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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

in diese unwirthlichen Gebirgsstöcke ein Kriegstheater zu verlegen! Kein Handbuch der Strategie heißt ein solches Wagniß gut. Ja, entschuldigt Euch nur, Ihr Herren Ober- und Bundesgenerale; Ihr seid gefoppt und geschlagen, nicht Eure braven Soldaten. Wie Löwen standen Eure Krieger in dem Eisenhagel der Geschütze und Zündnadelgewehre … Jener schwäbische Hauptmann hat nicht zu viel gesagt, als er auf der Pfingstweide zu Frankfurt seine neuen Mannschaften den Fahneneid schwören ließ und sie dann anredete: „Jetzt will i au e paar Wörtli zu meine Leut redde. Mir Schwabe brüschte uns net. Mir glaube au net, daß mir die Welt auffresse, aber h’neihaue thue mir mit unsere Fäuschte, so viel als mir könne!“ „Ja, des thue mir scho,“ antwortete damals die ganze Mannschaft wie aus Einem Munde und sie haben Wort gehalten, die wackeren Schwaben.

Das Motto des deutschen Bruderkrieges für die Unterliegenden heißt: Schlechte Führung! Das war ein Feldzugsplan, als hätten ihn die Preußen dem Prinzen Alexander untergeschoben. Die Preußen sagen es ja selbst, man hätte sie vernichten, fangen, aushungern können, wenn die Führung der beiden feindlichen Corps nicht gar so kraftlos gewesen wäre und nur einigen militärischen Ueberblick an den Tag gelegt hätte. Aber das sollte ein Krieg und ein Sieg werden, wie er in den Compendien der Strategie zu lesen ist. Es war eine theoretische Führung und nach jeder aufgegebenen Position tröstete man sich: „Wir finden schon eine noch bessere, aber dann …“ Und erst das Zusammenspiel der beiden durchlauchtigsten Prinzen! Die feindlichen Brüder hätten es nicht besser verstanden, sich gegenseitig um die Lorbeeren des Sieges zu bringen. Die Eifersucht hat Wunder für uns gewirkt! das erkennen alle Preußen an – mit Großmuth und Barmherzigkeit!

Am 12. Juli hatten die Darmstädter bei Laufach und Frohnhofen stark gelitten. Generallieutenant von Perglas, das Musterbild von einem Wachtparadengeneral, hatte sich weniger in die Generalskarte, als in die Wein- und Speisekarte seines Hotels vertieft und seine Truppen in einer Weise aufgestellt, die selbst das Mitleid des Feindes gegen sie wachrief. „Schießt nicht mehr,“ sollen sich die Preußen einander zugerufen haben, „es ist Mord.“ Die Darmstädter zogen sich fliehend zurück und nahmen vor Aschaffenburg an den Höhen bei Goldbach Aufstellung. Hier wurden sie aber andern Tages von den neuangekommenen Oesterreichern (sechstausend Mann unter Neipperg) abgelöst. Am 14. Morgens begann der Kampf, der sich bald von den Goldbacher Höhen fortspann bis in die Nähe von Aschaffenburg und dem Bahnhof. Aber auch hier mußten die Oesterreicher der Uebermacht weichen. Ein paar Compagnien stellten sich dann zur Deckung des Rückzugs noch am Herstaller Thore auf. Diese Scene hat der Zeichner unseres Bildes sehr lebendig dargestellt, aber was konnte der Muth gegen Uebermacht ausrichten? Kartätschenhagel lichtete die Reihen der Kämpfenden, die zum Ueberfluß auch noch von der preußischen Infanterie in der Flanke gefaßt wurden. Das Thor war nicht zu halten; in wilder Flucht stürmte man die verschlossenen und verlassenen Häuser, schoß auch noch von hier aus auf die nachrückenden Feinde oder ergab sich ihnen auf Gnade und Ungnade.

Nicht besser erging es dem linken Flügel unter Neipperg; auch dieser mußte bei Goldbach dem Drängen der Uebermacht weichen. An dem sogenannten Auhof bei Goldbach war er mit dem Feinde am Morgen zusammengetroffen, zog sich dann bis an die Windmühle zurück, konnte aber auch da sich nicht halten. Er theilte sich hier; die Einen suchten die Straße nach Kleinostheim zu gewinnen, die Andern, und mit ihm die Generalität, zogen sich durch das Carlsthor nach Aschaffenburg. Hier war es, wo ein italienischer Officier vergebens Feuer commandirte und auf seine eigenen Leute scharf einhieb, weil sie dem Commando nicht Folge leisteten. Die Preußen waren indessen durch das Fischerthor in die Stadt gedrungen und stießen auf die Nachhut, welche von kurhessischen Husaren gebildet wurde. Es hätte ein mörderischer Kampf werden können, wenn die Preußen das Terrain noch besser gekannt hätten. Den Oesterreichern blieb der Rückzug nur offen über den steil abfallenden sogen. Windfang, eine Straße, die um die Weinberge führt auf welchen die Perle von Aschaffenburg, die altgothische Pfarrkirche, thront. Der Windfang ist schon für gewöhnliches Fuhrwerk schwer zu passiren, geschweige denn für eine Armee in wilder Flucht, welcher der Feind auf dem Fuße folgt. Ein Glück war es, daß im Allgemeinen die Preußen zu hoch schossen; sie nahmen den Abfall des Windfang zu niedrig, und die Kartätschen flogen so über die Häupter der Fliehenden weg. Aber es war auch ein Glück für die Stadt, daß die Oesterreicher jenseits der Brücke sich nicht zahlreich und rasch genug aufstellen konnten, um längeren Widerstand zu leisten. Mit zwei Geschützen konnten sie etwa ein Dutzend Mal feuern, dann sahen sie ein, daß sie der preußischen Batterie, die ihr gegenüber in einem hochgelegenen Weinberg aufgestellt war, nicht Stand halten konnten; wäre es geschehen, so wäre die Stadt jetzt vielleicht ein Trümmerhaufen.

