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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Mehr wohl noch als die Predigt des Dieners des Herrn gefiel ihm beim Herausgehen aus dem Gotteshause und auf dem Gang nach seinem Absteigequartier das Hoch eines Bürgers, in welches auch die Menge einstimmte; denn der klüglich geschehene Ruf brachte das holdseligste Lächeln auf das Antlitz des königlichen Herrn, er neigte sich, dankbar nach allen Seiten grüßend, viele Mal und den Seinen soll er mit bewegter Stimme zugerufen haben: „Es sind doch gute Leute, die Langensalzer. Schont mir Langensalza!“ Und wenn man den Verlauf und Ausgang der ganzen folgenden Katastrophe betrachtet, so muß man wohl annehmen, daß dieses Wort wahr, daß es kein leeres gewesen ist; denn an dem blutigen Schlachttage des 27. Juni ist die Stadt von dem Schrecken und Unheil eines Straßenkampfes und Bombardements völlig frei geblieben.

Auch die letzten Capitulationsverhandlungen des Königs Georg mit dem königlich preußischen General-Adjutanten von Alvensleben fanden keinen Abschluß. Der König zögerte von Stunde zu Stunde, denn er und die Seinen hofften auf die Ankunft und Hülfe der Baiern, sie vertrauten ihrer Stärke. Sie kannten durch Spione die Schwäche der um Gotha und Eisenach lagernden preußischen und gotha-coburgschen Truppen, und während sie auf der Strecke von Gotha nach Eisenach immer neue Versuche machten durchzubrechen, hielten sie die Friedensverhandlungen hin oder forderten freien Abzug nach Baiern. Aber Alles hat seine Grenzen, und selbst die zäheste Geduld geht zu Ende. Dieser Zustand der Unruhe, dieses Aufzehren aller Lebensmittel, diese gewaltsamen Lieferungen, Fuhren und Vorspannen und hundert Quälereien wurden unerträglich, und so beschloß Preußen dem König Georg den ganzen Ernst der Situation zu zeigen.

Es war am Mittwoch den 27. Juni, an einem besonders angeordneten Bettage für das in Kampf und Streit allerorts befindliche preußische Kriegsheer, als sich von den Hennigsleber Höhen her – nach Gotha zu – die ersten Kanonenschüsse hören ließen. Die Einwohner der Stadt hatten an diesem Morgen ahnungslos gegen irgend welche Gefahr ihr Festkleid angelegt, waren ihrem Bettag in frommer Stimmung entgegengegangen, Niemand gedachte eines Unheils. Es war aber diese Stille die Schwüle vor dem Ausbruch des in der Tiefe brausenden Vulcans. Und in der That lag auch auf der Erde die drückende Hitze eines nahen Gewitters.

Es dauerte nicht lange, so mehrten und näherten sich die Kanonenschüsse von Süden her und Alles eilte seiner Wohnung zu, um ein möglichst sicheres Asyl bei dem befürchteten Straßenkampfe zu finden, oder Werthsachen, Betten, Wäsche u. dergl. in Sicherheit zu bringen. Die einquartierten Soldaten selbst, so wie die vor der Stadt im Bivouak liegenden, saßen und lagen zumeist bei dem Frühstück, als plötzlich zum Sammeln und Ausrücken geblasen wurde. In Zeit weniger Minuten war Alles marschfertig und nach kaum einer halben Viertelstunde sah man nur wenig Hannoveraner auf der Straße der inneren Stadt. Preußische Husaren erschienen und machten Hannoveraner zu Gefangenen.

Das eigentliche Trauerspiel begann an den Thoren, zunächst am sogenannten Gothaischen Gatter, welches die Hannoveraner besetzt hielten. Die auf dem Wege nach Gotha stehenden hannoverschen Truppen hatten sich vor den andringenden preußischen Truppen ohne weiteren Widerstand auf und um die Stadt zurückgezogen und gingen nach Osten, um sich später um und auf dem Kirchberge bei dem Dorfe Merxleben unweit Langensalza (einer sorgfältig gewählten, einer Festung zu vergleichenden Stellung) zu concentriren und zu behaupten. Der Schützenzug der ersten Compagnie des Coburg-Gothaischen Contingents unter Vorantritt des tapfern Hauptmanns von Schauroth nahm mit gefälltem Bajonnet und Hurrah den ersten Eingang, ihm folgte Lieutenant Seeber mit einem Zug derselben Compagnie und nahm am Gasthofe zum Mohren einen daher kommenden Wagen voll Proviant und Hannoveraner. Der Feind verließ auf dieser Seite nun gänzlich die Stadt und faßte am sogenannten Jüdenhügel Posto, welcher nun von dem inzwischen wieder vereinigten ganzen ersten Bataillon Gotha-Coburger gestürmt und behauptet wurde. Ein anderes Bataillon der Coburg-Gothaer ging durch die Stadt, überall mit jubelndem Hurrah begrüßt, um die Hannoveraner hier heraus zu treiben. Sie fanden keinen Widerstand und zogen sich deshalb, mit den Preußen vereinigt, hinter dem Schützenhause weg bis zu den Pappeln bei dem „Böhmen“ – ein Vergnügungsgarten und Haus der Stadt Langensalza – und begannen von hier einen neuen Angriff.

