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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Kissingen, sondern ein preußisches Heer von fünfzigtausend Mann, und eine Stunde vor Ankunft dieses Heeres wußten die Baiern noch nichts davon!

Um zwei Uhr entschlossen wir uns, unsere Schlupfwinkel zu verlassen, und wagten uns auf die Straße hinaus. O Gott, welch’ furchtbaren Anblick die Stadt darbot! Die Häuser von oben bis unten mit Kartätschen besäet, durchlöchert von Kugeln und Granaten, die hier und da selbst steinerne Wände gesprengt hatten. Auf den Straßen und im Garten eine Menge Todter und Verwundeter, Lachen von Blut, umhergeworfene Waffen, Patronen, Munition. Der Cursaal im Garten und die Galerien verwandelten sich in ein Lazareth und füllten sich im Verlauf weniger Minuten mit einigen hundert Verwundeten; unaufhörlich trug man sie von allen Seiten auf den Händen und auf Tragbahren herbei. Ein trübes, trauriges Bild!

Stattlich schritten die preußischen Truppen mit wehenden Fahnen, unter klingendem Spiel und Trommelwirbel durch die Stadt. Die Begleitung zur Musik lieferten die Geschützsalven und der Kanonendonner in den Bergen. Im Garten waren die Bivouaks der preußischen Kürassiere und Husaren. Dorthin brachte man auch die gefangenen Baiern, von denen ich eine Stunde nach der Schlacht bis vierhundert zählte; aber auch später noch den ganzen Tag hindurch und sogar noch am folgenden Tage wurden truppweise Gefangene eingebracht, deren man sich in der Umgegend der Stadt und auf den Straßen bemächtigt hatte. Bisher habe ich keine genauen Angaben über die Zahl der Todten und Verwundeten sammeln können. Soviel ich herausbrachte, liegen jetzt im Cursaale und in fünfzehn Privathäusern, welche in Lazarethe umgewandelt wurden, über fünfhundert Mann verwundeter Preußen und Baiern. Ueber dreihundert Todte wurden auf dem Kissinger Friedhofe bestattet, darunter ein Major aus Lippe-Detmold und zwei preußische Officiere. Man sagt, es seien im Ganzen beiderseits zweitausend Todte und Verwundete.

Niemand von den Russen oder Ausländern ist, Gott Lob, getödtet oder auch nur verwundet worden. Von den Bewohnern des Ortes ist der Provisor einer hiesigen Apotheke zum Opfer gefallen, wie man sagt, ein Preuße. Während des Gefechts war er im Laboratorium und bereitete eine Arzenei. Eine baierische Granate schlug in die Wand des Hauses ein, durch diese hindurch und ein Splitter traf den Unglücklichen gerade in die Brust.

Den ganzen Rest des 28., sodann am 29. und 30. Juni zogen fortwährend preußische Truppen über Kissingen nach Schweinfurt und nach Gmünden. Heute, am 1. Juli, ist die Stadt ruhig, nur giebt es keinen Telegraphen, keine Post, keine Pferde. Auch macht sich ein bedeutender Mangel an Lebensmitteln bemerklich; es giebt kein Brod, keinen Wein, kein Bier, keinen Kaffee, keinen Tabak; Alles hat das Heer aufgezehrt.

Zur Ehre der preußischen Truppen muß man bekennen, daß Niemand unter den fremden Curgästen irgendwie gekränkt wurde. Es ist keinerlei Unordnung oder Gewaltthat vorgekommen. Die Privathäuser blieben unangetastet; nur Küchen und Keller wurden völlig ausgeleert. Eine Ausnahme machte das „Hotel de Bavière“, welches gänzlich zerstört wurde; alles Glas, alle Spiegel zerbrochen, alle Vorräthe vernichtet, das Hausgeräth demolirt, Wäsche und Kleider verschleppt und verdorben. Als Ursache dieser Verwüstung, welche am Morgen nach der Schlacht angerichtet wurde, giebt man den Umstand an, daß, während preußische Soldaten in dem Hause einquartiert waren, von Seiten des Wirths und seiner Bedienung (Baiern) drei Schüsse gegen die Preußen abgefeuert worden sein sollen.