Augenzeugen wissen viel Trauriges aus dem Straßenkampfe zu erzählen, wie dort Einer fiel, hier Einer vom Kartätschenhagel förmlich zerrissen wurde. Wir wollen ihnen die Kriegsschrecken nicht nacherzählen, wohl aber halten wir uns verpflichtet, den edlen Frauen Aschaffenburgs ein kleines Denkmal für ihre Unerschrockenheit zu setzen, mit der sie mitten im Kugelregen den Verwundeten auf der Straße zu Hülfe eilten. Freilich fehlte es auch nicht an einzelnen Rohheiten und Unmenschlichkeiten und mehr als ein Flüchtiger wurde, aus Furcht vor den Preußen, von der rettenden Hausthür zurückgestoßen – in den mörderischen Kugelregen. Der Krieg kennt keine Menschlichkeit und das Gesetz: Jeder ist sich selbst der Nächste, wird über Gebühr streng, ja, unerbittlich streng gehandhabt. Aber kaum hatte der Kampf ausgetobt, da setzte sich auch wieder die Menschlichkeit in ihre Rechte ein. Nun war ja keine Gefahr mehr für’s eigene Leben, um das Anderer zu retten. Alles Mögliche geschah, um die Verwundeten zu retten, zu trösten, zu speisen und zu beherbergen. Es herrschte ein edler Wetteifer in der Bürgerschaft, und auch hier zeigten sich wieder die Frauen als leuchtende Engel der Nächstenliebe.

Das Hauptquartier des Generals von Goeben war im alten, ehrwürdigen Schlosse der ehemaligen Kurfürsten von Mainz, das am Westende der Stadt auf einem steil abfallenden Hügel Gegend und Stadt beherrscht wie eine Citadelle. Hier ging es sehr heiter zu, denn man hatte in dem Schloßkeller eine sehr willkommene, reiche Beute gemacht. Die trefflichsten Frankenweine wurden hier den Siegern zu Theil; der ausgezeichnete Hörsteiner mit seiner würzigen Blume mag manchen fühllosen Gaumen gelabt haben, dem vielleicht ein Seidel Bier die gleichen und vermuthlich noch bessere Dienste gethan hätte. Das ist eben Krieg: heute den feinsten Wein und morgen keinen Schluck trinkbaren Wassers. Der civilisirteste Krieg ist eben doch nur ein Rückfall in die Wildheit!

Von Aschaffenburg waren die Bundestruppen am linken Flußufer aufwärts fortgezogen nach dem Taubergrund. Die Gefechte, die dort bei Hundheim und Tauberbischofsheim siegreich für die Preußen ausfielen, wollen wir unbeschrieben lassen, dafür aber den Erlebnissen eines Ritters von dem Frankfurter Sanitätscorps Einiges nacherzählen. Wir Männer des rothen Kreuzes im weißen Felde – sagt er – zogen mit sechs barmherzigen Schwestern und zwei Diakonissinnen den Main aufwärts nach Miltenberg. Ein schlechter Omnibus, mit vier noch schlechteren Artilleriepferden bespannt, diente als Beförderungsmittel. In Miltenberg war man in sehr trostloser Lage. Der Krieg hatte arg gewüthet. Es fehlte an Allem, was ein Menschenherz erfreuen, einen Hungernden sättigen, einen Durstigen laben kann. Wein und Brod waren sagenhafte Gegenstände geworden. Was wir für gutes Geld und inständige Bitten nicht auftreiben konnten, das sollte der Stadtrath ohne Geld, mit Gewalt von seinen Ortsangehörigen erpressen. Umsonst, und selbst die Drohungen der Armeegensd’armen wollten nicht mehr verfangen. Es war nichts da, kein Brod, kein Fleisch und auch keine Pferde mehr, und doch sollte deren einhundert und fünfzig der arme Stadtrath herbeischaffen. Wie die Väter der Stadt ihr Gewissen und das Ungestüm der Feld-Gensd’armerie beruhigt haben, wissen wir nicht, denn unseres Bleibens war nicht in dem ausgehungerten Städtchen.

Die Verwundeten waren noch nicht so weit mainabwärts gekommen, wir sollten die ersten in Neubrunn treffen. Als wir dort ankamen, war es Nacht. An Weiterfahren mit den müden Rossen war nicht zu denken. Also Nachtlager nehmen – aber wo? Alles was Bett und Streu hieß, war vergeben. Die geistlichen Damen hatten es gut; der Pfarrer erbarmte sich ihrer und nahm sie in’s Pfarrhaus auf. Wir aber richteten uns, so gut es ging, in unserem Omnibus häuslich ein. Aber kaum graute der Morgen, so hörten wir ein unheimliches, schreckhaftes Getöse. „Stürzt Rhodus unter Feuerflammen?“ Mit diesen Worten öffnete einer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_590.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)