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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Gelächter, die beabsichtigte Wirkung jedoch erreichte ich völlig. Der Schimmel, getäuscht durch die Uniform und das Klirren des Säbels auf dem Steinpflaster, wieherte freudig auf, drehte und wandte sich bei jedem Tritt und Schritt seines vermeintlichen Herrn und erzeigte ihm alle die zärtlichen Liebkosungen, welche wir bereits kennen, ähnlich einem Kinde mit der heimkehrenden Mutter. Nur zuweilen schien eine Ahnung der Wahrheit das treue Thier zu beschleichen. Es war auch an zärtliche Worte gewöhnt und sein jetziger Pfleger blieb immer stumm, obwohl er es wie sein wirklicher Herr streichelte und liebkoste. Von Stund’ an nahm das Roß etwas mehr Nahrung zu sich und nach wenig Tagen schon trat es kräftiger auf, glättete sich und lähmte immer weniger.

Wie ging es aber mit seinem jungen Herrn? Nun, ein Gewittersturm biegt den jungen kräftigen Baum, bricht ihn aber nicht gleich. So geschah es mit unserem Kriegsmann. Das Fieber tobte gewaltig in seinen Adern und fast schien es uns, als solle er, statt auf dem Bette der Ehre, hier auf ruhmlosem Krankenlager enden. Die rüstige Jugendkraft siegte endlich, das Fieber schwand, die Besinnung kehrte zurück, doch nicht der fröhliche Jugendmuth, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Selbst Gedächtniß und Interesse für das treue Roß schienen dem Armen erloschen. Nie sprach er von demselben, nie nannte er seinen Namen; auch für alles Andere war er theilnahmlos und verbrachte die Tage in einem stillen, traurigen Dahinbrüten. Dieser Zustand ging mir zu Herzen und ich sann auf ein Heilmittel. Es lag dieses so nahe und so entging es mir nicht lange.

An einem der nächsten Tage, als ich den Gemüthskranken wieder in diesem melancholischen Hinbrüten fand, redete ich ihn an und sprach: „Camerad, wenn Sie sich wieder kräftig fühlen, sollen Sie mich gelegentlich in den Pferdestall begleiten, um Ihr Urtheil über ein angekauftes Pferd abzugeben. Sie sind Pferdekenner und werden seinen Werth richtig taxiren!“ Bei diesen Worten erröthete und erblaßte der Angeredete abwechselnd und über seinen ganzen Leib ging ein heftiges Zittern. Schon sah ich in den Zornblitzen seiner Augen einer abschlägigen Antwort entgegen, er kämpfte die Regung des Unwillens nieder und erwiderte mit trauriger Stimme: „Morgen, lieber Herr, nicht heute, ich muß mich erst an den Anblick eines Pferdes gewöhnen!“ Er hielt den Kopf nieder, verdeckte die Augen und weinte. Ich versuchte keine Tröstung; Thränen lindern den Schmerz, auch hoffte ich von meinem Heilmittel das Beste.

Am nächsten Morgen legte er das bequeme Hauskleid ab und zog die Uniform wieder an, und so begaben wir uns nach den Pferdeställen. Hercules hatte ganz am Ende seinen Stand und war jetzt mit dem zweiten Frühstück in angenehmer Beschäftigung. Auf dem kurzen Wege sprach ich vorbereitend zu meinem Begleiter: „Das angekaufte Pferd ist auch ein Schimmel. Sie werden sich über seine große Aehnlichkeit mit dem Hercules wundern, selbst die Schußwunde am Hinterfuß hat das Thier!“ Bei dieser Mittheilung blieb der Dragoner einen Augenblick stehen und sah mich forschend an. In seiner Seele schien eine Ahnung aufzusteigen, dann schritt er hastig auf den Stall los, öffnete und that einen raschen Blick hinein. Nur der Schimmel war darin, die Gespanne befanden sich auf dem Felde.

Dieser eine Blick genügte, um den Liebling wieder zu erkennen. „Hercules, mein Hercules, Du lebst noch, ich habe Dich wieder!“ rief der Dragoner mit zitternder Stimme. In fliegender Eile stürzte er nach dem Rosse, welches bei dem Klange seiner Stimme die Ohren spitzte und mit einem freudigen Wiehern antwortete. Aber die Gefühle des Schwergeprüften waren zu stark, die Ueberraschung allzu gewaltig; er sank in die Kniee und es dauerte lange, ehe die Schwäche verging. Während das geschah, zeigte sich auch Hercules sehr aufgeregt; er riß an den Ketten, drehte sich bald rechts, bald links und hieb und schlug um sich. Langsam führte ich meinen Mann nach dem unruhigen Rosse, indem ich lächelnd sprach: „Erkennen Sie den Schimmel? Habe ich es Ihnen zu Danke gemacht? Na, nun sind Reiter und Roß wieder beisammen. Erzählt einander, wie es Euch ergangen.“ Der Dragoner umschlang das treue Thier und herzte es viele Male. Die Freude und Ueberraschung ließen ihn nicht zu Worte kommen; ich aber verließ ihn aus Schonung seiner Gefühle.

