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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ich Dich nicht um mich habe, obgleich ich noch Deine Liebe besitze, aber wie würde mir erst zu Muthe sein, wenn ich Dich verlieren sollte! Ich suche Dich gleich in den ersten Tagen des Frühlings auf und zwar zu Pfingsten, wo ich am leichtesten aus dem Geschäft fortkomme.

Apropos! Du hast Dir oft eine schöne Halskette gewünscht. Ich habe Dir eine gekauft und würde sie gleich schicken, wenn ich wüßte, daß ich sie Dir direct einsenden kann, ohne bei den Leuten, bei denen Du bist, Verdacht zu erregen. Schreibe gleich und sag’ mir Deine Meinung darüber. Schreibe recht, recht viel, plaudere über alles Mögliche. Dein Geplauder lese ich lieber, als die schönsten Bücher.

Der Deinige mit aller Gluth der Seele.

27. Oct. 1865.

Seeburg.“

Vroni hatte den Brief erhalten. Er machte ihr Freude und schmeichelte ihr, aber Alles in Allem genommen, wenn die Halskette mit dabei gewesen wäre, es wäre ihr lieber gewesen. Nicht eben aus Habsucht, habsüchtig war sie nicht, allein von der ihrem Geschlechte eigenen Putzsucht hatte sie ihr Theil mitbekommen. Sie beschloß, Seeburg diesmal nicht so lange, wie früher, nach ihren Zeilen schmachten zu lassen. Er sollte umgehend mit einem Briefe beglückt werden.

Es war Vormittag. Mit dem Scheuern ihrer Krügel und Gläser fertig geworden, setzte sich Vroni in der leeren Wirthsstube in einer Ecke nieder, riß ein Blatt aus einem Kalender und fing mit der Feder darauf zu kritzeln an. Dann faltete sie das Papier, schob es in die lederne Geldtasche, worin sie bereits Seeburg’s Brief verwahrt hatte und eilte den Wiesenpfad entlang, über den hölzernen Steg, einem ärmlichen, einstöckigen, mit Blättern bewachsenen Hause zu, dessen schwarzes Schindeldach zwischen den Weiden hervorblickte. Hier wohnte Balthasar Saiblinger, der Schullehrer. Dies war ein alter Mann mit einem mächtigen Kopfe, den eine Fülle grauer, unordentlich durcheinander wachsender Haare überwucherte. Sein breiter Mund mit den starken, weit auseinandergerückten Zähnen und das derbe, wie mit der Axt zugehauene Gesicht von barbarischem Ausdruck hätten Manchen auf die Idee gebracht, er sei eher gewohnt, Kinder zu fressen, als zu unterrichten. Und doch war er, trotz seines wilden Aussehens, ein zwar roher, aber gutmüthiger Mann.

„Schullehrer,“ sagte Vroni, „da komm’ ich schon wieder, Du mußt mir wieder helfen! Das Gekritzel da,“ sie zog das Blatt aus der Tasche, „sollst Du mir abschreiben, oder vielmehr – ach, ich weiß ja, daß es zu gar nichts taugt – Du sollst es besser machen. Der Herr Seeburg hat geschrieben. Ich möchte gar auch so närrisch thun, wie er, aber dazu hab’ ich zu wenig gelernt. Doch sieh einmal, was für überspanntes Zeug dasteht.“ Sie übergab ihm den Brief.

Saiblinger hatte die Pfeife bei Seite gelegt, die Brille gemächlich aufgesetzt und zu lesen angefangen. Als er zu Ende gekommen war, sagte er, die Brille auf der Stirn hin- und herschiebend:

„Dummes Mädel, der ist halt in Dich verliebt. Sei froh, die schöne Halskette ist so gut wie schon Dein. Dein Gekritzel da ist freilich nicht zu brauchen. Da muß man mehr Liebe zeigen. Auf Deinem Zettel seh’ ich nichts, als daß Du gern die Halskette haben möchtest. Da muß man etwas ‚vom Herzen‘, ‚von den Sternen‘ und dergleichen Dingen schreiben! Nun, ich will es Dir aufsetzen und, da das ein so guter und spendabler Herr ist, noch sauberer abschreiben, als letzthin –“

„Nein, nein,“ unterbrach ihn Vroni hastig, „dann glaubt er nicht, der Brief sei von mir.“

„Da hast Du wieder Recht,“ sagte der Schulmeister mit gravitätischer Anerkennung.

„Schreib es nur schlecht, es ist noch immer gut für mich. Vor Allem aber bitt’ ich, geh bald an die Arbeit. Er will’s –“

„Und Dich juckt die Kette!“ warf der Schullehrer ernsthaft hin. „Gleich will ich’s machen, aber Zeit brauch’ ich, Zeit! In solchen Sachen hab’ ich sehr wenig Uebung. Ich muß ein Buch nachschlagen und das Ding gehörig durchdenken. Verstanden?“

Er sagte das nicht allein, um die Höhe des Honorars zu verdoppeln, sondern in aufrichtiger Erkenntniß seiner Unzulänglichkeit auf dem Gebiete erotischen Stils.

