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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Deutsches Lied und deutsches Bild.
Ein Wink für den Weihnachtstisch.
(Mit Illustrationen.)


Nur Wenige haben noch die Muße oder die geistige Sammlung und Concentration, aus den Quellen unserer Literatur, unserer Gedankenproduction, unserer Poesie sich selbst das ihnen Verwandte, Sympathische, Denkwürdige, das Gelungene und Vorzügliche auszuwählen, unser rasch lebendes Geschlecht will vielmehr gleich sein Mahl fix und fertig präparirt und aufgetischt erhalten und sich sonder Mühe daran letzten. Darum greift das Publicum mit solcher Vorliebe zu jenen sogenannten Blüthenlesen, Anthologien, Chrestomathien, „Lichtstrahlen“ aus den Schöpfungen unserer Dichter und Schriftsteller, wie sie jedes Jahr uns neu auf den Christtisch legt.

Auch jetzt beginnen diese Vorboten der lieben Weihnachtszeit bereits in die Welt hinaus zu flattern, und es freut uns, darunter namentlich auf eine Erscheinung aufmerksam machen zu können, die mehr als die gewöhnliche Bedeutung dieser Dutzendbücher hat, weil sie in der That zugleich ein Kunstwerk ist. Es ist das demnächst zur Veröffentlichung gelangende

„Album deutscher Kunst und Dichtung“,

in welchem einer unserer ersten Poeten, Friedrich Bodenstedt, mit bewährtem Dichterblicke eine Reihe unserer schönsten deutschen Lieder, Romanzen, Balladen zu einem prächtigen Strauße zusammengebunden und so in einem organisch verwachsenen Ganzen ein Bild deutschen Lebens und Geistes geboten hat. Viele der gefeiertsten deutschen Maler in Düsseldorf und München, in Berlin und Dresden, in Carlsruhe und Weimar aber haben das Album mit einer großen Anzahl ausgezeichneter Illustrationen, theils größeren Compositionen, theils Randzeichnungen und Vignetten, geschmückt, die in wahrhaft künstlerischer Weise im Holzschnitt wiedergegeben sind.

Daß wir nicht zu viel sagten, wenn wir dem Buche eine mehr als gewöhnliche Bedeutung beilegten, werden die vorstehenden Proben daraus darthun, die uns die Freundlichkeit des Verlegers – C. Grote in Berlin – schon jetzt mitzutheilen gestattet, um das Werk dergestalt sich auf das Wirksamste selbst empfehlen zu lassen. Das erste unserer Bilder, von Carl Schlesinger in Düsseldorf gezeichnet, gilt einem Liede Robert Reinick’s, aus dem uns das sinnige, reine, sonnenhelle Gemüth des leider so früh uns entrissenen Malers und Dichters warm entgegentritt. Es lautet:

Das Ständchen.

In dem Himmel ruht die Erde,
Mond und Sterne halten Wacht;
Auf der Erd’ ein kleiner Garten
Schlummert in der Blumen Pracht; –
Gute Nacht, gute Nacht!

In dem Garten steht ein Häuschen,
Still von Linden überwacht;
Draußen vor dem Erkerfenster
Hält ein Vogel singend Wacht. –
Gute Nacht, gute Nacht!

In dem Erker schläft ein Mädchen,
Träumet von der Blumen Pracht:
Ihr im Herzen ruht der Himmel,
Drin die Engel halten Wacht. –
Gute Nacht, gute Nacht!

Unsere zweite Illustration, dem kunstreichen Griffel Paul Thumann’s in Weimar entsprossen, dem die Gartenlaube schon so manches liebe Bild verdankt, bedarf keines Commentars. Alle Welt hat es ja schon gesungen oder singen hören, jenes ergreifende Lied Joh. Nepomuk Vogl’s vom „Wanderburschen mit dem Stab in der Hand“, der „wieder heimkommt aus dem fremden Land“, und den Niemand mehr erkennt, als sein altes Mütterlein, denn

„Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt,
Das Mutteraug’ hat ihn doch gleich erkannt.“




Eine deutsche Klage.
Von Friedrich Hofmann.


