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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

drei Loth schweren hannoverschen Flintenkugeln die schmerzlichsten, nur sehr schwer heilenden Wunden, welche von ihnen ganz zerfleischt und zerrissen waren, hervorgebracht haben, während die kleinen glatten und eirunden Kugeln der Zündnadelgewehre das Fleisch scharf durchschnitten, sich leicht und schmerzlos herausdrücken ließen und den Heilungsproceß lange nicht in dem Maße störten, wie die ersteren. Vor dem Weggang erließ der König noch folgende Proclamation an sein Kriegsheer:

„Hauptquartier Langensalza, 27. Juni 1866.

Ihr, Mein tapferes Kriegsheer, habt mit einer in der Geschichte beispiellosen Begeisterung und mit einer noch nie dagewesenen Willigkeit Euch auf Meinen Ruf und freiwillig in den südlichen Provinzen Meines Königreichs, ja, selbst als Ich bereits, von Meinem theuren Sohne, dem Kronprinzen, begleitet, an der Spitze von Euch nach dem südlichen Deutschland zog, noch auf dem Marsche um Eure Fahnen versammelt, um die heiligsten Rechte Meiner Krone und die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit unseres theuren Vaterlandes zu bewahren; und heute habt Ihr, in Meiner und Meines theuren Sohnes und Thronfolgers Gegenwart mit dem Heldenmuthe Eurer Väter kämpfend, unter dem gnädigen Beistand des Allmächtigen für unsere gemeinsame geheiligte Sache, an dem Schlachttage zu Langensalza, einen glänzenden Sieg erfochten.

Die Namen der todesmuthig gefallenen Opfer werden in unserer Geschichte mit unauslöschlichen Zügen prangen, und unser göttlicher Heiland wird ihnen dort oben den himmlischen Lohn verleihen. Erheben wir vereinigt die Hände zu dem dreieinigen Gott, ihn für unsern Sieg zu loben und zu preisen, und empfanget, Ihr treuen Krieger alle, den nie erlöschenden Dank Eures Königs, der mit seinem ganzen Hause und Euch den Herrn, um Jesu Christi willen, anflehet, unserer Sache, welche die seinige, weil sie die Sache der Gerechtigkeit, seinen Segen zu verleihen.

Georg V. Rex.

Das blutige Drama war somit ausgespielt. Daß der König es über sich gewinnen konnte, seiner nutzlosen Verschwendung von Menschenleben auch dieses Schriftstück hinzuzufügen, setzt dem Ganzen die Krone auf. Es ist ein wahrhaft anwidernder Gedanke, daß eine gewisse Art von frömmelnder Religiosität und orthodoxer Hochkirchlichkeit selbst in solchen Momenten noch den unangenehm berührenden Muth besitzen kann ihre salbungsreichen Worte abzusingen und ohne Bedenken das Einverständniß Gottes und des Heilandes mit Thaten und Unternehmungen irdischer Selbstsucht und erbarmungsloser Ueberhebung vorauszusetzen, die vernünftige Einsicht, Humanität und unbefangenes Menschengefühl mit einer Regung des Schauders immer und unbedingt verdammen werden. Gott und der Heiland haben nichts mit dieser verwerflichen und nutzlosen Menschenschlächterei zu thun, und es ist geradezu eine Blasphemie den Segen des Himmels auf eine Blutthat – das furchtbare Resultat einer fürstlichen Laune – herabflehen zu wollen.

Der so überaus tapfern und schlagfertigen preußischen Armee gegenüber, die sich auch hier wieder mit seltener Aufopferung geschlagen, ist es Schuldigkeit des Geschichtsschreibers auch der Leistungen des Feindes nicht zu vergessen.

Allerdings waren die hannover’schen Truppen noch nicht feldtüchtig, als sie aus ihren Garnisonen vertrieben wurden. Die rasche Energie, womit Preußen in diesem Kriege überall vorgegangen ist, hatte die Fäden der hannover’schen Politik durchschnitten, ehe sie noch fertig gesponnen waren. War doch der Krieg wie ein Blitz aus heiterm Himmel über Hannover hereingebrochen! Aber die Militärbehörden arbeiteten mit Energie. Die Beurlaubten, schleunigst einberufen, schlichen sich zu Hunderten mitten durch die Feinde hindurch zu ihren Regimentern. Und während der dreitägigen Rast, die ihnen in Göttingen vergönnt gewesen, hatten sich die Truppen rasch geordnet und mit fast übermenschlicher Anstrengung in dieser unglaublich kurzen Zeit das Möglichste geleistet, um ihre Ausrüstung zu vervollständigen und mit Ehren ihren Kriegszug antreten zu können. Das Officier-Corps wurde neu organisirt und durch viele, kaum dem Knabenalter entwachsene Cadetten ergänzt, denen keine Zeit übrig blieb, ihre Cadettenuniform abzulegen. Viele der noch in letzter Stunde beigezogenen Reservisten konnten erst während des Marsches eingekleidet werden, während andere in ihrer bürgerlichen Tracht, anfangs sogar unbewaffnet, dem Heere nachzogen. Zahlreiche Pferde wurden herbeigeschafft, um, wenn auch nur mit Leinengeschirr, vor den langen Zug der Munitions-, Proviant- und Bagagewagen gespannt zu werden. Wurden doch mehrere Geschütze sogar von den kostbaren Pferden des königlichen Marstalls gezogen und hatte man doch sogar einen vollständigen Pontontrain mitgenommen, zu dessen Transport sechsundzwanzig Wagen erforderlich waren! Er ist, ohne auch nur einmal benutzt worden zu sein, in die Hände der Preußen gefallen.

