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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Der Bauer wollte antworten, aber er gewahrte im Augenblick, daß ein dunkles Roth die Züge des Mädchens überdeckte und daß ihr Blick auf einen andern Punkt gerichtet war, als auf ihn und sein Fenster. Eine Ahnung dämmerte ihm auf; hastig schloß er das Guckloch und eilte hinab.

Während des Gesprächs hatte Sylvester die Hausthür geöffnet und war betroffen auf der Schwelle stehen geblieben …

„Wenn ich Dir im Weg’ umgeh’ …“ sagte er mit schwankender Stimme, „sag’s nur, ich kann geh’n … aber schlag’s dem Vetter nicht ab; ich bitt’ Dich auch darum, kehr’ ein auf dem Brunnhof …“

Sie dachte zu enteilen und stand festgewurzelt; er wollte gehen und blieb doch an der Stelle, stumm sahen sie einander an; ungewiß, zweifelnd, halb unbewußt hob er die Arme – ein Zittern durchflog ihren Körper und das Wanderbündelchen glitt herab in den Schnee. Es war nicht zu sagen, wer dem Andern entgegengeeilt, aber in Mitten des Weges trafen sie zusammen und hielten einander umschlungen, fest, innig und wortlos.

„Sternsacra …“ sagte der Alte, der in die Thür getreten, und wischte sich die Augen.

„Willst jetzt einkehren auf dem Brunnhof?“ fragte Sylvester leise das zärtlich an seiner Brust emporblickende Mädchen.

„… Ja …“ flüsterte sie innig und ebenso leise.

„Und willst da bleiben?“

„Ja…“

„Bleiben – für Zeit und Ewigkeit?“

„Ja.“

„Und glaubst mir jetzt, daß ich weiß, was das heißt, Jemand gern haben von Herzens Grund? Und wie ist Dir der Glauben ’kommen?“

„Heut’ Nacht, Vest’l,“ erwiderte sie mit leichtem Stocken, „ich hab’ Alles mit ang’sehn, drunten am See … wer das thut, einem armen alten Mutterl sein’ einzige Lebensfreud’ zu erhalten, der hat ein Herz und noch dazu ein recht gut’s …“

„Also vergeben und vergessen?“

„Alles!“

„Und wieder ist’s der See, der uns zusammen ’bracht hat, wie das erste Mal! Jetzt ist er mir noch einmal so schön und mein’ Lieb’ zu Dir, die soll dauern, so lang noch ein Tröpfel Wasser in ihm ist …“

„Sternsacra,“ rief der Brunnhofer dazwischen und zwang sich zu lachen, um seine Rührung zu verbergen, „ich glaub’ hell-licht, sie nimmt den Buben blos deswegen, weil er einen alten Hund aus dem See ’zogen hat …

O Weiberleut, Weiberleut
Seid’s nit zum Ergründen:
Eh’ wollt’ i’ an Kreuzer
Im Schliersee find’n!

He, Schwagerin,“ fuhr er fort und that einen gellenden Pfiff, „da komm’ die Schwagerin heraus, geb’ sie jedem von den Christkind’lsängern da, die mir das Glück ang’sungen haben, einen Zwanziger und schau’ sie sich das Paar’l an und führ’ sie’s hinein in’s Haus; auf die Läng’ könnt’s doch zu kalt werden da im Freien, selber für die jungen Leut’!“

Die Frau trat herzu, nicht wenig erstaunt über die unvermuthete Wendung, doch desto mehr von ihr erfreut; mit lachendem Mund und thränenden Augen führte sie die Glücklichen in’s Haus, die selbst nicht wußten, wie ihnen geschehen war. „Gott sei Lob und Dank,“ sagte der Bauer leise zu ihr, indem sie hinter dem Paare hergingen, „nun kann ich, wenn’s in die Ewigkeit geht, dem Bruder Andrä doch sagen, daß ich Wort ghalten hab’ …“

„Redlich und ehrlich,“ erwiderte die Hauserin und schüttelte ihm die Hand, „ich mein’, er müßt’ jetzt schon vom Himmel ’runter schau’n und seine Freud’ daran haben!“ –

Zum Dreikönigstage war wirklich Hochzeit auf dem Brunnhofe und seit Menschengedenken war keine unter solchem Jubel gefeiert worden und solchem Zulauf; es hatte auch nicht leicht ein schöneres Paar gegeben, noch eines, das sich gefunden und geworben auf so seltene Art. So sehr auch der Clarinetten-Muckel unter dem Doppelpantoffel von Frau und Schwiegervater stand, hatte er es doch durchgesetzt, daß sie Alle mit zu Gaste waren beim Mahl, und ließ sich’s durch die saure Miene des Krämers nicht wehren, dem Cameraden aus der alten, lustigen, freien Zeit eine Ehre anzuthun und zum Brauttanz den versprochenen Landlerischen aufzuspielen.