Ich gehe jetzt dazu über, zu erzählen, wie Gott an diesem schrecklichen Morgen uns beschützte und was sich mit einigen der russischen Curgäste begeben hat. Ich will von mir anfangen. Mit meiner Familie war ich in der Zahl derjenigen, welche nicht in ihre Wohnung gelangt waren, ihre Habe dem Schicksal überlassen und in einem Gasthofe ein Unterkommen suchen mußten. Ich wählte das Hotel zum Curhause gegenüber dem Curgarten, in der Hoffnung, daß die auf demselben wehenden weißen und mit rothen Kreuzen versehenen Flaggen die Unantastbarkeit des Hauses verbürgen würden. Die Fenster meiner Stube waren der Richtung, wo die Schlacht stattfand, entgegengesetzt; so hielt ich uns für geborgen. In demselben Hause befand sich die Familie eines russischen Gutsbesitzers, die kranke Frau eines russischen Consuls, ein Kosaken-Stabsofficier mit seiner Frau, einige Beamte aus Petersburg und fünf oder sechs englische Familien. Anfangs saßen wir bei geschlossenen Läden in unsern Stuben, als aber die Kugeln in die Laden einzuschlagen begannen, da gingen wir in die Corridore inmitten des Hauses. Die Frauen und Kinder hielten sich in der Nähe der Hauptmauern. Die Männer gingen in den Corridoren umher und stiegen von Zeit zu Zeit auf den Boden, um aus den Bodenfensterchen hinauszuschauen. Man muß dem Muthe und der Geistesgegenwart aller Damen in der Gesellschaft Gerechtigkeit widerfahren lassen: keiner wurde schlimm, keine ward ohnmächtig. Selbst die Kranke, welche aus ihrer Stube in einem Bette herausgebracht worden, weil eine Kugel neben ihr auf den Boden gefallen war, hielt sich so tapfer, wie ihre Krankheit es zuließ. Die Kinder weinten nicht, sondern saßen still und zupften Charpie. Und doch war Grund zur Aengstlichkeit vorhanden: oft klirrten in den Stuben die Scheiben, von Kugeln zertrümmert; noch öfter hörte man das Pfeifen und Sausen der Granaten und Kanonenkugeln, die über das Haus hinwegflogen. Vor unsern Augen flog eine Kugel in ein Fenster des Corridors, in welchem wir uns befanden, zu uns herein; eine andere Kugel pfiff, nachdem sie ein Fenster zertrümmert hatte, so dicht an einer Dame vorüber, daß diese eine leichte Contusion in der Hand verspürte. Uebrigens traf keine Kanonenladung unser Haus. Ich wage es nicht, zu entscheiden, ob dieses den an dem Hause angebrachten Flaggen oder einfach dem Zufalle zuzuschreiben ist. Wir verließen unsern Zufluchtsort nicht bis zum Ende des Gefechts. Die ersten Preußen sahen wir bereits als Sieger in der Küche des Gasthofs, wie sie eifrig der Vertilgung unseres Mittagessens oblagen.

Nicht so sicher war die Lage, in der sich andere unserer Landsleute befanden. Hier folgen ihre eigenen Berichte von ihren Erlebnissen an diesem Morgen.

Der Generalmajor Preradowitsch war mit seiner Gemahlin in dem jenseit des Flusses gelegenen Theile der Stadt geblieben und zwar in dem Hotel Couronne de Rose, das hart an der Straße steht, auf welcher die Preußen daherzogen. Unglücklicherweise stand dieser Gasthof gerade gegenüber den auf den Bergen errichteten baierischen Batterien, so daß er dem Feuer der letztern in höchstem Grade ausgesetzt war. Einhundert dreiundsiebenzig Kanonenschüsse schlugen in das Haus ein, welches mit Kanonenkugeln, Granaten und Kartätschen förmlich besäet war. Der General hielt sich mit seiner Gemahlin in einem nach der andern Seite des Hauses gelegenen Zimmer auf, welches durch eine Capitalmauer geschützt war. Die vorderen Stuben erscheinen ganz bunt von Kugeln und Kartätschen. Einige Granaten schlugen durch die Wände des Hauses und platzten in den Corridoren. Granatensplitter fielen in die Stube, wo sich der Generalmajor befand, zum Glück, ohne ihn oder seine Gemahlin zu verletzen. Sogleich beim Beginn des Kampfes nahmen die Preußen seine Wohnung ein und schossen vom Balcon oder aus den Fenstern.

Ein Gutsbesitzer aus dem Wladimirschen, Herr Protassjew, wohnte mit Frau und Tochter im „Hotel Sanner“, dem letzten Hause an der Straße nach Schweinfurt. Als das Treffen begann, nahm Herr Protassjew gerade ein Bad; eine Kugel flog, als er aus der Wanne stieg, nahe an ihm vorüber, nachdem sie das Fenster zertrümmert hatte. Die Fenster der Wohnung waren nach der Straße gerichtet, auf welcher der Kampf wogte. Herr Protassjew nahm seine Zuflucht zur Nachbarswohnung. Nachdem die Preußen ihre Gegner von der Brücke verdrängt hatten, nahmen sie die Wohnung des Herrn Protassjew ein und schossen aus den Fenstern des Schlafzimmers. Seine Wohnung ist an vielen Stellen beschädigt; in dem Schlafzimmer ward ein Baier getödtet; dicht am Bett ist eine große Blutlache.

Der Sänger unserer russischen Opernbühne, Herr Komissarshewskij, der mit seiner Frau und seinem kleinen Kinde vor wenigen Tagen erst nach Kissingen gekommen war, wohnte inmitten der Stadt, am Markt, im „Hotel Wittelsbach“. Der Gastwirth hatte seine Gäste in dem Kellergeschoß seines Hauses geborgen, wo sie vor Kugeln und Kartätschen sicher waren. Als die Preußen sich der Stadt bemächtigt hatten, hörte man plötzlich laute Schläge an die verschlossene Thür und den Befehl zu öffnen. Der erschrockene Wirth hatte sich versteckt. Die Schläge wurden mit der Drohung wiederholt, daß, wenn man nicht öffnete, die Thür erbrochen und alle in dem Raume verborgenen Personen getödtet werden würden. Herr Komissarshewskij entschloß sich, selbst die Thür zu öffnen. Sobald dies geschehen war, stürzten die Preußen herein und warfen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_530.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)