Was war die Folge dieses Besuches? Hercules gebehrdete sich sehr unartig, als sein Herr ihn wieder verlassen wollte, und dieser war genöthigt, sein Nachtlager, wie damals im Bivouac, neben ihm aufzuschlagen. Bei meiner Besorgniß sprach der junge Mann: „Tragen Sie um meinetwillen keine Sorge, Hercules thut seinem Herrn nichts zu Leid und die milde Sommernacht kann mir unmöglich schaden. Ich werde einige Tage neben dem verwöhnten Burschen campiren, bis er seine Unart und Heftigkeit wieder abgelegt hat.“ Am späten Abend ließ ich Reiter und Roß neben einander betten und verließ Beide in sehr zufriedener Stimmung. Jetzt nun begriffen auch die Dienstleute meine Passion für den Schimmel und lachten nicht mehr.

Ich brauche wohl kaum zu erzählen, daß der junge Reitersmann mit seinem Pferde in stündlicher Gemeinschaft, in wahrhaft cameradschaftlichem Umgange lebte und Beide von Tage zu Tage an Kräftigung und Wohlgefallen zunahmen. Der junge Mann besorgte jetzt die Wartung und Pflege seines Rosses mit eigener Hand, führte es auf der nahen Wiese spazieren und übte und stärkte dessen lahmen Fuß. Durch diese Beschäftigung vergaß er seines Leides, schöpfte neuen Lebensmuth und gewann die alte Spannkraft zurück.

Endlich waren Reiter und Roß völlig genesen. Das letztere warf den schönen Hals stolz in die Höhe, streckte den Schweif weit von sich und stieg keck und kerzengerade in die Luft. Sein schlanker Leib hatte sich mit glänzendem Haar bedeckt, die Haut ließ jede Ader und Muskel durchschimmern, die Füße tanzten in Lust und Leben. Wie gafften und neideten bei diesem Anblick die damaligen Lacher und Spötter!

Eines Tages kam Besuch auf das Gehöft, Besuch von weit her. Der langgestreckte Korbwagen und das eigenthümliche Pferdegeschirr verwiesen aus Hannover. Errathet ihr die Namen der fremden Gäste? Es waren Vater und Bruder unseres Dragoners, aus weiter Ferne gekommen, den Schmerzlichentbehrten heimzuführen.

Groß war die Freude des Wiedersehens! Auch das treue Roß erhielt davon seinen gebührenden Antheil. Der Abend war nicht lang genug, all’ die Erlebnisse von Reiter und Pferd zu erzählen; die Nacht noch fand uns in tiefen Gesprächen. Die Lage des Vaterlandes machte Allen großen Kummer. Es gelang mir auch hier, lindernden Balsam zu bringen.

An einem der folgenden Morgen fuhr der Korbwagen wieder vor, an dessen Seite Hercules, lose angebunden, die Rückreise machen sollte. Als sein Herr das Thier herbeiführte, rief er ihm zu: „Hercules, bedanke Dich bei den Stallleuten!“ Diese hatten sich allesammt am Wohnhause aufgestellt. Hercules verbeugte sich mit dem Kopfe und hielt ihnen mit seinen Zähnen ein kleines Päckchen entgegen. Es war ein werthvolles Geschenk für seine Pfleger. Dann drehte der junge Mann das Thier und rief ein zweites Mal: „Nun, Hercules, bringe auch unserem guten Hausherrn deinen Dank!“ Bei diesem Befehl kniete es nieder und berührte mit den Lippen meine Hände und Kleider, gleichsam um sie zu küssen. Dann sprang das kluge Thier auf und wieherte laut, als ahne es den Heimzug. – Sein Herr selbst hatte bei der Tiefe seiner Gefühle kein lautes Wort. Er drückte uns fest an sein lautschlagendes Herz und sprang dann hastig zu den Seinigen in den Wagen. – „Ade, Ade, Ihr guten Thüringer! Lebt wohl, lebt Alle wohl!“ – Ein lauter Peitschenknall – und dahin sauste der Wagen. Lange sahen wir die weißen Tücher wehen und hörten den muthigen Schimmel wiehern, endlich verschwanden die lieben Gäste unseren Blicken, aber des Reiters und seines Rosses werden wir nie vergessen.




Romantik und Industrie am Kyffhäuser der Alpen.


Die Sehnsucht nach einem deutschen Kaiser, als nach dem Oberhaupte eines einigen, freien und mächtigen Deutschlands, liegt tief im Herzen des ganzen Volkes. Das beweisen die Kaisersagen, mit denen es im deutschen Norden wie im Süden thronende Bergeshäupter geweiht hat. Denn in seinem Lied und seiner Sage spricht das Volk sein innerstes Herz aus, seine Liebe, sein Leiden und Hoffen, seinen Lohn und seine Strafe. Ueber die goldne Aue Thüringens, wo die sächsischen Herzoge und Kaiser

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_076.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2017)