Vornehmlich aber war es der endlose Hoftroß, der sich wie ein Bleigewicht an den Marsch der Truppen hängte, obgleich es darauf ankam, mit Siebenmeilenstiefeln das feindliche Land zu durcheilen. Da paradirten, wie bereits alle Zeitungen erzählten, die königlichen Galawagen, mit zahlreichem Hofstaat besetzt, wobei auch der Hofprediger nicht fehlte, welcher tägliche Betstunden hielt und wie bereits erzählt, dem König das Abendmahl reichte. Ihnen folgte eine vielgeschäftige Dienerschaft mit vollständiger Kanzlei. Nicht minder war für die königliche Küche und für den königlichen Keller gesorgt. Auch die Silberkammer wurde nachgeführt, damit dem königlichen Herrn auf seiner Flucht nichts abgehe. Er selbst, der König Georg, fuhr gewöhnlich in einem verschlossenen Wagen, ihm zur Seite der einundzwanzigjährige Kronprinz in Husarenuniform. Zuweilen aber saß er auch zu Pferde, das von seinen Adjutanten kaum bemerkbar, geleitet wurde. Wer es nicht wußte, dachte nicht daran, daß der König des Augenlichtes beraubt sei. Ernst, aber leutselig, neigte er sich dem Volke zu, das ihn ehrerbietig grüßte. Viele wollen gesehen haben, daß die Adjutanten, die ihm stets zur Seite ritten, durch eine feine Schnur, die an seinen Armen befestigt war, bald rechts, bald links ein Zeichen gaben, wann und wohin er grüßen sollte. Als am Morgen nach der Schlacht mehrere Deputationen der Langensalzaer Bürgerschaft (auch von Seiten der Freimaurerloge) um wiederholte Audienzen nachsuchten, um den König zu beschwören, dem Blutvergießen Einhalt zu thun, nahm er sie bereitwillig an und horchte ihren Vorstellungen mit emporgerichtetem Haupte und mit nachdenklicher Miene. Ohne jedoch einen definitiven Bescheid zu ertheilen, berief er sich auf Gott und auf sein gutes Recht, und entließ die Bittsteller mit dem heftigen Worte: „Für alles Unglück, welches über Deutschland und auch über Ihre Stadt hereingebrochen ist, mögen Sie diejenigen verantwortlich machen, die es heraufbeschworen.“

Bald ward die übermäßige Ausrüstung den Truppen lästig. Tag und Nacht unter freiem Himmel campirend, in glühender Hitze zu forcirten Märschen gezwungen, so daß sie an manchem Tage (z. B. von Nörten bis Heiligenstadt) sechszehn Wegstunden zurücklegten, häufig ohne Wasser und Proviant, oder doch nur mit kalter Küche versorgt, die sie in den Ortschaften, welche sie durcheilten, mühsam erpressen mußten, um nur den Hunger zu stillen, konnten sich die kräftigen Leute, trotz aller heldenmüthigen Ausdauer, womit sie dem Rufe ihres Kriegsherrn folgten, oft kaum noch fortschleppen. Nun hatte man zwar schon vor dem Abzuge aus Göttingen, weil es an hinreichenden Zugkräften fehlte, einen nicht unerheblichen Vorrath werthvoller Munition in die Leine geworfen; je weiter sich aber der schwerfällige Zug bewegte, um so lästiger ward das wuchtige Gepäck, so daß viele Officiere den Befehl gaben, Alles, was nicht unumgänglich nöthig sei, stracks von sich zu werfen. Gesagt, gethan. Ueberflüssige Montirungsstücke, die zum Theil noch nicht getragen waren, flogen links und rechts und wurden von den Bewohnern der Umgegend als willkommene Beute gesammelt. In Langensalza füllte man, bevor noch die Schlacht daselbst gewüthet hatte, mehrere Wagen mit solch weggeworfenen und zurückgelassenen Utensilien aller Art.

Fürwahr, wenn man bedenkt, welche Vorräthe an kostbaren! Kriegsmaterial von den in Hannover einrückenden Preußen mit Beschlag belegt, und welche Vorräthe durch die spätere Capitulation (am 28. Juni) erbeutet worden sind – man hat in Langensalza eintausendvierhundert Pferde gebraucht, um sie auf endlosen Wagenzügen fortzuschaffen – so erstaunt man, ohne die Schätze in Anschlag zu bringen, die geradezu verschleudert und in den Koth getreten, oder von den zahllos herumschwärmenden Marodeurs in Sicherheit gebracht worden sind, über den Reichthum des hannoverschen Landes und über die fast verschwenderische Ausstattung seiner Armee, und kann sich eines wehmüthigen Gefühls nicht erwehren, daß dieses in der That herrliche Kriegsheer seine Rolle auf eine so klägliche Weise vorläufig ausgespielt hat.

Und welche Leute waren das! Trotz aller Strapazen und Entbehrungen so rüstig und so kräftig, daß man seine Freude an

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_458.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)