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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

und jedenfalls demagogisch. Und die Demagogen haßte er bitter. Er setzt sich, rasch entschlossen, diesem Unwesen zu steuern, an seinen Arbeitstisch und erläßt jenes berühmte Decret, welches der deutschen Sprache einen neuen Ausdruck erworben hat. „Seit zwanzig Jahren reite ich auf einem Principe herum: nämlich, daß jeder Beamte bei seinem richtigen Titel genannt werde.“ Wie gesagt, die deutsche Sprache verdankt den Eingangsworten dieses Erlasses Heinrich’s des Zweiundsiebenzigsten den Principienreiter, welches Wort sicherlich noch fortleben wird, wenn selbst die leiseste Erinnerung an seinen Autor verblaßt ist.

Eines Tages erfuhr er, daß in der vergangenen Nacht Diebe aus der fürstlichen Steuercasse zu Lobenstein eine beträchtliche Geldsumme gestohlen hatten. Die guten Lobensteiner kannten damals das Institut der Nachtwächter nicht, und Heinrich der Zweiundsiebenzigste ahnte auch nicht im Entferntesten, daß seine Hauptstadt ohne Nachtwächter war. Noch am selbigen Morgen erschien ein Erlaß, der wörtlich so begann: „Seit zwanzig Jahren wieder zum ersten Mal an meine Regentenpflicht erinnert, erfahre ich, daß Lobenstein des Nachts unbewacht schläft, während Hirschberg nicht übel disciplinirt ist.“ Er ergeht sich nun in längeren Betrachtungen über diesen Uebelstand und giebt dem Leser zugleich eine Erklärung, warum in Lobenstein keine Nachtwächter sind. Er versetzt sich nämlich in die Denkweise eines Lobensteiner Bürgers und läßt einen solchen sagen: „Punkt fünf Uhr stehe ich auf, arbeite wie ein oberländischer Zugstier und lege mich Abends neun Uhr zu Bett, ohne daran zu denken, daß Lobenstein unbewacht schläft.“ Allein er bekümmerte sich nicht blos um die Nachtwächter, auch dem Feuerlöschwesen widmete er seine landesväterliche Aufmerksamkeit. Im Februar 1844 fand in Lobenstein ein Brand statt. Kurz darauf erschien folgender Erlaß Heinrich’s des Zweiundsiebenzigsten, den wir in seinen Hauptstellen wörtlich mittheilen:

„Augenzeuge des Feuers auf dem Berge in Lobenstein, spreche Ich wiederholt aus, wie sich die Thätigkeit und Entschlossenheit unseres Völkchens auch bei dieser Gelegenheit bewährt und Ruhe und Gehorsam, die bei Ausführung der Löschanstalten stattfanden. Darüber Meine Zufriedenheit! Rügen aber muß Ich, daß – wenigstens im Anfange, also da, wo Hülfe, kräftiges, allgemeines Einschreiten noth thut – viel zu wenig Leute vorhanden waren, eine Gasse zum Löschen zu bilden und dergleichen. Mein Grundsatz ist: erst löschen und dann einpacken! Nämlich so: wenn ein kleines Feuer schnell bewältigt wird, so schlafen dann die Leute ruhiger, als wenn durch Vernachlässigung desselben eine schlecht gebaute Stadt vielleicht darauf geht … Ein schnell gelöschter Vorhang! (spreche aus eigener Erfahrung), eine schnell gelöschte Asche aus der Pfeife rettet das Haus … Von einem Haus wälzt sich der Brand auf vierhundert … Der Schneeball wird zur Lawine … Sie haben dies zu veröffentlichen und diejenigen, welche dessen würdig sind, öffentlich zu beloben.

Schloß Ebersdorf, den 22. Febr. 1844.

H. 72.“

In diesen ersten vierziger Jahren war es auch, wo Schloß Ebersdorf den Besuch jener schönen Spanierin erhielt, die einige Zeit später die Ursache der baierischen Revolution und der Thronentsagung Ludwig’s des Ersten werden sollte. Heinrich der Zweiundsiebenzigste war viel auf Reisen, bald in Frankreich, bald in Italien, bald in England. Er hatte, nebenbei bemerkt, eine vollständige Sammlung aller politischen Caricaturen, die in England seit Anfang dieses Jahrhunderts erschienen waren. Die Sammlung war wirklich werthvoll und wurde mir noch 1847 gezeigt; ob sie heute noch existirt – sie war damals im Ebersdorfer Schloß – weiß ich nicht.

