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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Mauern herumkriechen und an unserm Herzeleid nagen, das denkt Keiner! Nach jenem Tage, wo er ihr die Uhr gezeigt hatte, lag sie Wochen lang mit einem hitzigen Fieber. Da mußte Fra Ambrogio aus dem Kloster, der auch was von Krankheiten versteht, täglich kommen und ihren Puls fühlen und hernach immer dem Herrn Bescheid bringen. Und so hart er sich stellte, ich sah doch einmal, als ich unvermuthet bei ihm eintrat, ihn was zu fragen, daß er geweint hatte. Wie’s also wieder besser geworden war, rieth ich meiner Frau, es noch einmal bei ihm zu versuchen, und sie schickte mich auch, ihm für die Pflege zu danken und dann um die Erlaubniß zu bitten, daß sie ihn besuchen dürfe. Aber er sah mich ganz kaltblütig an und ließ ihr antworten, er bedauere, sie nicht sprechen zu können, er sei beschäftigt. Was sagt Ihr dazu? Und sie war knapp dem Tode entronnen! O der Seelenmörder, der Caraibe! Und sie – immer stiller und stummer, keine Klage, keine Bitte mehr, wie Eine, die nur lebt, um zu sterben. Selbst gegen den Taddeo, der ihr gern alles Widerwärtige anthäte, nur daß er den Herrn fürchtet, ist sie die Sanftmuth selbst. Nicht lange, so sagte sie, daß ihr das Sonnenlicht an den Augen weh thue – und ich will’s wohl glauben, so viel wie sie weint, wenn sie allein ist – und darum wolle sie bei Tage schlafen und Nachts auf sein. Und da half kein Abrathen, daß ihr die schwarze Nacht ihre Melancholie nur immer tiefer in’s Herz drücken müsse; sie bestand darauf, und so leben wir nun wie die Fledermäuse. Der Herr scheint sich gar nicht um uns zu kümmern, und in der Messe, wo wir ihn zu sehen bekommen, ist er immer der Alte, und daß er auch die Uhr immer bei sich trägt, kann man sehen an der Kette, so daß sie das Herz nicht hat, ihn je wieder anzureden. Ach, wozu hat sie überhaupt noch das Herz? Nur in’s Grab zu steigen. Und es ist wohl ein wahres Wort: Gut verloren, Viel verloren, Muth verloren, Alles verloren.

Bei meinem Leben, lieber Herr, wenn nicht bald Hülfe kommt, so schwindet sie mir unter den Händen hin, grad’ wie der Bach, der durch unsere Schlucht fließt, in der großen Hitze ganz vergeht. Denn so wird ihr das Blut in den Adern von ihrem unvernünftigen Kummer ausgetrocknet und eines Morgens muß ich dann zum Herrn gehen und ihm sagen: Ihr habt’s erreicht, Herr Marchese, unser armer Engel ist da, wo uns unsere Sünden vergeben werden von einem barmherzigen Heiland, und jetzt schießt mich auf dem Fleck nieder, wie Ihr gedroht, oder ich laufe spornstreichs nach Mailand und schreie Mord! Mord! in allen Gassen, und Euren Namen dazu, daß die Steine Blut weinen sollen! – –“

Wie die Alte das sagte, fing sie selbst so heftig an zu schluchzen, als wäre Alles schon eingetroffen und sie sähe ihre Herrin todt auf der Bahre liegen.

„Barborin,“ tröstete sie der junge Officier, „gieb Dich zufrieden, gute Alte, noch halten wir nicht so weit, und was ich vermag, dies schreckliche Ende zu verhüten, das gelobe ich Dir zu thun, als wäre Deine Frau meine leibliche Schwester. Aber daraus wird nichts, daß ich ohne Weiteres Deinen Brief an die Eltern bringe. Wer weiß, ob ich damit das Uebel nicht ärger machte? Denn daß die Frau Marchesa selbst nie daran denkt, die Mutter zu Hülfe zu rufen, ist mir verdächtig. In Händel zwischen Eheleuten soll man sich nicht mischen ohne die höchste Noth. Darum ist es durchaus nöthig, daß ich Deine Frau sehe und spreche und mich selbst überzeuge, ob sie bei Verstande ist, oder nicht. Wär’ es nicht zu machen, daß Du mir das Gitter zum Garten bei Nacht öffnetest? Daß die Thür zu meinem Thurm offen bliebe, dafür würde ich schon sorgen.“

„Was denkt Ihr auch,“ sagte die Alte mit erschrockener Miene. „Ihr wißt nicht, wie man uns bewacht. Nie kommen wir an die Luft, ohne daß der Taddeo bei der Hand ist. Er denkt wohl gar, wir würden die Gartenmauer hinaufklettern wie die Katzen, und was hätte er denn noch für eine Freude vom Leben, wenn er Niemand mehr zu plagen hätte? Und dann, meine Frau würde Euch gar nicht sehen wollen. Das ist ja eben ihre Krankheit und Einbildung, daß sie keinem Menschen mehr in’s Gesicht sehen will.“

„Aber Du könntest ihr sagen, Barborin, daß es ein Freund sei, der Grüße an ihre Mutter mitnehmen wolle und auch ihr selbst kein ganz Fremder sei. Denn Du mußt wissen, daß ich mit der Marchesa getanzt habe auf einem Ball in Venedig, als sie noch eine junge Gräfin war und das Bild des Glücks und der Freude!“

