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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

beschränkt. Leute, welche bei der Arbeit zu Schaden kommen, erhalten während der ganzen Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit ihren vollen Lohn, und sonstige Erkrankte werden auf anständige Weise mit Mitteln und Medicin versehen, das Begräbniß der Todten endlich wird aus dieser Casse bestritten.

Außerdem genießen die Krupp’schen Arbeiter noch manche andere Vortheile. Um sie stets mit gutem und wohlfeilem Brod zu versorgen, ließ Herr Krupp besondere Bäckereien für sie einrichten, für welche er das Mehl im Großen von Rußland kauft. Aehnliche Einrichtungen sind getroffen worden, um ihnen immer gute und billige Kartoffeln zu verschaffen, und sollen demnächst auch auf das Fleisch ausgedehnt werden. Diese väterliche und

Alfred Krupp.
Nach einer im Privatbesitze befindlichen Originalphotographie.

wirthschaftliche Einrichtung erweist sich als sehr wohlthätig für die Interessen von Herrn und Arbeiter, wie man dies namentlich in England schon längst erkannt hat und immer mehr in großen Fabriken ein- und durchführt. Die Arbeitsstunden sind blos in zwei Theile getheilt – das Tagewerk von sechs Uhr früh bis sieben Uhr Abends, die Nachtarbeit von da an bis wieder zum Morgen.

Die Eisenerze für den ungeheuern Bedarf werden zum Theil aus Krupp’s eigenen Minen in Nassau und bei Coblenz bezogen, theils gekauft. Die erstern liefern das wohlbekannte Spiegeleisen. Die Verwandlung des Eisens in Stahl geschieht durch den bekannten Proceß des Puddelns, und nur Schmiedeeisen wird durch Anwendung des von dem Engländer Bessemer erfundenen Processes, mittels durchgeblasener Luft, hergestellt.

Das Spiegeleisen enthält viel schädliches Mangan, wird aber durch den Puddel-Proceß fast ganz davon gereinigt, so daß es zu mehr als achtundneunzig Theilen von hundert aus reinem Eisen besteht, die übrigen zwei fallen zu mehr als die Hälfte auf Kohlenstoff, dann auf Kiesel, Kobalt und Nickel, Kupfer und eine unbedeutende Kleinigkeit Phosphor. Auf eine Schilderung des Puddelprocesses können wir uns hier nicht einlassen und erwähnen für den Laien nur, daß er in nachhaltiger Umrührung des geschmolzenen Eisens, der heißesten und mühseligsten Riesenarbeit, besteht. Die Eisenmasse, die zu Kanonen verarbeitet werden soll, muß weicher werden, als sonstiger Stahl, um eine gewisse Elasticität gegen die plötzlichen Schläge beim Abfeuern zu erzielen. Diese Weichheit wird durch Beimischung eines Theils von Schmiedeeisen in die Stahlmasse erreicht. Eisen und Stahl werden in kleine Stangen etwa sechs Zoll lang zerschnitten und in Graphit-Schmelztiegel gelegt, die von je dreißig bis sechszig Pfund enthalten. Diese Krupp’schen Schmelztiegel waren lange ein kostbares Geheimniß, aber die von Ruel in London und der Patent-Schmelztiegel-Compagnie in Battersea gelten jetzt für fast gleich gut.

Die Gießerei ist ein ungeheures Gebäude mit so vielen Oefen, daß zu gleicher Zeit darin in zwölfhundert Schmelztiegeln für Güsse der größten Art die nöthigen Eisen- und Stahlmassen in Fluß gebracht werden können. In jedem Ofen haben oft bis zehn Tiegel Platz und zwar so, daß sie auf losen Eisenbarren ruhen, welche herausgenommen werden können. Die Hitze in den Oefen erreicht eine solche Höhe, daß die besten schottischen feuerfesten Steine, womit sie umgeben sind, und die Tiegel selbst zu schmelzen anfangen, so daß letztere auch immer nur einmal gebraucht werden können. Um den Inhalt der verschiedenen Tiegel gleichzeitig in ein Reservoir und von da in die Form zu gießen, die sich unterhalb befindet, sind die Arbeiter ganz militärisch eingetheilt und folgen mit der größten Präcision militärischen Commandos. Im rechten Augenblicke giebt der commandirende Ingenieur vom Reservoir aus das Wort, welches sofort von den Vorstehern der verschiedenen Abtheilungen laut wiederholt wird. Jetzt ziehen einige die losen Eisenbarren aus den Oefen und andere stoßen die an dem Tiegel hängenden Feuermassen ab. Der „Auszieher“ stößt nun seine Eisenzange hinab, faßt damit den Tiegel und hebt ihn mit Hülfe Anderer auf den Flur; dann fassen ihn zwei andere Arbeiter mit einer Doppeltrage und bringen ihn nach dem nächsten Troge, in welchen sie die geschmolzene Masse schütten, woraus sie den Tiegel durch eine Oeffnung in einen Raum unter der Gießerei werfen, da er jetzt unbrauchbar ist und die Gießerei selbst nicht durch Anhäufung in der Räumlichkeit beeinträchtigen soll. Nun giebt der commandirende Ingenieur das Wort für die nächsten Abtheilungen, die ebenso schnell ihre Tiegel durch die Tröge in das Reservoir gießen, von wo es in die Form darunter fließt.

So geht es fort, bis alle Tiegel geleert sind. Hierauf läßt man dem Gusse so viel Zeit, bis er zu einer festen Masse zusammengelaufen und so weit abgekühlt ist, daß er aus der Form herausgenommen werden kann. Dann wird er mit heißer Asche umgeben und in einer rothen Gluth erhalten, bis er zum Schmieden kommt. Da dies nur in kühlem Wetter geschehen kann, liegen die größten Stücke der Art manchmal zwei, drei Monate in ihren heißen Betten, deren Decken durch immer neue Zufuhr von glühender Asche für Erhaltung der nöthigen Temperatur sorgen. Nichts kann malerischer und dämonischer aussehen, als dieses Leben und die Arbeit bei einem solchen großen Gusse. Ringsum nach allen Seiten die feurigen Oefen, aus denen unzählige, unabsehbare Arbeitermassen mit größter Geschwindigkeit und scheinbarer Leichtigkeit die großen glühenden Tiegel mit den geschmolzenen Stahlmassen herausreißen, um sie massenweise in die Tröge zu entleeren, bis die oft unersättlich erscheinende Form endlich gefüllt ist. Da dies nicht selten bei zwanzig bis fünfundzwanzig Grad Réaumur im Schatten draußen geschieht und im Innern jeder Ofen und jeder der tausend Schmelztiegel zu einer neuen glühenden Sonne wird, kann man sich wohl denken, daß diese Krupp’schen Männer oft in einer Temperatur arbeiten wie die drei Männer im feurigen Ofen und ungefähr ebenso unverbrennbar sein müssen, wie Sadrach, Mesach und Abednego. Allerdings sind dabei nicht selten einige in Ohnmacht gefallen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_820.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)