Er übertraf sich selber dabei, der Ländler war einzig wie die ganze Hochzeit.

Als er vorüber war und der Bräutigam zu ihm trat, ihm dankend die Hand zu schütteln, flüsterte er ihm rasch und heimlich zu: „Du hast wohl Ursach’, daß Du mir dankst, Vestl, Du hast ein Röserl gekriegt, schön und frisch und schier gar ohne Dorn, aber das kann der beste Gärtner nit auseinander klauben, was ich für eine Blum’ erwischt hab’ …“

„Was giebt’s denn da für Heimlichkeiten auszumachen?“ fuhr die Waben, die ihren Mann keine Secunde aus den Augen ließ, dazwischen. „Darf man’s nit auch wissen?“

„O ja, warum denn nit,“ stammelte Muckel erschrocken. „Wir haben nur davon gered’t und uns darüber gefreut, daß die Brautschau so gut ausgefallen ist für ihn …“

„Für alle Zwei, will ich hoffen?“

„Versteht sich, Weiberl, versteht sich – für alle Zwei!“ erwiderte er mit süß-saurem Lächeln und folgte wieder zum Tisch, nicht ohne sehnsüchtigen Blick auf die Musikantenbühne und die geliebte Clarinette.

Diese sollte ihm aber nicht für immer entrissen bleiben; als der alte Krämer das Zeitliche gesegnet, gelang es ihm, seine Schneidige zu bereden, daß sie Haus und Hof verkauften und in den Markt zogen. Da war die Stelle des Marktthürmers oder Musikmeisters frei; Muckel erhielt sie und die Frau fügte sich darein, war er ja doch kein Musikant und Gesell mehr, sondern wohlbestallter Meister. Da hatte er nun wieder den alten lieben Trost, und wenn die Frau ihr Uebergewicht zu sehr geltend machte, wußte er, wohin er sich flüchten konnte.

Sein Ländler aber ist unvergessen; noch jetzt, nach mehr als fünfzig Jahren, darf bei keiner Hochzeit der „Brautschau-Landler“ fehlen, wenn auch Niemand den Namen des Urhebers kennt oder die Geschichte seiner Entstehung.

Einem fröhlichen Studenten, der auf fröhlicher Fußwanderung zu einer fröhlichen Bauernhochzeit kam, wurde Beides von einem uralten Bäuerlein erzählt, das mit dabei gewesen.

Auf dem Brunnhofe aber war mit Clar’l das neue Leben, das der Alte erwartet hatte, wirklich eingezogen; die junge Bäurin behielt ihr heiter lachendes Angesicht und es vergingen Wochen, in denen der verjüngte Alle sein Poltern ganz vergessen zu haben schien. Jetzt hausen längst deren Enkelkinder auf dem Gute, aber der Wohlstand und der Frohsinn sind dort daheim und bezeugen, daß sie gut eingeschlagen, die sonderbare Brautschau!




Das Haus mit den drei Leiern.
II.
Goethe’s Morgenopfer. – Gretchen. – Das Puppenspiel. – Von Käthchen Schönkopf bis Fräulein von Lewetzow. – Das Kind. – Mephisto-Merck. – Das Höfchen. – Der Sohn des Stadtsoldaten – Das Grab der Frau Rath.


Wie glücklich hat sich Goethe in diesem Giebelzimmer gefühlt! „Ich fühle täglich mehr Anhänglichkeit an das kleine Plätzchen, wo ich so manche Freude genoß;“ in diesem Zimmer hat er Friede und Sturm erlebt. Wie malt er es aus im Dämmerlicht seiner Einsamkeitsstunden!

„War ich guter Junge nicht so selig,
In der öden Nacht
Heimlich in mein Zimmerchen verschlossen?[WS 1]
Lag im Mondenschein,
Ganz von seinem Schauerlicht umflossen
Und ich dämmert’ ein;
Träumte da von vollen, goldnen Stunden
Ungemischter Lust …“

In diesem Giebelzimmer brachte er dem „Höchsten“, dem er einen Altar mit seiner Naturaliensammlung aufgebaut, mit Räucherkerzen,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. in der Vorlage: erschlossen; korrekt heisst es "verschlossen"
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_084.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)