die flehentliche Mahnung keinen Boden. Die kurze Frist zweier Tage zeitigte die blutige Saat, zu welcher der Same nun einmal ausgestreut war.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_442.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)