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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

giebt, um es dort zu pflegen und täglich ein Stündchen auszureiten. Diese Dienstleistung und Pflege wird zwar vom Regiment aus überwacht, aber man hätte das kaum nöthig, denn eine Vernachlässigung des Rosses ist fast beispiellos. Nach Ablauf einer gewissen Frist wird der Cavalerist mit seinem Rosse zu einer Uebung im Regimente zurückgerufen und erntet gewöhnlich wegen der vorzüglichen Pflege und des guten Zustandes seines Thieres Lob und Anerkennung. Nach dem Regimentsexerciren kehrt er mit ihm in die Heimath zurück.

Sie können sich, mein lieber Herr, denken, daß der Cavalerist sich nicht blos die gute Pflege und Dressur seines Pferdes zur Aufgabe macht, nein, seine Muße und die Liebe zu demselben treiben ihn nicht selten zu einer wahrhaft künstlerischen Ausbildung. Viele unserer Cavaleristen mit ihren Pferden könnten jeden Augenblick vor einem gewählten, kunsterfahrenen Publicum mit den seltensten Kunstreiterstücken zur Schau auftreten. Auch mein Schimmel ist wohldressirt. Erlauben Sie mir als Beispiel nur einen kleinen Scherz. „Hercules,“ rief er diesem zu, „gieb mir einen Fuß!“ Das Pferd hob den rechten Vorderfuß. „Einen Kuß!“ Es spitzte und reichte die Lippen. „Mache ein Compliment!“ Es kniete mit beiden Vorderfüßen nieder und bog den Kopf. „Wie spricht das Pferd?“ Laut begann es zu wiehern. „Hast Du Deinen Herrn lieb?“ Es nickte, legte mit sichtbarem Verständniß seinen Kopf auf dessen Schulter und strich mit demselben seine Wangen. „Was machst Du mit dem Feinde?“ Bei dieser Frage richtete es sich, trotz des verwundeten Hinterfußes, stolz in die Höhe, spitzte die Ohren, blies die Nüstern weit auf, blickte wild um sich und endlich stieg es kerzengerade zur Luft hinein, biß, hieb und schlug wild um sich. „Bravo, mein treues Thier, aber was ist das Ende von Reiter und Pferd?“ Bei diesen Worten begann er das bekannte Lied zu singen: „Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod.“ Kaum hatte das Roß seine Anfänge vernommen, als alle seine Wildheit verschwand; es sank zusammen, fiel auf die Kniee, reckte und streckte sich und lag nun scheinbar ohne Leben völlig todt. Der Reiter sang weiter, aber nicht mehr allein, die umstehende Jugend begleitete theilnehmend den ernsten, schönen Gesang, und Alte und Junge weihten dem Reiter und seinem Pferde eine Thräne des Mitleids.

„Erhebe Dich, mein treues Roß,“ gebot der Dragoner, als er sich wieder gesammelt hatte, „es kommt jetzt die gefürchtete Stunde der Trennung!“ Er deutete auf die sich nähernden preußischen Commissäre, welche den hannöverischen Cavaleristen ihre Pferde abnahmen. Mühsam erhob sich das Pferd; seine, wenn auch leichte, aber vernachlässigte Wunde machte ihm sichtbar große Schmerzen.

Je mehr sich die preußischen Officiere näherten, desto größer wurde die Aufregung des Dragoners. Der Mann that mir herzlich leid; er war ein ziemlich junges Blut, dazu der Sohn eines Landmannes; ich selbst war ein solcher und besaß auch einen Sohn, über dessen Schicksal ich jetzt in großer Sorge lebte; denn er kämpfte in der preußischen Armee gegen Oesterreich. Das Alles bewegte mein Herz nur noch mehr zum Mitleid und ich beschloß, den Armen nicht zu verlassen.

„Sind Sie krank?“ frug ich theilnehmend, als ich sein öfteres Erröthen und Erblassen bemerkte; „haben Sie selbst vielleicht eine Wunde?“ Bei diesen Worten sah er nach dem linken Arm und sprach: „Allerdings habe ich einen Streifschuß in den linken Arm bekommen und das Bivouac bei Tag und Nacht im strömenden Gewitterregen hat die Wunde verschlimmert. Das Alles möchte sein, wenn ich nur Pferd und Waffe behielt und nicht wie ein Lump abziehen müßte. Das Bitterste dabei ist: Ich selbst muß hier stehen und das treue Thier abgeben. Nicht wahr, Hercules, Du glaubst es nicht, wenn man Dir erzählt, daß Dein Herr allein und ohne Dich nach Hause ziehen will? Hast ihm so treu gedient, ihn aus dem starren Bajonnetwalde durch die Tausende der Geschosse des Feindes getragen; hast Dich ihm dadurch mit Leib und Leben verdient und erkauft; auf seiner Scholle denkst Du nun zu leben und dereinst zu sterben. – Und wenn Du nun erfährst, daß all’ Dein Hoffen und Wünschen Traum und Schaum war, fremde Hände Dich zu eigen nehmen und Dir statt zärtlicher Liebkosung Fußtritte geben: o, wie wirst Du dann über menschliche Undankbarkeit klagen und selbst Deinen Herrn nicht verschonen! Und doch, Hercules, bin ich unschuldig, behielte Dich so gern und darf doch nicht.“ –

