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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Jochus war todtenbleich geworden, die Kniee zitterten ihm und er sank wie gebrochen in einen Stuhl.

„Vater!“ rief Rosel erschreckt und ein furchtbarer, entsetzlicher Verdacht stieg in ihr auf; „Vater, um Gotteswillen, hast Du mir in Allem die Wahrheit gesagt?“

„Was haben sie entdeckt?“ frug der Alte, der sie mit dem linken Arme von sich schob, mit harter, rauher Stimme, „sage mir Alles, Mädel, Du – Du weißt nicht, was davon abhängt.“

Rosel stand vor ihm, starr und thränenlos, sie brauchte keine Frage mehr an ihn zu thun, in diesen angstverzerrten Zügen lag die ganze Schuld und Sünde des Mannes, den sie hätte lieben und verehren sollen, nur zu deutlich vor ihr, und mit jetzt vollkommen ruhiger, aber eiskalter Stimme sagte sie:

„Was ich weiß, ist sehr wenig: einer Falschmünzerbande will man auf die Spur gekommen sein, deren Hauptsitz man hier in der Nähe vermuthet. Einer der Hehler oder Verbreiter ist vorgestern ertappt und verhaftet worden. Er hatte bis jetzt noch nicht gestanden.“

„Verhaftet – wo?“

„Ich weiß es nicht.“

„Durch wen?“

„Durch Herrn von der Haide,“ sagte das Mädchen kalt.

„Teufel!“ knirschte der alte Mann durch die Zähne, aber jetzt war auch keine Zeit mehr, Rücksichten zu nehmen oder etwas zu verheimlichen, was, wie er recht gut wußte, sonnenklar vor dem Auge der Tochter lag, denn ihr Blick ließ sich nicht mehr mißverstehen. Er sprang auf, fuhr rasch und hastig in seinen Rock, griff nach seinem Hut und eilte, ohne der Tochter Lebewohl zu sagen, die Treppe hinab und durch den Garten hinaus auf den Weg nach Hellenhof.


8. Die Entdeckung.

Paul Jochus hatte schon lange das Zimmer verlassen, und Rosel stand noch immer am Fenster, wohin sie getreten, um ihm durch den Garten nachzusehen. Wußte sie doch genau, welchen Weg er nehmen würde und wohin ihn seine hastigen Schritte trugen. Und wie sonderbar war ihr dabei zu Muthe! Sie sah Alles, was um sie her vorging, aber es schien gar nicht zu ihr zu gehören oder mit ihr in Verbindung zu stehen.

Unten im Garten, gerade unter dem Fenster lag das große, prachtvolle Bouquet, das sie gestern noch selber gepflückt, und sie wunderte sich jetzt, was da vorgegangen sein konnte, daß man Jemandem in ihrem Garten Blumen gestreut hätte, ohne daß sie selber davon wisse.

Da ging Bärbel in den Garten, um vom Gemüsebeete etwas Petersilie zu holen. Was hatte die fremde Person, die so wunderbar in einen Regenbogenschein gekleidet war, in ihrem Garten zu thun? Sie wollte das Fenster öffnen, um ihr zuzurufen; allein sie vermochte es nicht mehr. Sie hob den Arm und brach dann, ehe sie nur den Fenstergriff erfassen konnte, lautlos und ohnmächtig, wo sie stand, zusammen.

Dort lag sie wohl eine Stunde lang, bis das Mädchen hinauf kam, um das Zimmer zu reinigen, denn die Thür stand nur angelehnt.

Bärbel schlug jetzt Lärm im Haus, aber Rosel kam rasch wieder zu sich, und es war, als ob sie gerade in dieser Betäubung der Sinne, in dem vollen Vergessen des Geschehenen wieder frische Kräfte gesammelt habe.

Man hatte sie auf ihr Bett getragen und wollte jetzt nach dem Doctor laufen; doch Rosel litt es nicht. Sie fühlte sich wieder vollkommen wohl; nur eine merkwürdige Schwäche sei über sie gekommen, als sie dort drüben im Zimmer habe aufräumen wollen. Das wäre eine Ohnmacht gewesen, weiter nichts und jetzt vorüber. Man sollte nur ihr Fenster ein wenig öffnen, daß die frische kalte Morgenluft herein käme, das würde ihr mehr helfen als alle Doctoren der Welt.

Wie stürmte indessen der sonst so ruhige Wirth, Paul Jochus, auf der Straße hin, die nach Hellenhof führte! Das Entsetzliche, das bis jetzt nur immer als Schreckbild vor seiner Seele gestanden, war geschehen – war endlich eingetroffen, ihre Arbeit verrathen – verrathen im letzten Augenblick, wo sie sich Alle am Ziel ihrer Wünsche und Hoffnungen sahen, und nur der eine Gedanke jagte ihn vorwärts, daß es vielleicht selbst jetzt noch nicht zu spät sei, dem größten Unglück, einem Ertappen auf frischer That, vorzubeugen. Wußte er doch recht gut, wie schwer es sein würde, überzeugende Beweise gegen sie beizubringen, wenn nichts Thatsächliches vorlag, um sie zu überführen.

