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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

zu befreien ihr graute. War das Eingehen beider Verbindlichkeiten vielleicht die Folge einer plötzlichen, ekstatischen Aufregung, hatte sie wirklich beide Männer im Augenblick, da sie sich mit ihnen verlobte, von ganzer Seele zu lieben geglaubt, so trat sie jetzt in das Stadium des Vergleichens und ihr Verstand nicht weniger als ihr Herz waren auf die Folter gespannt. Die Schürzung des Knotens war so einfach gewesen, so vollkommen ihrem naiven Herzen erklärlich, eine friedliche, glückliche Lösung schien ihr eine Unmöglichkeit. Kein Mensch hat jemals erfahren, ob sie ihre Qualen einem von ihren beiden Verlobten mitgetheilt. In ihrer Herzensangst aber verzehrte sich das unglückliche Geschöpf; es befiel sie eine schwere Krankheit und unter den furchtbarsten Kämpfen gab sie am 25. August 1835 ihren Geist auf.

Sicherlich hat sie Lincoln, wenigstens unmittelbar vor ihrem Tode, mehr geliebt, als ihren andern Verlobten. Denn auf dem Todesbette ließ sie ihn allein zu sich kommen, und über eine Stunde blieben Beide zusammen. Auf dem Concordia-Kirchhof, sechs Meilen von Neu-Salem liegt sie unter einem einfachen Stein. Lincoln sagte, „daß sein trauerndes und gebrochenes Herz dort begraben liege.“ Ein anderes Mal äußerte er sich, „er könne es kaum ertragen, daß der Schnee und der Sturm auf dieses Grab hernieder schaueren.“

Seine Freunde waren tief betrübt über das Seelenleiden des vortrefflichen Mannes. Sie erschöpften sich in Mitteln, ihn zu zerstreuen. Sie brachten ihn in andere Familien, lenkten seine Aufmerksamkeit auf andere Lebenszwecke, und es bedurfte in der That der liebevollsten Mühen, den tiefgebeugten Mann aus seinem Jammer dem lebendigen Leben wieder zuzuführen.

Damals war es, als ein verständiger Freund dem jungen Lincoln jenes Gedicht vorlas, das ihn fortan durch’s Leben begleitete. Er schrieb es ab, trug es nun bei sich, konnte es einsam und unter intimen Freunden laut recitiren und zahllose Male hat er es seitdem wiederholt. Es war wunderbarer Weise der einzige heilende Balsam für sein wundes Herz.

Niemals, sagt Herndon, hat Lincoln seitdem wieder einen Brief an eine Dame mit der stehenden Formel: „your affectionate friend“ geendet. Liebe hatte er für kein Weib mehr. Auch bewies seine spätere Ehe mit Miß Mary Todd, einer hochfahrenden, ihm absolut nicht sympathischen Frau, daß er einzig und allein der Convenienz wegen, nicht aber einem Zuge seines Herzens folgend, sich mit einem Weibe verbunden habe.

Ich weiß nicht, ob das Wesen seiner Ehe allgemein in Illinois bekannt war; sicher aber ist es, daß sich Frau Lincoln niemals die Liebe der Landsleute ihres Mannes erwerben konnte. Auch in ihrer repräsentativen Stellung als Gemahlin des höchsten Beamten dieser Republik vermochte sie es nicht sich Freunde zu erwerben, und nur spärlich und gemessen wurde ihr die Sympathie des Volkes nach dem entsetzlichen Tode ihres Gatten zu Theil. Offenbar aber war der sechsundzwanzigjährige Lincoln ein anderer Mann als der Fünfziger. Sein Leben scheint durch den unglückseligen Ausgang seines Liebesromans geradezu in zwei Hälften getheilt worden zu sein. Denn alle seine Freunde sagen übereinstimmend von ihm, daß er mit all’ seiner damaligen Vorliebe für häusliche Zurückgezogenheit und bei einem ganz besonders sinnigen Wesen doch ein auffallend impulsives Temperament gehabt habe. Liebe, der Traum künftigen Glückes, der Anblick des Todes, der tiefe Kummer, vollkommene Verzweiflung, das Sichversagen von Speise und Trank brachen sein Wesen damals ganz darnieder und änderten sein Temperament vollkommen. Wäre die sanfte, liebliche Anna Rutledge sein Weib geworden, behauptet einer seiner besten Bekannten, so würde Lincoln ohne Zweifel nach und nach sich vollkommen einem zurückgezogenen häuslichen Leben hingegeben haben und für sein Volk verloren gegangen sein. Der Tod des geliebten Mädchens entfremdete ihn für immer der Häuslichkeit, und um das geträumte und verlorene Glück gänzlich vergessen zu können, stürzte er sich kopfüber in das politische Getümmel und fand darin eine Zufluchtsstätte vor der Verzweiflung. Lincoln war eine von den Naturen, die trotz mächtiger Anlagen Peitsche und Sporen bedürfen, um Thaten des Ruhms nachzujagen. – Peitsche und Sporen, die ihn getrieben, waren die Furcht vor Verzweiflung über sein zusammengebrochenes Liebesglück. Sobald er aber einmal die neue Laufbahn ergriffen hatte, jagten ihn die Ereignisse unaufhaltsam voran und brachten ihn mit Sturmesschnelle dahin, wo er unsterblichen Ruhm, zumal mit der Märtyrerkrone, finden sollte!




Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege.
Nr. 6. Die letzten Tage eines Tapferen.
(Aus der Mappe eines Arztes.)


Königinhof, die deutsch-böhmische Stadt, in welcher eines jener wunderlichen Spiele, die sich bisweilen in den Entwickelungsgang der Völker mischen, die berühmte sogenannte „Königinhofer Handschrift“ auffinden ließ, die älteste czechische Gedichtsammlung, von deren Veröffentlichung man den jetzt so erbittert geführten Czechenkampf gegen das Deutschthum datiren kann, gehörte im letzten deutschen Krieg zu den Hauptlazarethplätzen. Die Stadt liegt in einem reizenden Thale, das von den südlichsten Ausläufern des Riesengebirgs gebildet und von der noch jugendlich rinnenden Elbe bewässert wird. Diese Vorzüge der Natur scheinen sich auch der Bevölkerung der Stadt (etwa fünftausend Seelen) mitgetheilt zu haben, denn sie zeichnet sich durch Fleiß, Bildung und Sauberkeit bedeutend vor ihrer czechischen Umgebung aus. Wir betraten sie in den ersten Augusttagen des vorigen Jahres. Noch wenige Wochen früher lagen hier auf dem Marktplatze viele Hundert Wimmernde, für die kein Obdach mehr zu finden war, und auf den Steinen des Pflasters hauchte mancher Verwundete seinen Geist aus. Heute war dies freilich Alles anders geworden. Die armen Opfer der böhmischen Schlachtfelder lagen nun auf reinlicher Matratze, wohl gepflegt von den milden Händen barmherziger Schwestern, und schon erschallte mitunter fröhliches Lachen aus den Stuben und Krankenzelten. – Wohl waren auch Viele heimgegangen zur ewigen Ruhe und noch immer forderte auch hier der Tod seinen Tribut. Auch unser Weg führte uns an ein Todtenbett.

Ganz in der Nähe der Stadt umgiebt ein Kranz von Linden eine Mühle, ein stattliches Gebäude, denn es bietet Raum für eine Mahlmühle und eine Spinnerei. Jetzt rauschte jedoch der Bach unbeschäftigt an den großen Rädern vorbei, ringsum herrschte die Stille, mit welcher man Sterbende umgiebt. Der im Heldenkampf zum Tode Verwundete, der hier seinen Leiden erlag, ist der Prinz Anton von Hohenzollern-Sigmaringen. Der Weg zu dem Sterbebette führte durch den Flur und die breite Treppe hinauf rechts in ein kleines Zimmer. Ein barmherziger Bruder und ein fürstlicher Lakai hielten die Wacht. Der schöne todte Jüngling lag da wie in einem langersehnten sanften Schlummer. In den gefalteten Händen hielt er einen Lorbeerkranz, das letzte Geschenk seines königlichen Ohms. Zu seinen Häupten stand ein kleines Tischchen mit Crucifix und Leuchtern, Blumen, die lichten Kinder des Sommers, schmückten die Decke. An dem halb offenen Fenster lehnte eine stolze, hohe Gestalt, die Augen durch die eine Hand beschattet. Ein blonder Bart umfloß das Antlitz. Es ist der Erbprinz Leopold, der herbeigeeilt war, um dem gesundenden Bruder vom König als Belohnung seiner Tapferkeit den Orden pour le mérite zu überbringen, und nun ankam, um noch einmal die brüderliche Hand dem Sterbenden zu drücken und dann auf ewig von ihm Abschied zu nehmen.

Der Leibarzt trat ein und meldete, daß der Sarg seiner Bestimmung harre. Stumm schüttelte der Fürst die Hand dem braven Manne, der unermüdet dem Bruder in seiner Leidenszeit beigestanden, der gearbeitet und gewacht, bis er sich endlich eingestehen mußte, daß hier auch seine Kunst ihr Endziel erreicht habe. Während man mit der Einsargung beschäftigt war, weilte der Prinz im Nebengemach bei der Mutter, die im stillen Harme für jeden Trost unzugänglich schien. Es wurde Abend; matt erleuchteten Kerzen das Todtengemach, in dessen Mitte der geöffnete Sarg stand. An seiner Seite durchlebten Mutter und Sohn, Hand in Hand nahend, im Geist die kurze Spanne Leben, die diesem Erdensohne geschenkt war.

Schon als Knabe eine frische Gestalt mit regem, lebendigem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_027.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)