„Kann ich es morgen haben?“

„Nun, wir wollen sehen. Den Brief des Seeburg laß mir hier.“

„Und mach’ es schön, Schullehrer, mach’ es schön!“

Der Halskette zu liebe fühlte sich Vroni gedrungen, mit der Sentimentalität, die Seeburg’s Brief athmete, zu rivalisiren. Saiblinger versprach, das Mögliche zu thun.




Nachdem der alte Schullehrer mehrere veraltete Bücher seiner Bibliothek zu Rathe gezogen und sich viel geplagt hatte, war folgender Brief zu Stande gekommen:

     „Heißgeliebter Herr Seeburg!

Ich habe es anfangs gar nicht gewagt, Ihnen zu schreiben, darum habe ich so lange gezaudert. Da ich aber sehe, daß Ihr Brief so nachsichtig und liebevoll abgefaßt ist, habe ich mehr Muth und schreibe so schnell, wie es mir meine Arbeiten erlauben. Aber was soll ich Arme schreiben? Daß ich Sie liebe, wissen Sie, aber mit welcher Feder sollte ich auch meine Gefühle ausdrücken? Ich bitte täglich zu Gott, daß er das schöne Frühjahr bald schicken möge, damit ich das Glück habe, Sie wiederzusehen! Ihren Brief trage ich auf der Brust und habe ihn schon hundert Mal gelesen.

O, schreiben Sie so schnell als möglich. Aber wenn Sie die Halskette mitschicken, bin ich Ihnen recht böse. Ihr Brief ist mir genug, zur Freude und zur Ehre. Wenn ich auch oft gewünscht habe, eine schöne Halskette zu besitzen, so ist es mir doch lieber, an Ihnen ein Herz zu haben, das so treu und aufrichtig für mich schlägt. Lieber Herr Seeburg, wenn man so einsam dasteht, wie ich, so ist man glücklich, einen wahren Freund gefunden zu haben, und braucht nicht Geschenke. Erzürnen Sie mich also nicht, indem Sie die Halskette schicken, und glauben Sie nicht, daß ich sie zurückweise, weil ich mich vor den Leuten genire, sie anzunehmen. Nach wem habe ich zu fragen? Der alte kranke Herr aus Potsdam, den Sie kennen, hat mir voriges Jahr ein Kleid zugeschickt und zwar durch die Post. Was liegt daran, wenn man ein gutes Gewissen hat?

Schreiben Sie also gleich, denn ich verschmachte vor Sehnsucht und Liebe, und behalten Sie in liebendem Andenken

Ihre     

31. Oct. 1865.

Vroni Schöllerin.“

Als Seeburg diesen Brief gelesen, rief er: „Ein prächtiges Mädchen! So uneigennützig! Und wie ihr Herz aufzuthauen anfängt! Der erste Brief war, gegen diesen gehalten, wie ein Stück Eis, wie lieb er auch war. Mach’ ich sie wirklich böse, wenn ich ihr die Halskette schicke? Nein, nein! Gretchen sogar hat von Faust Schmucksachen als Präsent angenommen. Nein, nein, ich sende die Kette und begleite das Geschenk mit den zartesten Worten.“

So monologisirte Seeburg, aber man thäte ihm Unrecht, wenn man ihn solcher Reflexionen wegen für einen beschränkten Kopf hielt. Er war vielmehr im Umgange mit seinen Freunden, wie in seinem Geschäft ein ganz gescheidter und gewandter junger Mann, der oft recht gute Einfälle hatte. Wie hätte er aus den Schriftzügen heraus die greise Hand, von der sie herrührten, erkennen sollen? Wer kennt die Bauernschriften? Bei kaufmännischen Briefen wäre es ihm gewiß nicht so ergangen. Die hie und da erkennbare Unsicherheit hielt er für Folge von Mangel an Uebung. Und da der erste Brief Vroni’s unleugbar echt gewesen, warum sollte er dem zweiten mißtrauen?

Das Paquet mit der Kette langte ungesäumt an seinem Bestimmungsorte an, ohne Vroni irgendwie böse zu machen. Die Kette kam eben zurecht, daß sie selbe vor Antritt der Wallfahrt anlegen konnte. Ihr erster Gedanke war, einen glühenden Dankbrief an Seeburg zu senden; ihr zweiter den Brief zu vertagen. Der Schulmeister verlangte einen Gulden dafür.

Einige Tage nach der Wallfahrt vollzog sich in Vroni’s Lage eine große und unerwartete Aenderung. Der Wirthssohn in Untersbach bei Maria-Stein hatte sich in Vroni verliebt und Ihr Herz und Hand angetragen.

„Da ist Dir zu gratuliren,“ sagte der Schulmeister, als er Vroni Tags darauf an der Hausthür stehen sah. „Der Wirthssohn von Untersbach ist ein schmucker Bursch’ und, hat ein hübsches Vermögen zu erwarten. Aber was ist’s jetzt,“ setzte er leise hinzu, „mit dem Herrn Seeburg? Wirst Du ihm die Halskette zurückschicken?“

„Glaubst Du, daß ich es thun muß?“

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