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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Gebt Euch, Meister Wolf Roritzer … ich verhafte Euch um Beleidigung kaiserlicher Majestät und um Hochverrath!“

„Ihr redet irre, Herr,“ sagte Roritzer, der immer kälter und besonnener ward. „Wann, wo hätte ich des Kaisers Majestät, den ich so hoch verehre, beleidigt? Wie wäre ein Gedanke von Hochverrath in meiner Seele aufgetaucht? Weiß ich doch kaum, was Ihr darunter vermeinen mögt. – Eins aber weiß ich, daß ich Verwahr einlege gegen solche Verhaftung und gegen Euch … Ich verlange einen parteilosen Richter und soll ich wegen des Kaisers gefragt werden, will ich auch nur vor dem Kaiser Red’ und Antwort geben.“

„Ei,“ rief der Hauptmann mit giftigen Blicken, „Ihr wart ja schon auf dem Wege zu ihm – was seid Ihr doch umgekehrt! Seht, Meister, Ihr rühmt Euch, Wunders viel ausgerichtet zu haben mit Richtscheit und Winkelmaß – aber wenn Ihr auch noch so gering von der Rechtsgelahrtheit denkt, – Eins könntet Ihr doch von ihr und ihren Anhängern lernen – die Kunst, nichts halb zu thun! … Appelliren wollt Ihr an des Kaisers Hof? Jetzt stehe ich hier als der Kaiser vor Euch, als des Kaisers Stellvertreter mit unumschränkter Vollmacht, Friede zu machen in dieser unseligen, von Bösewichtern verleiteten Stadt – ich werde wohl Mittel finden, die Euch zwingen, mir Rede zu stehen! … Ihr habt den Befehlen des Kaisers getrotzt, habt Euch der Einführung des von ihm erwählten Hauptmanns widersetzt, habt mich, seinen Abgesandten, gefänglich angegriffen – ist das nicht Beleidigung kaiserlicher Majestät? Ihr habt Euch an die Spitze eines Aufruhrs gestellt, der darauf abzielte, die alte Ordnung, Recht und Verfassung Eurer Vaterstadt umzustürzen …“

„Halt, Herr,“ rief Roritzer auflodernd, „das hab’ ich nie gethan und nie gewollt, und trüg’ er zehnmal des Kaisers Rock, ein Lügner, wer das sagt! Ich wollte der Bedrückung der Gemeine ein Ende machen, der Unterdrückung durch diejenigen, die deren Schutzherren und Verwalter sein sollten und sich allgemach zu Gewalthabern gemacht und zu unbeschränkten Herren! Nicht die alte Verfassung zu stürzen galt es, nein, die vom Rath heimlich, langsam, tückisch untergrabene zu schützen und zu erhalten! Meinen Mitbürgern aber bin ich beigestanden als Fürsprech gegen die Winkelzüge des Raths und weil sie mir gelobt hatten, der Aufruhr solle zu Ende sein und sie ruhig warten bis zur Entscheidung durch das höchste Oberhaupt im Reich… Sie haben ihre Zusage nicht gehalten! Mit Schmerz hab’ ich erkennen müssen, mit tiefer Wehmuth bekenn’ ich, daß die Gewalt nicht der Boden ist, auf welchem das Haus des Rechts gefügt werden kann und gebaut .… Als ich es erkannt, habe ich mich losgesagt von dem Bündniß; wo ist der gerechte Richter, der den Stab über mich brechen und sagen kann … ich sei schuldig?!“

„Sieh’ da,“ entgegnete der Stadthauptmann, der lauernden Blickes zugehört, „wie Ihr zu distinguiren wißt, wahrhaftig sehr fein und scharf für einen gewesenen Tribunus Plebis, einen gestürzten Dictator! Ihr verrathet Geschick zu der Kunst, die ich zur Aufgabe meines Lebens gemacht, drum will ich Euch, obwohl ich nicht hierher gekommen, mit Euch zu rechten, eine Lehre geben … dieselbe, die Ihr schon einmal gehört: Nichts halb zu thun! Hättet Ihr mehr kaltes Blut, Ihr hättet ein Staatsmann werden können, aber Ihr folgt Euren Wallungen und mit Wallungen werden die Geschicke der Völker und Städte nicht gemacht! Ihr seid in’s Fahrzeug gestiegen und habt Euch an’s Steuer gestellt, es durch den Sturm zu leiten… Da Ihr das thatet, mußtet Ihr wissen, welches Element es zu bändigen galt, und mußtet es bändigen. Ihr mußtet das Schiff hindurchführen oder nie eine Hand an’s Steuer legen. Darum seid Ihr schuldig! Ohne Euch wäre der Aufruhr nie zu solcher Höhe gestiegen, nie zu solcher Wildheit entbrannt, Euch trifft die Verantwortung all’ der rohen Thaten, die geschehen, die Vergeltung des Schadens und Unheils, der gestiftet worden, die Rache für das Blut, das von Mörderhänden trieft.“

„Nicht vor meinem Gewissen,“ unterbrach ihn der Dommeister mit feierlichem Ernst, „nicht vor Gott! Ich wälze Schuld, Verantwortung und Rache von mir und hebe meine reine Hand in den reinen Himmel hinauf zu dem Gerechten, der in den Herzen liest und den Willen richtet!“

„Thut es; der Richter auf Erden sieht nicht in’s Herz, darum bestimmt der Erfolg, die That sein Urtheil. So Ihr aber Euch so sicher, so fest fühlet im Bewußtsein Eurer Unschuld, was zaudert Ihr, Euch vor Gericht zu stellen und zu vertheidigen?“

