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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Wie kommt es, daß Sie mir das erfreuliche Ereigniß der Niederkunft Ihrer Frau nicht gleich gemeldet haben?“

„Ew. Durchlaucht, ich bitte unterthänigst um Verzeihung! Ich war eingeschlafen, nachdem ich sechsunddreißig Stunden lang an dem Bette meiner armen, schrecklich leidenden Frau zugebracht hatte.“

„So! Sie sind wohl eine Hebamme geworden?“

„Durchlaucht, ich bin ganz bestürzt –“

„Was? Bestürzt? und Sie wollen ein Officier sein? Gehen Sie!“

Als im April 1848 eine Ruhestörung von Lobenstein aus zu befürchten gewesen und daher das Militär aufmarschirt war, tritt der Fürst zu demselben Lieutenant von S. und fragt in Gegenwart der Soldaten: „Sie sehen ja recht blaß aus, mein lieber S., haben Sie vielleicht keine Courage?“

Der Oberforstmeister v. B. bekommt die Nachricht, daß seine Stiefmutter (zugleich die Schwester seiner rechten Mutter) auf dem Todbette liege und ihn noch einmal zu sehen wünsche. Er bittet den Fürsten um Urlaub, doch dieser entgegnet barsch: „Jetzt, wo der Hirsch schreit? Jetzt kann ich Sie nicht entbehren!“ Auf weiteres Bitten sagt er: „Es ist ja noch dazu nur Ihre Stiefmutter. Nichts, nichts!“ Ein ander Mal erscheint B. in Trauer um ein entferntes Glied der fürstlichen Familie vor ihm. Obgleich die Trauer vorschriftmäßig ist, mißfällt ihm dies doch und er ruft ihm gleich beim Eintreten zu: „Ist denn etwa Ihr Vater gestorben?“ Mehrere seiner früheren Beamten, welche später in die Dienste des Fürsten von Schleiz getreten waren, konnten ebenfalls die schlechte Behandlung, die sie zu erdulden gehabt, nicht genug schildern, so z. B. der Oberstallmeister v. S. Der alte Fürst Heinrich der Zweiundsechzigste sagte zu mir: „Ich hätte sie Alle bekommen können, wenn ich gewollt hätte.“ Daß er sonach auch diejenigen seiner Unterthanen, welche mit ihm in Berührung kamen, mißhandelte, ist nicht zu verwundern.

Auf einer Maskerade erscheint ein Herr als französischer Kürassier. Dieser Anzug gefällt ihm nicht und er befiehlt also: „Fort mit dem Kerl von der Maskerade!“ Zu dem Advocaten S., der an der Spitze einer Bürgerdeputation aus Lobenstein vor ihm erscheint, sagt er: „Ihnen sieht man die Malice gleich an!“ Unzählige Fälle von Beleidigungen und Mißhandlungen einzelner Personen, besonders vor den Märzereignissen, werden erzählt. Sein Unwille konnte durch die unschuldigste Veranlassung erregt werden, und dazu zeigte er sich unversöhnlich. Selbst der Fürst Heinrich der Zweiundsechzigste versicherte mir, wer einmal den Hut nach seiner Ansicht nicht tief genug vor ihm abgenommen habe, dem habe er das nie vergeben. Wie er in seinen öffentlichen Erlassen zuweilen mit Schimpfworten, z. B. Zugstiere, freigebig war, ist bekannt.

Ueberhaupt charakterisiren diese Erlasse fast durchgängig den hochmüthigen, kleinen Tyrannen, bis auf die in der letzten Zeit erschienenen, in denen er durch phrasenreiche, seltsam stilisirte Verordnungen eine Anzahl Concessionen machte, denen er nicht aus dem Wege gehen konnte, und dabei versuchte, sich die verlorene Liebe wieder zu erwerben. Wenn er in der Verordnung vom 21. März 1848 „der großen, großen Großzahl Seiner guten Landsleute, namentlich Seinen braven, herrlichen Landbewohnern, Seinen innigsten Dank für ihre Haltung in den letzten Tagen“ ausspricht und dann fortfährt: „Soll ich Euch Meine Wünsche noch sagen? Sie sind: Ein freies, großes, starkes Teutschland, so weit seine Sprache“ etc., so wird man schon in dieser Ausdrucksweise das Berechnete, Absichtliche nicht haben verkennen können, und in der That hat gerade dieser Erlaß allenthalben einen ungünstigen Eindruck gemacht. So war denn sein – dem Vernehmen nach durch eine verkehrte Erziehung Seiten seiner Mutter verbildeter – Charakter die hauptsächlichste Veranlassung zu einer Mißstimmung der Beamten und des Volkes gegen ihn, welche nach und nach immer bitterer ward. Er duldete nicht den mindesten Widerspruch mehr, ja selbst Vorschläge seiner Beamten waren ihm unangenehm und er wies oft selbst die bestgemeinten abstoßend zurück, weil es ihn verdroß, daß irgend etwas Angemessenes nicht lediglich von ihm ausgehen sollte.

