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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Vater Uhlich.

dieses unermüdlichen Apostels der Wahrheit trägt die „Gartenlaube“ ihren Lesern nur eine längst fällige Schuld ab.

Uhlich war es bekanntlich, der am 29. Juni 1841 jene Zusammenkunft sechszehn freisinniger preußischer Pastoren nach Gnadau in der preußischen Provinz Sachsen berief, welche sich zum Schutze der durch das Verfahren des Bischofs Dräseke gegen den Prediger Sintenis bedrohten protestantischen Lehrfreiheit zu dem Verein der „protestantischen Freunde“ oder der „Lichtfreunde“ verbanden. Er war es, der den Standpunkt der protestantischen Freunde, das Festhalten am Recht der freien Entwickelung in der protestantischen Kirche, sowohl als Ordner und Hauptredner auf den vielen lichtfreundlichen Versammlungen, welche bald eine ungeahnte Bedeutung erlangen sollten und im Jahre ihres Verbots 1845 an den verschiedensten Orten Deutschlands von vielen Tausenden besucht waren, sowie als Redacteur der „Blätter für christliche Erbauung von protestantischen Freunden“ verfocht. Uhlich wurde die Seele und der Mittelpunkt der spätern freigemeindlichen Bewegung und ist es bis jetzt geblieben.

Der Bildungsgang des Mannes ist ein so interessanter und lehrreicher, daß wir eine in großen Zügen gegebene Schilderung desselben unsern Lesern nicht vorenthalten dürfen. Ein gläubiges Kind kirchlich-frommer Eltern, kam Uhlich durch den Unterricht eines freisinnigen Predigers und ähnlich gesinnter Lehrer bereits als Knabe zu der Ansicht, daß man in der Religion wie in allen Dingen „vernünftig“ sein müsse. Die rationalistischen Professoren, unter deren Leitung er in Halle Theologie studirte, bestärkten ihn in den gewonnenen Anschauungen. Am christlichen Rationalismus aber hielt er als Landpfarrer, als Führer der „Protestantischen Freunde“ und als Prediger an der Katharinenkirche in Magdeburg fest, kämpfte bis zu dem Augenblick, wo man ihn gewaltsam aus der kirchlichen Gemeinschaft drängte, für freie Entwickelung innerhalb der Staatskirche und vermochte sich von dem historischen Christenthum selbst noch nicht loszusagen, als er zum Sprecher der neugebildeten freien Gemeinde in Magdeburg gewählt wurde. Allerdings war sein Rationalismus immer entschiedener geworden: Jesus, der ihm noch 1843 in den „Bekenntnissen“ in einem mysteriösen Halbdunkel vorgeschwebt hatte, als ein Mittelding zwischen Gott und Mensch, von dem er nicht wisse, wer er eigentlich sei, erschien ihm immer menschlicher, die Bibel wissenschaftlich unbegründet, bis ihn endlich die freie, von dem äußeren Zwange der Kirchengemeinschaft völlig unabhängige Forschung auf den rein menschlichen Standpunkt der Religion führte, von welchem aus das Christenthum nichts weiter als eine der Entwickelungsphasen der Religion ist, die der Kritik des heutigen Geschlechts nicht entzogen bleiben kann. Jetzt predigte Uhlich die Vernunftreligion schlechthin. Seine Vernunft aber hielt noch am persönlichen Gott fest. Dies schien ihm eine jener Forderungen der Vernunft, die geglaubt werden müssen, wenn sie auch nicht bewiesen werden können.

Neuer Kämpfe und Anstrengungen bedurfte es, um auch diese letzten Schranken des anerzogenen Glaubens zu überwinden und ihn in seiner heutigen Ansicht zu befestigen. Nach dieser unterliegt die Religion dem Gesetze, das die ganze Welt beherrscht, der Bewegung. Es giebt für dieselbe keine ewig feste, unbewegliche und unveränderlich starre Grundlage, sondern sie gehört ganz in den Fluß der übrigen menschlichen Dinge hinein. Alle vorhandene Religion ist nichts anderes, als das Erzeugniß früherer Vernunft, so daß die heutige lebendige Religion lebendiger Menschen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_781.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)