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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Ihnen sagen, daß Ihre Leistung mich von Anfang bis zu Ende interessirt hat, weil ich Sie noch in keiner Rolle sah, die von solch’ einer leidenschaftlichen Gluth erfüllt ist, und im Ganzen fühlte ich mich befriedigt von Ihrer Auffassung, wenn ich schon einige Ausschreitungen tadeln möchte. Im zweiten Act z. B. –“

„Halten Sie ein,“ rief Melanie in fast fieberberhafter Aufregung, „ich kann heute – jetzt keine Recensionen über mich anhören!“

Feldern mußte an die reizbare Stimmung der Schauspielerin gewöhnt sein, denn er verrieth kein Zeichen des Unmuthes, und als die Dienerin in diesem Augenblick mit der brennenden Lampe hereintrat, griff er schweigend nach einem aufgeschlagenen Buch, das auf dem Tische lag. Melanie ging einige Male durch das Gemach und es war augenscheinlich, daß sie ruhiger zu werden suchte. Nach einer Weile nahm sie schweigend wieder an seiner Seite Platz, und als er bemerkte, daß ihre Blicke an dem Buche hafteten, das er in der Hand hielt – es war Mosen’s[WS 1] „Sohn des Fürsten“ – fragte er: „Werden Sie die Orzelska spielen?“ Sie nickte. „Und sagt Ihnen die Rolle zu?“

„Ich weiß noch nicht,“ entgegnete sie, „bis jetzt kaum. Dies leidvolle Entsagen entspricht zu wenig meiner Natur und ich fürchte, den richtigen Ton für die Resignation finde ich nicht.“

„Wollen wir einen Versuch machen, Melanie? Lassen Sie mich einmal wieder Ihren Rathgeber sein und die Rolle mit Ihnen durchnehmen. Ich wette, unseren vereinten Kräften gelingt’s, das Rechte zu treffen.“

Er hatte in freundlichem, fast väterlichem Ton zu ihr gesprochen, aber doch die beabsichtigte Wirkung verfehlt, denn Melanie schüttelte nur traurig den Kopf. Es trat wieder eine Pause ein, doch während Feldern las oder zu lesen schien, entging es Melanie nicht, die, in ihren Stuhl zurückgelehnt, ihn betrachtete, daß ein etwas unmuthiger Zug auf seinem Gesicht hervortrat, und sie sah ein, daß sie ein anderes Gespräch anzuknüpfen habe, um die gute Laune ihres Gastes herzustellen. Daher wechselte sie in einem jener raschen Uebergänge ihres Wesens plötzlich den Ton und fing an, in lebendiger und selbst heiterer Weise von allerlei kleinen Erlebnissen, Vorgängen in der Bühnenwelt etc. zu erzählen, indem sie ihn dabei unbemerkt zu ähnlichen Mittheilungen anregte. Feldern, der froh war, daß die peinliche Stimmung ihr Ende erreicht zu haben schien, ging auf die Unterhaltung ein und ihren geschickten Fragen gelang es, allerlei Einzelheiten, die sich auf sein Leben bezogen, aus ihm herauszulocken. Zufällig geschah dabei auch seines Verkehrs im Büsching’schen Hause Erwähnung, und obgleich er leicht darüber hinzugleiten suchte, trat sie ihm plötzlich mit der Bemerkung in den Weg: „Die Tochter des Hauses ist sehr schön,“ sagt man.

„Man spricht damit die Wahrheit,“ entgegnete er ruhig.

„Ist sie so liebenswürdig, wie schön?“ fragte sie.

„Das kommt auf die persönliche Empfindung an, Melanie.“

„Ist sie nicht vom Glück, vom Reichthum, durch ihre vornehme Geburt verwöhnt, einer anderen Welt angehörend, als der einfachen, bürgerlichen?“

„Ich fürchte, sie ist alles das, Melanie!“

Sie blickte ihn scharf an; die anfängliche Ruhe war aus ihrem Gesicht verschwunden und es ward ihr offenbar, daß er in diesem Augenblick mehr an die Entfernte dachte, als an sie, die Fragende. Ihrer Ueberlegung kaum noch mächtig, rief sie aus:

„Und doch sagt man, daß Sie an eine Verbindung mit jener stolzen, gefeierten Schönheit denken, Friedrich!“

Er blickte sie an, wie erstaunt über die dreiste Bemerkung, dann aber nahm sein Gesicht einen düsteren Ausdruck an und er sagte leise, aber fest: „Sie wird nie mein Weib.“

Das Wort hätte ihr beinahe seinen Freudenschrei entlockt, doch ein Blick auf seine Züge dämpfte ihre Empfindung. „Friedrich,“ stieß sie hervor, „Sie lieben das Fräulein dennoch!“

In seine Wangen schoß eine dunkle Röthe und seine Augen blickten fast drohend auf sie.