„Camerad,“ rief ich besorgt, „Sie sind krank. Entschlagen Sie sich solch’ trüber Gedanken. Ihr und des Pferdes Schicksal ist nicht zu ändern; fügen Sie sich in’s Unabänderliche. Nehmen Sie Abschied von Ihrem Rosse, schnell, die preußischen Herren treten heran!“

Da faßte der wahrhaft unglückliche Mann das Pferd um den Hals, flüsterte: „Kuß, Hercules!“ und gab ihm noch unzähliche Küsse, die zärtlichsten Namen und Liebkosungen, wandte sich endlich, hielt die strömenden Augen zu und eilte ohne Umsehen zum Thore hinein. Ich folgte ihm, nahm ihn auf meinen Wagen und führte ihn mit nach Hause. Die Erlaubniß, einen kranken und verwundeten Soldaten in Privatpflege zu nehmen, erhielt ich sehr leicht. Beides, verwundet und krank, war mein Dragoner. Der untersuchende Arzt sagte: „Die an sich ungefährliche Schußwunde im Arm hat sich durch Erkältung und Vernachlässigung sehr entzündet und muß fleißig gekühlt werden; außerdem fiebert der Mann stark; man lasse ihn nicht aus den Augen, Arzenei ist für jetzt nicht nöthig.“ –

Schon am Abend desselben Tages wurde das Fieber sehr heftig und in der Nacht lag der Patient in wilden Phantasien. Ich zog am andern Tage den Arzt des nahen Marktfleckens zu Rathe; denn ich fühlte für den jungen Mann das innigste Mitleiden und mochte ihn gern dem Leben und seiner Familie erhalten. Meine Gattin und die andern Hausgenossen übernahmen am Tage seine Pflege, ich selbst und ein zuverlässiger Knecht bewachten ihn in der Nacht.

An einem der folgenden Tage rief mich die in öffentlichen Blättern angekündigte Auction dienstuntauglicher Cavaleriepferde wieder zur Stadt. Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich bei der Durchmusterung der zu Verkauf stehenden Rosse den Schimmel Hercules erblickte! Um mich jeden Zweifels zu entledigen, trat ich zu dem Thiere und rief den Namen Hercules! Es spitzte die Ohren und wieherte leise, als frage es schüchtern: „Wer kennt meinen Namen und bekümmert sich noch um mich?“ Da faßte ich einen raschen Entschluß; ich dachte: „Wo acht Pferdemäuler satt werden, findet auch noch ein neuntes Raum und Futter,“ und beschloß, das Pferd zu kaufen. Es war das keine leichte Sache, nicht des Geldes, nein, des Spottes wegen, der von Seite meiner Bekannten und Gutsnachbarn nicht ausbleiben konnte.

Und so geschah es. Als die Reihe an den klapperdürren, lahmen Schimmel kam und der Auctionator das Angebot mit drei Thaler that, mit den Worten: „Ein Schimmelpferd, Schuß durch den linken Hinterfuß!“ folgte in der ganzen großen Versammlung kein Nachgebot. Da faßte ich mir ein Herz, legte einen Thaler zu und rief: „Vier Thaler!“ Um es kurz zu machen, ich erhielt das Roß unter allgemeinem Gelächter und Spott. Das wurmte mich doch ein wenig und schier mochte ich es dem armen Thiere auf dem Heimwege entgelten lassen; aber je weiter ich mich von den Spöttern entfernte, desto friedlicher wurde meine Stimmung. Zuletzt konnte ich ein förmliches Zwiegespräch mit ihm halten; freilich hatte sein Trübsinn nie eine Antwort, ich mußte sie mir immer selbst geben. Am glücklichsten fühlte ich mich, wenn ich an den Herrn des Pferdes dachte. „Was wird der Dragoner sagen,“ sprach ich zu mir selbst, „wenn er sein Roß erkennt und wieder erhält!“

Mit dem Kranken stand es übel; er sah und hörte nicht, ein heftiges Nervenfieber hatte ihn ergriffen, und so mußte ich vorerst auf die Hoffnung, durch den Kauf und Anblick seines Pferdes beruhigend auf sein Gemüth zu wirken, Verzicht leisten.

Auch von Seite meiner Angehörigen und Dienstleute wurde mir bei der Einführung des lahmen Schimmels ein spöttischer Willkomm und selbst die Hausfrau verschonte ihren Eheherrn nicht; ich aber blieb ruhig und gelassen, denn ich wußte, was ich that. Zunächst ließ ich das beschmutzte Thier und seine stark entzündete Wunde gründlich reinigen, die letztere fleißig kühlen und bot dem Rosse mit eigener Hand sein Futter. Es schnoberte an dem Hafer, zog auch einige Hälmchen Heu von der Raufe, aber dabei blieb es. Ein Fressen zum Sattwerden war das nicht. Was war zu thun? Wie ein Blitz kam mir ein Gedanke in die Seele. Ich rief den Kleinknecht, gebot ihm, die Uniform des Dragoners und einen der umherliegenden Caraleriesäbel anzulegen, und in solcher Gestalt, aber ohne jedes laute Wort, den Schimmel zu füttern. Bei diesem Aufzuge gab es unter den Dienstleuten, welche meine Absicht nicht begriffen, wieder ein lautes

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_075.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2017)