Durch alle Zeitungen lief in der vorletzten Woche des October folgende Notiz: „Durch einen der Unfälle, wie sie in den Straßen Londons leider gar zu häufig sind, ist der Erfinder der Schiffsschraube, James Lowe, um’s Leben gekommen.“ – James Lowe? Was war der Mann? Hat früher Jemand von ihm gehört? Der Erfinder der Schiffsschraube, der vierten von den weltwichtigsten Erfindungen des Jahrhunderts! Und dennoch außerhalb Englands so ganz unbekannt? Es ist nicht Sitte unserer germanischen Stammverwandten jenseits des Canals, das Licht der Ehre ihrer Erfinder so bescheiden unter den Scheffel zu stellen. Warum in diesem Fall solch’ seltsame Ausnahme?

Wir wollen dies unseren deutschen Landsleuten auf das Gründlichste erklären.

Der Erfinder der Schiffsschraube ist ein Deutscher, ist derselbe Joseph Ressel, welchem am 18. Januar 1863 vor dem Polytechnicum zu Wien ein ehernes Denkmal errichtet worden ist. Vor drei Jahren lief die Notiz von der feierlichen Enthüllung dieser Erzbildsäule durch dieselben Zeitungen, und schon heute ist der deutsche Erfinder vergessen! Nicht eine einzige Redaction hat wenigstens ein bescheidenes Fragezeichen hinter das Wort „Erfinder der Schiffsschraube“ gewagt oder auf Joseph Ressel hingewiesen, sondern gedankenlos haben alle die englische Angabe nachgedruckt! Um so mehr fühlen wir uns verpflichtet, gerade jetzt die Frage zu beantworten: Wie belohnte man diese deutsche Erfindung in England?

Neben der gänzlichen Ignorirung Joseph Ressel’s durch die deutsche Presse ist nichts bezeichnender für den Werth deutscher Denkmale, als die Thatsache, daß der Sohn Ressel’s für die Ausführung der übrigen Erfindungen seines Vaters und seiner eigenen sich die Hülfe in Amerika suchen muß. In der Heimath, in Oesterreich, konnte sich nur ein „Comité für das Ressel-Denkmal“ bilden; als sein Zweck erreicht war, ging es auseinander. Man hatte sich mit den Ansprüchen der öffentlichen Meinung abgefunden: der an den geistigen Zuständen seines Landes untergegangene Mann genoß die bekannte deutsche Verehrung nach dem Tode. Hätte man ihm im Leben nur einmal die Hälfte der Summe gegeben, die sein Denkmal gekostet, wie glücklich wäre nicht blos er gewesen, nein: wie glücklich hätte er Oesterreich gemacht! Seine schöpferische Kraft würde im Stande gewesen sein, die so oft citirten und ewig unsichtbaren „unerschöpflichen Hülfsmittel des Kaiserstaates“ hervorzuziehen aus Meer und Land, aus den Urwäldern und Erzbergen, aus den Strömen und Seen, aus den Kornauen und Pußten. Ressel’s naturwissenschaftliche und technologische Kenntnisse ließen ihn in keiner Werkstatt und industriellen Anlage fremd sein, sein gottgesegnetes Auge sah in zahlreichen Stoffen, welche die Unkenntniß als nutzlos oder gar schädlich wegwirft oder vernichtet, neue Mittel lohnender Arbeit und wachsenden Volkswohlstandes. Genies wie Joseph Ressel erzeugt jedes Jahrhundert nur wenige; das Denkmal in Wien schien ein Zeugniß dafür zu sein, daß man des Mannes unschätzbaren Werth endlich erkannt habe: was lag dann aber näher, als der Gedanke, daß, nachdem die eine Erfindung des Gefeierten sich als so weltwichtig erwiesen, man nun um so eifriger an die Erprobung und Ausführung seiner sämmtlichen anderen Erfindungen zu gehen und deren Ausbeutung für Oesterreich zu sichern habe?

Kopfschütteln ist nicht genug, man ballt die Faust und stößt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_702.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)