Hierzu kamen aber noch seine Leidenschaften: Jagd, Pferde, Wollust, Reisen und die daraus entspringende Verschwendung und ungeregelte Lebensweise. Die Jagd trieb er mit so großer Passion, daß schon seit Jahrzehnten die lautesten Klagen über unmäßigen Wildstand und daher rührende Schäden auf den Feldern etc. erschollen waren. Es wurden bedeutende Wildschäden bezahlt, oft bis zwölftausend Thaler jährlich (was für ein Ländchen von sieben und einer halben Quadratmeile aller Ehren werth ist!) und doch blieben noch Viele unentschädigt. Zudem wurden die Entschädigungen nicht nach Maßgabe des Schadens, sondern ganz nach des Fürsten Willkür vertheilt und als Gnadengeschenke betrachtet, so daß, um Entschädigung zu erhalten, der Schaden nicht allein, sondern auch die fürstliche Gunst vorhanden sein mußte. Die Schäden in Hölzern und auf Wiesen wurden gar nicht vergütet. Ein Gutsbesitzer in Heinersdorf ist durch diese Calamität aus einem sehr wohlhabenden nach und nach ein armer Mann geworden. Was bei Jagden zertreten und verdorben ward, blieb auch ohne Entschädigung, wohl aber ließ der Fürst, wenn ein Bauer einmal darüber murrte, den Unzufriedenen gleich in seiner Gegenwart mit der Hundepeitsche oder doch mit Ohrfeigen regaliren. Er baute und richtete das Jagdschloß Waidmannsheil mit einem Aufwande von achtzigtausend Thalern ein. In Ebersdorf werden in den Galerien des Schlosses mehr als dreihundert Hirschgeweihe gezeigt, deren jedes eine Tafel mit dem Datum des glücklichen, vom Fürsten gethanen Schusses trägt.

Für die Pferde, deren er stets gegen dreißig hielt, ließ er in Ebersdorf mit großen Kosten einen prächtigen Stall erbauen. Als derselbe fertig war, überlegte erst der Fürst, daß das Gebäude zu weit vom Schlosse entlegen sei, und dieses ist daher nie benutzt worden. Seine triste Lebensweise – er stand gewöhnlich nicht vor zwölf Uhr Mittags auf, hatte mit Niemand Umgang und zu Niemand Vertrauen, wie denn auch zu ihm Niemand ein Herz hatte – mochte wohl hauptsächlich Veranlassung sein, daß er Zerstreuung in Reisen suchte. Sein Souverainetäts-Hochmuth aber duldete nicht, daß er diese Reisen einfach machte, er reiste stets en grand seigneur und man versichert, daß einzelne Reisen bis zu fünfzigtausend Thalern Aufwand gemacht haben sollen. So gerieth er in ansehnliche Schulden. Möglich auch, daß seine Dienerschaft ihren Vortheil gut verstand.

Sein äußeres Ansehen entsprach durchaus nicht mehr den Portraits, welche ich früher von ihm gesehen hatte. Es waren in seinem Gesicht noch Spuren schöner Züge vorhanden, aber sie versteckten sich in tiefen Furchen und unter einem wild herabhängenden Haupthaare. Er gewährte eher das Bild eines Kosaken-Hetmann, als eines deutschen Fürsten. Sein Gehör hatte abgenommen und hätte eine Unterhaltung mit ihm etwas beschwerlicher gemacht, wenn er nicht dieselbe großtentheils allein zu führen gewohnt gewesen wäre. Selbst bei der längsten Unterredung pflegte er sich nicht zu setzen, sondern stellte allenfalls einen Fuß auf einen Stuhl, um auf dessen Lehne den Schenkel zu stützen. Seine Reden waren häufig pathetisch, auch liebte er, kräftige Floskeln als Schlaglichter oder als Einwürfe hinzuwerfen. Sein Benehmen, wenigstens gegen mich, war sehr artig und beruhte auf dem sichtlichen Streben, zu gewinnen. Uebrigens hörte ich, daß er fortwährend den Souverain zu spielen suchte, z. B. seinen Dienern Arrest gab, obschon er seit dem April nicht mehr sein Land beherrschte, sondern in Stadt Wien zu Dresden lebte.

Unsere erste, sehr kurze Entrevue fand im Herbst bei einem Concerte in der Loge statt. Bei einer späteren Zusammenkunft fing er mit einem Danke für meine Bemühungen in seinem ehemaligen Fürstenthume während des vorigen Sommers an, den ich ablehnte, ging auf des Ministers O. Handlungsweise über, die er tadelte und ich in Schutz nahm, sprach viel von der Liebe, welche er von der großen Mehrzahl seiner Unterthanen noch heute genieße, worüber ich seine Ansicht zu berichtigen suchte, und raisonnirte heftig auf das eigenthümliche Regierungsverhältniß, welches ihn mit seinem Vetter von Schleiz in die Lage des siamesischen Zwillingspaares versetzt, jede freie Bewegung gehemmt und in den Fall gebracht habe, daß er – wie Peter Schlemihl keinen Schatten[WS 1] – seinerseits keinen Reflex seines Innern, keinen Charakter, habe aufweisen können. Er sprach den Vorsatz aus, die Mit- und Nachwelt über seinen eigentlichen Charakter als Regent aufzuklären und zwar durch Veröffentlichung derjenigen Abstimmungen, welche er in Verfassungssachen abgegeben habe und aus denen der Beweis geliefert werden würde, daß er schon seit achtundzwanzig Jahren „radical“ gewesen sei.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ von Adelbert von Chamisso
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_807.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)