„Habt Ihr das wirklich?“ sagte die Alte und sah mit einem rührenden Ausdruck von freudiger Ueberraschung zu ihm auf. „Ach, ja wohl, Ihr könnt nicht lügen, Ihr habt ein zu ehrliches und schönes Gesicht. Und nun glaub’ ich um so fester, daß der Himmel Euch als seinen Engel gesandt hat, uns Alle zu erlösen. Wenn Ihr’s denn durchaus nicht anders thut, so will ich versuchen, was ich kann. Seht, lieber Herr, ich bin heut’ fortgegangen und hab’ gesagt, ich müßte droben im Kloster von den Pulvern holen, die Schlaf machen; die Frau Marchesa habe wieder drei Mal Tag und Nacht kein Auge zugethan. Aber das war nur ein Vorwand, um Euch zu sprechen, denn wir haben noch genug von den Pulvern und sie will sie auch gar nicht mehr nehmen. Nun aber will ich heut’ Nacht in den Krug mit Wein, den die Martina immer für den Schurken, den Taddeo, aus dem Keller holt, die doppelte Portion schütten, denn wir müssen durch seine Kammer gehen, weil es zu dem großen Gitter keinen Schlüssel giebt; und wenn ihm dann sein eines Diebslicht ausgeht, führ’ ich Euch sacht in den Garten und bring’ es schon dahin, daß auch die Frau an die Luft geht, und dann mag der Himmel für das Uebrige sorgen. Ach, wenn Ihr sie seht, der Jammer um die schöne junge unglückliche Creatur wird Euch so auf’s Herz fallen, daß Ihr Euch die rechte Hand abhacken ließet, wenn Ihr sie dadurch retten könntet!“

„Wann wirst Du mir öffnen?“ fragte er hastig.

„Ich will sehen,“ erwiderte sie. „Es hängt davon ab, ob sie heut’ schläft oder nicht. Wißt, ich komme in den Hof an den Brunnen und thue, als holt’ ich Wasser, und singe dabei, und dann horcht, was ich singe; da werde ich Euch die Stunde angeben. Und nun geleit’ Euch unsere benedeite Mutter der Gnaden und wartet hier noch ein wenig, bis ich weiter weg bin, damit uns Niemand zusammen sieht; denn der einäugige Teufel, der Taddeo, spürt Alles aus, was man thut oder läßt, und er tränke heut’ Abend keinen Tropfen, wenn er nur von fern Unrath witterte. Ich will jedenfalls in’s Kloster, denn er fragt sicher am Sonntag nach, ob ich dort gewesen bin. Somit lebt wohl, lieber Herr; der Himmel wird’s Euch segnen tausend und tausend Mal!“

Und so mit Seufzen und Stöhnen nahm sie ihren Korb wieder auf, zog das Tuch fester über den Kopf zusammen und verließ mit hastigen, lautlosen Schritten die Hütte, sich beständig umsehend, als wären Späher und Verfolger auf ihren Füßen.

Der Tag war heiß und hier oben auf der kahlen Höhe glühte der Fußboden in der Mittagssonne so gewaltig, daß Eugen bald wieder in die Schlucht hinunterflüchtete. Er verfolgte, um die Stunden nicht ganz für seine nächsten Zwecke zu verlieren, das trockene Bett des Waldbachs nach Norden zu und kletterte unermüdlich von Fels zu Fels, und noch rastloser jagten sich die Gedanken in seiner Brust. Erst nach vielen Stunden machte er Halt in einem verfallenen Häuschen auf der Höhe des Passes, dem man es schon von Weitem ansah, daß es mehr Schmugglergesindel, als ehrliche Wanderer zu beherbergen pflegte. Dort nahm er mit dem elenden Vorrath von Käse, Maisbrod und dünnem Wein vorlieb, den ein Weib in zerlumpten Kleidern ihm auftischte. Nachdem er gegessen, suchte er sich eine kühle Stelle etwas höher im Wald, wo er gedankenvoll den Rauch seiner schwarzen Cigarre vor sich hinblies, bis ihn die Müdigkeit übernahm. Erst der letzte schiefe Strahl der Sonne, die, hinter die Thalwand versinkend, ihn anblinzte, weckte ihn. Er hatte Mühe, sich auf Alles zu besinnen, was geschehen war und bevorstand; dann trat er um so eilfertiger den Rückweg an.

Er erreichte das Castell erst bei völliger Dunkelheit. Eine Viertelstunde nach ihm ließ Taddeo auch den Marchese in das große Thor und folgte, ihm die Jagdbeute abnehmend, seinem Herrn in das Gemach hinauf, wo auf dem Schreibtisch schon die Lampe brannte. Während er ihm die hohen Jagdstiefeln auszog, sagte er mit seinem gewöhnlichen verdrossenen Ton:

„Der österreichische Herr hat gestern Abend noch den Schrank weggerückt und ist in den Saal gegangen. Er hat an dem mittleren Fenster eine Scheibe offen gelassen; auch ist ein Tropfen Oel auf den Boden gefallen.“

„Was kümmert’s Dich?“ erwiderte der Marchese, an einer Feder schnitzelnd.

„Hm,“ brummte der Diener, „‘s ist nur, weil man aus

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_794.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)