Die preußischen Geschütze rückten näher heran und postirten sich auf dem sogenannten Jüdenhügel, einer etwa hundert Fuß hohen, sanft ansteigenden und abfallenden Anhöhe (zwanzig Minuten weit, der Merxleber Höhe schief gegenüber). Der ganze Höhenzug östlich von Langensalza (nach Sondershausen zu) und zwar die Strecke von dem Dorfe Kirchheilingen nach dem Dorfe Sundhausen zu bis Dorf Klettstädt und Merxleben war mit hannoverschen Truppen besetzt. Ihre Geschütze und Infanteriemassen standen auf dem Merxleber Kirchberge und hatten die Höhen von Klettstädt inne, eine ausgezeichnet günstige, von Langensalza aus beinahe unangreifbare Stellung. Der Merxleber Berg ist eine nach Unstrut und Salza zu steil abfallende Anhöhe von mehreren hundert Fuß, geschützt auf der Vorderseite von dem tiefen und breiten neuen Separationsgraben, der sogenannten neuen Unstrut, dann von der alten oder eigentlichen Unstrut und der Salza mit ihren hohen, abschüssigen Ufern. Im Hintergrunde ist die Stellung durch das Dorf selbst und durch unzählige Baumgruppen, Gräben mit Wasser und Gebüsch geschützt, und weiter darüber hinaus liegen die nahen Klettstädter Höhen, für Artilleriemassen ganz vorzüglich geeignet.

Wenn wir diese fast unangreifbare Stellung des Feindes, seine weit über das Doppelte überlegene Streitmacht, seine zahlreiche, mit Schießbedarf aller Art überflüssig ausgestattete Artillerie und die vorzügliche und ebenfalls zahlreiche Cavallerie in Betracht ziehen, so muß man wirklich staunen, daß ein Häuflein von höchstens acht- bis neuntausend Mann mit nur etwa sechszehn Kanonen und ein paar Schwadronen Cavallerie einen Angriff wagen, siegreich vordringen, das Gefecht nach einem mehrstündigen Marsche gegen einen sehr tapfern Feind in sengender Sonnenhitze mit Bravour fortsetzen und endlich, als bei der großen Uebermacht des Feindes ein Sieg unmöglich schien, sich geordnet und unter fortwährenden Kämpfen zurückziehen konnte. Geführt wurden die Tapferen von dem preußischen General von Fließ und Seckendorf, und die Gotha-Coburgischen Bataillone von Oberst Fahbeck und Oberstlieutenant von Westernhagen, welcher letztere, im Kampfe tödtlich verwundet, wenige Tage darauf diesen seinen Wunden erlag.

Die preußische Infanterie stand anfangs hinter dem Jüdenhügel und durch diesen gedeckt, dann aber rückte sie vor und besetzte das buschige Wäldchen an dem Schwefelbade, in der Mitte von Merxleben und dem Jüdenhügel gelegen, ihnen entgegen standen die Hannoveraner und das Kleingewehr jener entlud sich in nächster Nähe auf einer großen Wiese und im Hölzchen. Die Hannoveraner wurden dreimal durch die Unstrut und Salza getrieben und dreimal kehrten sie zurück. Die preußischen Zündnadelgewehre lichteten die Reihen der Feinde, aber auch unter den Preußen hielt der Tod reiche Ernte. Die sechsundvierzig auf der Merxleber Höhe so vortheilhaft aufgestellten, wohlbedienten Geschütze des Feindes spieen Tod und Verderben in ihre Reihen und demontirten gleich anfänglich zwei Geschütze der Preußen. Ein glücklicher Schuß der Hannoveraner tödtete fast sämmtliche Pferde derselben, dreien hatte er die Köpfe abgerissen, ihre Hälse boten den Anblick geschlachteter Tauben, freilich in großartiger, schrecklicher Weise. Die Preußen feuerten aus ihren sechszehn Geschützen, unter denen sich leider mehrere alte, außer Cours gesetzte Festungskanonen befanden, schneller, als die Hannoveraner, wahrscheinlich eben deshalb, weil sie deren sechsundvierzig Geschützen nur sechszehn entgegenzusetzen hatten. Die Erbitterung des Kampfes erreichte an einzelnen Stellen einen hohen Grad; am hartnäckigsten wüthete er in der Nähe der Oelmühle, einem Herrn Kallenberg gehörig, bis zum Schwefelbade. Ein anderer harter Zusammenstoß war der Angriff von Cambridge-Dragonern auf ein Gothaisches Bataillon, welches, zur Ergebung aufgefordert, den Feind mit Hurrah und vernichtenden Salven empfing, so daß hier der Tod eine furchtbare Ernte hielt. Aber auch die Gothaer mußten zahlreiche Opfer abgeben. Andererseits hatten preußische Abtheilungen unter dem Artilleriefeuer und dem Einhauen der feindlichen Cavallerie, welche der preußischen durch ihre große Anzahl und vorzüglichen Pferde weit überlegen war, schwer zu leiden, besonders das brave elfte Grenadierregiment (Schlesier). Vier Officiere waren todt, neun schwer verwundet.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_443.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)