„Ich zaudere nicht, ich bin bereit, mich jeglichem Gerichte zu stellen, aber Hand an mich zu legen, habt Ihr kein Recht. Ich stehe auf gefreiter Erde, die Bauhütte ist ein von Kaiser, Stadt und Bischof geheiligtes Asyl … ladet mich wohin Ihr wollt, ich will Urphede schwören, mich zu stellen, aber hier leget nicht Hand an mich! Ehret die Freistatt, deren Schutz mir vertraut ist; hier habt Ihr kein Recht, hier endet jede Gewalt!“

Der Hauptmann strich sich bedächtig die Locken zurück. „Bedaure höchlich,“ sagte er dann, „auch hierin Eurer Ansicht nicht beipflichten zu können. Ich stehe hier im Namen und Auftrag des Kaisers; ein einfach exemplum logicum ergiebt, daß kaiserliche Freistatt nicht schützen kann vor Kaisers Gericht. Die Stadt ist unterworfen und kann solch’ kostbar Privilegium, so sie dessen in Wahrheit sich erfreute, nicht ausüben, die heilige Kirche aber ist nicht gewillt, Rebellen zu schützen. Sehet hier in meiner Hand die Erlaubniß des Bischofs, auch in der Freiung des Doms auf Euch zu fahnden…“

„Wie?“ rief Roritzer und riß das Blatt an sich, den Inhalt zu durchfliegen, es bebte in seiner Hand; in sein Angesicht stiegen glühende Wellen und sanken zu Eis erstarrend wieder zum Herzen zurück… ‚Als haben wir beschlossen,‘ las er mit schwankender Stimme, ‚die Freiung, so der Dombauhütte zustehet, aufzuheben, aber nur für diesen Einen Fall, da es sich um die gefängliche Annehmung eines sicheren Wolf Roritzer handelt, unter Reservation aller bischöflichen Rechte und Protest gegen jedes Präjudiz, so in Zukunft daraus wollte gefolgert werden. …‘ „Also wahr, wirklich wahr!“ stammelte Roritzer erschüttert. „Ich bin geopfert, preisgegeben von denen, für die ich eingestanden! Wofür war es denn zuerst, daß ich mich in den Wirbel stürzte, der nun über mir zusammenschlägt und mich in den Abgrund zieht? Dieses Kleinod, das mir vertraute, zu wahren, von ihm abzuhalten jede frevelnde Hand, diese Freistätte der Kunst vor Entweihung zu schützen, habe ich Wort und Hand erhoben, und mich stoßen sie aus? Mitten in meinem Heiligthum darf die Gewalt mich fassen? … Wohlan denn, Herr Hauptmann,“ fuhr er, nach kurzem schwerem Aufathmen sich gewaltsam fassend, fort, „ich widerstrebe nicht mehr; vollzieht Euren Auftrag, ich werde folgen … doch Eines, ein Letztes noch sei mir gegönnt! … Es dünkt Euch vielleicht eine Thorheit, mir scheint es von Gewicht. Hat auch ein Gefangener nichts mehr zu verfügen, laßt mich nicht von hinnen führen, eh’ ich das Amt, dessen ich redlich gewaltet, an’s Ende durchgeführt: laßt es mich abgeben und den Mann in die Bauhütte einführen, der nach mir kommen soll…“

„Dessen bedarf’s nicht,“ sagte der Hauptmann gleichgültig. „Ihr werdet keinen Nachfolger haben.“

„Keinen Nachfolger?“ rief Roritzer wieder. „Wie deut’ ich das? Und das Werk, woran ich gebaut? Und der gewaltige Dom?“

„Der Dom?“ fragte Fux noch kaltblütiger als zuvor. „Was meint Ihr, Meister? Der Dom ist fertig, ist nach innen und außen vollständig ausgebaut, dem Dienste des Herrn steht längst kein Hinderniß mehr entgegen, die Glocken finden auch auf den nicht vollendeten Thürmen Platz… Alles Andere ist Zierrath, leerer Schmuck; die Gegenwart hat an andere, an nothwendigere Dinge zu denken, der Bau ist darum eingestellt bis auf bessere Zeiten, es bedarf keines Dommeisters mehr!“

„Eingestellt? Bedarf keines Meisters mehr?“ rief Roritzer schmerzlich und hob die Arme zu dem Gebäude empor, das in majestätischer Ruhe aus der Abendklarheit des Himmels herniederschaute auf das kleine Treiben und Wühlen an seinen Sohlen. „Unvollendet soll dieses herrliche Werk bleiben, eins der schönsten, das je in eines gottbegeisterten Menschen Sinn entstand? Als Ruine vor dem Ausbau soll es dastehen und die Schmach dieser Stunde verewigen auf Jahrtausende! … O meine Ahnung, meine Ahnung! Das war das Gewitter, das ich unsichtbar lauernd mir über’m Haupte drohen fühlte; jetzt ist er gefallen, der Streich, der mich niederwirft, um mich nie wieder zu erheben! Es war ein weissagend Wort, das Jener gesprochen, da er mir verhieß, es werde kein Dommeister nach mir kommen… Weh mir, der Dom ist dem Untergange geweiht, der letzte Dommeister mit ihm! …“

Auf den Wink des Hauptmanns traten die Reisigen vor, umringten den nicht Widerstrebenden und schritten mit ihm hinweg. Eine andere Schaar ergriff den alten Bildschnitzer, der mehr todt als lebend zugesehen und zugehört; das Schreckliche, das auf

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