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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 6.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.

Die Brautschau.
Ein Bild aus den oberbairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Schluß.)


„Zeit und Weil’ ist ungleich!“ rief der Krämer und schlug auf den vollen Geldgurt um seinen Bauch, daß es klingelte. „Die Zeiten muß man ehren, damit sie Einen wieder ehren! Man macht nicht alle Tag Stuhlfest! Nicht wahr, Vettermann?“ fuhr er mit einer Art freundlicher Herablassung gegen den Wirth fort, der eben eine neue Tracht frisch abgebräunter Leberwürste auf den Tisch setzte und mit höflichem „Wohl bekomm’s“ die grüne Schlegelkappe lüftete. „Was will man machen, wenn man Kinder hat! Einmal muß man doch daran denken, daß man sich in die Ruh’ setzt und läßt die jungen Leut’ ihr Glück probiren – na, Unsereiner kann’s ja thun! Freilich, mir hätt’s nit pressirt und meiner Waben noch weniger – aber der da, mein Schwiegersohn, hat keine Ruh’ mehr gegeben und hat’s abs’lut haben wollen, daß wir heut’ schon hinein sind auf’s Landgericht und haben Richtigkeit gemacht … Hat wohl gedacht, der Silberfisch könnt’ ihm noch auskommen oder abgefangen werden! Hat mir ja das Haus schier niedergerennt … Red’ Schwiegersohn!“ schloß er und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite, „ist’s etwa nit so, wie ich sag’?“

Der Musikus hatte den Mund voll und konnte als Antwort nur einen brummenden Ton hervorbringen, der eben so gut als Nein gedeutet werden konnte, wie als Ja; er machte eine hastige Bewegung, denn es hatte ihm inwendig einen Stich gegeben, wie damals, als er auf den Stufen zur Kirchhofthüre gesessen und die Jungfern mit ihrer Ehrenführerin vorüber ziehen sah. Die Bauern aber steckten die Köpfe zusammen und zischelten und lachten; der Bräutigam sah gar nicht aus, als ob er so besonders stürmisch gewesen, und wenn sie es auch nicht laut erzählten, weil der Reichthum doch überall einen gewissen, mindestens äußerlichen Respect findet, so erzählten sie sich heimlich mit um so größerer Lustigkeit das gerade Gegentheil von dem, was der prahlende Krämer gesagt. Wußte doch fast jedes Kind, daß es der Krämer gewesen, der auf Anstiften der Tochter nicht geruht, bis er den Clarinettisten, der vor ihm hergelaufen war wie ein Hase beim Treibjagen, in’s Netz gescheucht hatte. „Die Geschichte mit der Brautschau gab den Anlaß dazu, wie es einen bessern und willkommneren nicht hätte geben können, denn das Gerede war überall verbreitet und wenn es wo gefehlt hätte, sorgte die schneidige Waben redlich dafür, daß es immer wieder frischen Anlauf und neue Nahrung fand und daß der alte Krämer, wo er sich nur befand, daheim oder im Wirthshaus, auf der Reise oder auf dem Jahrmarkt, nichts Anderes zu hören bekam, als die Geschichte vom Clarinetten-Muckel, der seine Tochter zur Braut gewählt und nun doch sitzen lassen wolle, bis ihm endlich die Galle stieg und er schwor, der Geschichte ein Ende zu machen. „Ich hab’ ihm einmal den Weg gezeigt aus meinem Hause hinaus,“ rief er, „jetzt will ich ihm den Weg hinein zeigen und wenn es mich den letzten Kronthaler kosten sollte!“

Den kostete es nun eben nicht, aber es war immerhin kein kleines Stück Arbeit, hinter dem Flüchtigen her zu sein „wie der Teufel hinter der armen Seele“. Wenn er unbemerkt in ein Wirthshaus zu schlüpfen gedachte, verging keine Viertelstunde und es trat der Krämer in die Stube; galt es, irgendwo zum Tanze aufzuspielen, so war das erste Gesicht, das er von seinem erhöhten Sitze aus erblickte, das seines Verfolgers, der ihm mit höhnischer Freundlichkeit den Krug zubrachte, damit er ihm Bescheid thun solle auf die Gesundheit seiner Braut. Wenn es dann anging, drückte er ihn in eine Ecke hinein und floß über von lockenden Versprechungen des Reichthums und behaglichen Wohlergehens oder er kramte allerlei Schreckbilder aus, um durch Einschüchterung zu erreichen, was etwa der Verführung trotzen zu wollen schien. Er fabelte ihm vor, daß er ihm einen Injurien-Proceß an den Hals werfen werde, weil er seine Tochter in der Leute Mund gebracht und sie nicht wieder zu Ehren bringen wolle – er ließ ihn merken, daß der gestrenge Herr Landrichter auf dem Punkte stehe, sich der Sache anzunehmen und ihm das Musikmachen zu verbieten, denn einem Menschen, der sich erlaube, Spaß zu treiben mit so heiligen Dingen, könne man nicht erlauben, bei den Vergnügungen ruhiger und gesitteter Landbewohner auch nur die Clarinette an den Mund zu setzen. Die Tochter ließ es ebenfalls nicht fehlen, sich zur rechten Zeit einzufinden und die Liebenswürdige zu spielen, daß er manchmal sich erst besinnen mußte, warum er sich denn so sehr sträube, sich ihr gefangen zu geben, denn die schneidige Waben verstand es, so sanft zu reden, als wäre sie gar nicht im Stande, ein böses Wort auszusprechen, und streichelte ihn wie ein schnurrendes Kätzlein, das die Krallen einzieht. Das war mehr, als der Clarinetten-Muckel zu ertragen vermochte; er fing an, blaß zu werden und vom Fleische zu fallen, und glaubte sogar zu bemerken, daß der dünne Haarkranz um seine Platte beginnen wolle, noch dünner zu werden. Die unablässige Verfolgung und Hetze raubten ihm die Ruhe und gewohnte Gemüthlichkeit und verdarben jeden Spaß – er mußte sich diesen Widersacher vom Halse schaffen, wenn er nicht zu Grunde gehen sollte, und da er ihn nicht zu besiegen vermochte, entschloß er sich, zu ihm überzugehen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_081.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)