In England hatte nun der Fürst durch Lord Arbuthnot die Bekanntschaft der Señora gemacht. Ein englischer Pair, Mitglied des Oberhauses, Lord Sh…, mit dem ich vor Jahren in Zürich im Hotel Baur zufällig bekannt wurde und der ein Bekannter des Fürsten aus seinem Londoner Aufenthalt war, erzählte mir, daß der Fürst Lola aus sehr drückenden Verhältnissen durch eine Summe Geldes erlöst und sie dann zu sich nach Ebersdorf eingeladen habe. Die Señora stellt die Sache in ihren Denkwürdigkeiten bekanntlich anders dar, in einem für sie günstigeren Lichte …

Das excentrische Wesen der Señora behagte indessen dem Fürsten doch nicht auf die Dauer. Er hatte ihr ein paar gutmüthige Ebersdorfer Landmädchen zur Bedienung gegeben, und diese armen, harmlosen geduldigen Geschöpfe quälte die übermüthige Spanierin auf jegliche Weise. Sie biß und kratzte dieselben und die Bedienten fühlten mehr als einmal ihre Reitpeitsche. Im Schloßpark ritt sie über die schönsten Beete, schlug den seltensten Blumen mit der Gerte die Blüthen ab und hetzte sogar einmal bei einem Concert, das dem Fürsten von jungen Mädchen in Waidmannsheil – einem Jagdschlosse – gegeben wurde, die großen Fanghunde Serenissimi auf die erschrockenen Mädchen. Es ist erklärlich daß zwei so excentrische Persönlichkeiten sich nicht lange vertragen konnten.

„Schaffen Sie mir das Frauenzimmer fort … Ich kann sie nicht mehr leiden,“ sagte er zu seinem Adjutanten.

„Aber, Durchlaucht, Señora versteht nur Englisch und Spanisch und sehr mangelhaft Französisch … Ich werde mich ihr nicht verständlich machen können.“

„Das ist Ihre Sache …“

Der arme Adjutant war in einer fatalen Lage. Endlich kam er auf ein Auskunftsmittel. Die Señora speiste Abends in ihrem Zimmer allein. Eines Tages fand sie unter ihrem Couvert ein Billet, worin ihr vom Adjutanten des Fürsten angekündigt wurde, es sei der Wille Seiner Durchlaucht, daß Señora binnen vierundzwanzig Stunden seine Staaten verlasse. Señora war wüthend. Einen unglücklichen Secretär W., der unversehens in ihre Stube gerieth, fuchtelte sie mit der Reitpeitsche hinaus, dann verlangte sie Serenissimus zu sprechen. Aber Heinrich der Zweiundsiebenzigste war und blieb unsichtbar, sein Zimmer verschlossen und von zwei Jägern bewacht. Als Lola sah, daß ihr Wüthen umsonst, fing sie an, gelindere Saiten aufzuziehen, und mit einem Reisegeld von zweitausend Thalern aus der Casse des Fürsten verließ sie Ebersdorf, indem sie Serenissimus zum Abschied sagen ließ, zum Verlassen seiner Staaten bedürfe sie nicht vierundzwanzig Stunden, sondern nur eine Viertelstunde Zeit.

Ungestört konnte sich Heinrich der Zweiundsiebenzigste nun wieder seiner Regententhätigkeit widmen, die sich wesentlich in jenen originellen Erlassen äußerte, von welchen ich schon einige Proben gegeben habe. Die Größe seiner Staaten erlaubte es ihm, sich auch um das Geringfügigste zu kümmern. So erschien eines Tages, im October 1844, folgende Proclamation:

„Ich finde für nöthig, Folgendes hiesiger Landesdirection zur Veröffentlichung mitzutheilen, um Mißverständnisse zu vermeiden, um jedem Betreffenden einen Anhaltepunkt zu geben.

A.

Alle ‚anständigen‘ Fremden ohne Unterschied können während meines Aufenthaltes hier zu jeder Tagesstunde das Schloß und seine Umgebung besuchen.

Wollen Genannte das Innere sehen, so melden sie sich beim Thorwärter. (Es ist stets ein Thorwärter da.)

Bei dem Thorwärter erfahren die Fremden das Nöthige.

Da Ich hier von anständigen Fremden rede, so nehme Ich an, daß sie nichts Unanständiges begehen; z. B. keine schweren Stöcke, Hunde, keine schmutzigen Stiefeln, Worte, Lieder etc., Narrenhände etc.

Wünscht Jemand in den Anlagen herumgeführt zu werden, so kann er bei dem Hofgärtner darum bitten. Doch kann und soll Niemand ‚Anständiges‘ in dem Besuch der Anlagen gehindert sein.

B.

Hiesiges anständiges Publicum ‚wie ad A.

Mit dem Unterschiede, daß es die Fähnlein, die den Durchgang verbieten, zu beachten hat; daß Sonntags vorzugsweise dem Besuche gewidmet ist.

Mit der Dunkelheit hört der Besuch auf. Warum? Weil dann die Begriffe ‚Anständig‘ und ‚Unanständig‘ sich verwirren.

C.

Auf Tinz oder dessen Garten findet Obiges Beziehung, mit der Bemerkung, daß dort die Fasanerie besondere Berücksichtigung verdient.

Schloß Osterstein, den 25. Septbr. 1844.

H. 72.“

Dieser Erlaß erschien genau so, wie in Vorstehendem angegeben, in der „Geraischen Zeitung“ abgedruckt. Ich hätte Niemandem rathen mögen, auch nur ein Iota, auch nur an der Form

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_593.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2021)