Die Bauern, die ihm unterwegs begegneten und ihn kannten, blieben in der Straße stehen und sahen ihm erstaunt nach. Was hatte der Mann so zu laufen? War irgendwo ein Unglück geschehen? Einige riefen ihn an, er hörte sie gar nicht, oder achtete wenigstens nicht darauf, – aber er fühlte doch zuletzt, daß er sich, besonders in der Nähe der Stadt, nicht auffällig benehmen dürfe, und mäßigte seine Schritte.

Endlich hatte er die Außengebäude von Hellenhof erreicht und bog hier in einen Seitenweg ab, der nur zwischen Gärten hinführte und ihn, von wenigen Menschen gesehen, zu der Wohnung seines Sohnes bringen konnte. Aber dort lag Alles still; die Bewohner schliefen noch nach ihrer nächtlichen Arbeit, und er mußte eine ganze Weile an der Thür pochen, ehe er die Beiden so weit ermuntert hatte, daß sie ihm öffneten. Wie rasch war jedoch jede Müdigkeit vorüber, als sie die Schreckenskunde hörten, die er brachte! Einer ihrer Helfershelfer entdeckt und verhaftet! Wer und wo? Betraf es auch wirklich sie? Doch sie durften kaum daran zweifeln, denn durch den glücklichen Erfolg, den sie bis jetzt gehabt, übermüthig gemacht, waren sie leichtsinniger vorgegangen, als sie eigentlich gesollt.

Und was nun?

Der Gefangene – wer es auch sein mochte – hatte nach Aussage des Actuars noch nichts gestanden, und es war nicht wahrscheinlich, daß er das so rasch thun würde, denn nur durch standhaftes Leugnen konnte er sich vor Strafe sichern, oder diese doch jedenfalls erleichtern. Allein sie wußten nicht, welche Beweise gegen ihn vorlagen, und konnten das auch nicht erfahren, denn schon eine einfache Frage hätte den Verdacht auf sie lenken müssen. Wie lange Zeit blieb ihnen nun selbst, um nicht allein ihr Product in Sicherheit zu bringen, sondern auch jede Spur zu vertilgen, die einen Verdacht auf sie lenken konnte? Franz meinte, daß sie, was auch geschehen möge, unter jeder Bedingung die Nacht abwarten müßten, Brendel aber, den eine merkwürdige Unruhe erfaßt zu haben schien, drang darauf, auch keine Stunde länger zu versäumen und ohne Weiteres an die Arbeit zu gehen, Zwei Mal wären sie jetzt gewarnt worden, das dritte Mal geschehe es nicht, und vor Abend gedenke er wenigstens, Hellenhof weit genug im Rücken zu haben, um von den Aussagen keines Menschen mehr gefährdet zu werden.

Sie hatten ja auch weiter nichts zu thun, als die schon fertigen und noch in der Ruine liegenden Pakete mit Banknoten in Sicherheit zu bringen und die wenigen noch unvollendeten so weit zu zerstören, daß ein Erkennen des Fabricats daran unmöglich wurde. Alles Andere ließen sie dann stehen und liegen, und wurde es wirklich aufgefunden, nun was that’s? Das Gericht bekam nur den Beweis in die Hände, daß dort ein Vergehen gegen Paragraph So und So des Strafgesetzbuches stattgefunden, wer es aber begangen und wo sich der jetzt befinde, könnte man aus den todten Werkzeugen nie errathen.

Franz sträubte sich noch. Er schlug vor, einen Spaziergang nach verschiedenen Seiten zu machen. Sie wollten sich trennen, um nicht zusammen gesehen zu werden, und sich dann mit der Abenddämmerung oder allenfalls schon Nachmittags in der Ruine treffen. Auf die wenigen Stunden könne es jetzt nicht ankommen, denn liege der geringste Verdacht gegen sie überhaupt vor, so würde man sie wahrlich nicht so lange unbelästigt gelassen haben, sie wären schon jetzt verhaftet worden. Brendel hatte indeß keine Ruhe; er drang mit seiner Meinung zuletzt durch, denn Paul Jochus selber fühlte sich von einer unsagbaren Angst überkommen, die ihm keine Ruhe ließ. Es wurde deshalb besprochen, gleich nach der Ruine aufzubrechen, und Jochus selbst sollte voranschreiten, während die beiden Compagnons indessen im Hause selbst Alles vernichteten, was bei einer Durchsuchung auch nur den geringsten Verdacht gegen sie erwecken oder einen solchen bestätigen könnte. Besonders hatten sie noch einige Probestiche verschiedener Noten im Besitz, die, als jetzt völlig werthlos, augenblicklich im Ofen verbrannt wurden. Ebenso vernichteten sie alle Papierproben, die zu Banknoten hätten benutzt werden können, und legten andere harmlose Arbeiten, die theils ganz, theils halb vollendet waren,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_791.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)