„Melanie, mißbrauchen Sie nicht die Rechte, welche ich Ihnen einräumte!“

Ihr ganzes Wesen sank zusammen vor seinem Zürnen und an die Stelle der Leidenschaft trat die schüchternste Demuth. Sie ergriff seine Hand und würde sie an die Lippen gedrückt haben, wenn er es nicht verhindert hätte. „Vergebung!“ flüsterte sie. – Er war wieder weicher geworden und sagte:

„Wir wollen vergessen, Melanie, was heute geredet worden ist!“

„Ja, vergessen!“ sagte sie traurig und angstvoll zugleich; „nur nicht das Eine Wort, das Sie vorhin sagten; nicht wahr, Friedrich?“

Er blickte sie fast mitleidig an und sagte: „Wir wollen nur das aus unserem Gedächtniß zu tilgen suchen, was uns krank und elend macht, dafür aber des Gelöbnisses eingedenk bleiben, welches wir Beide gethan haben: uns selbst und unseren Zielen treu zu bleiben!“ Er stand auf, um sich zu entfernen. Als er schon an der Thür war, faßte sie wieder seine Hand und sagte fast flehend: „Sagen Sie mir noch einmal, daß Sie mir nicht zürnen!“

„Armes Kind!“ murmelte er, während er leise mit der Hand über ihren dunklen Scheitel fuhr, und gütig fügte er hinzu: „Nein, ich zürne Ihnen nicht, Melanie!“

Als er dann aber hinaustrat auf die dunkle Gasse, lag eine schwere Wolke auf seiner Stirn, vielleicht der Sorge, vielleicht des Grams, und zu sich selbst sagte er: „Es geht nicht länger so; es muß zu Ende kommen hier und – dort!“ –

Wenige Wochen später trat Feldern wieder einen Gang nach dem Büsching’schen Hause an; diesmal aber nicht als Gast einer Soirée, sondern um einen einfachen Besuch abzustatten, der indessen einen besonderen Zweck haben mußte, denn sein Antlitz war ungewöhnlich ernst und beim Ueberschreiten der Schwelle zögerte er sogar einen Augenblick, als würde es ihm schwer, hier einzutreten. Seine Frage nach den Herrschaften ward von dem entgegentretenden Diener dahin beantwortet, daß der Oberforstmeister nicht daheim, die gnädige Frau aber von heftiger Migräne befallen sei und das Bett hüte. Eine Secunde schwankte Feldern, dann aber brachte er entschlossen die Frage nach Alma hervor und als er erfuhr, daß dieselbe im Salon sei, befahl er, ihn dem Fräulein zu melden. „Ich will nicht feige von hier und – von ihr gehen!“ sagte er zu sich selbst. Der Diener brachte die Antwort zurück, daß der Besuch willkommen sei, und eine Minute darauf sah Feldern sich dem jungen Mädchen gegenüber, das sich bei seinem Eintritt mit dem Ausdruck freudiger Ueberraschung erhob.

„Sieht man Sie endlich einmal wieder, Sie böser Flüchtling?“ rief sie ihm mit freundlichem Zürnen entgegen. „Seit Wochen warte ich vergebens, daß Sie sich unserer Uebungen erinnern möchten, und hatte mein eifriges Bestreben daran gesetzt, daß die Schülerin dem Lehrer Ehre machen solle, und zum Lohne dafür düpiren Sie mich von einem Tage zum andern. Dürfen Sie da wohl noch die Bitte um Vergebung wagen, die Sie doch wahrscheinlich zu mir führt?“

„Dennoch spreche ich sie aus,“ entgegnete er, „denn ich bedarf eines freundlichen Andenkens an die Zeit, wo ich mitunter in Ihrer Nähe sein durfte.“

Sie blickte ihn erstaunt und fragend an, antwortete dann aber im Ton fröhlichen Uebermuths: „Das klingt ja ordentlich elegisch und soll mich wohl darauf vorbereiten, daß Sie noch länger den Unsichtbaren spielen, am Ende gar eine Reise antreten wollen?“

„Eine Reise – ja; aber keine solche, bei der sich die Voraussicht des Wiedersehens gleich an den Abschied knüpft. Ich werde M. verlassen.“ Er sah nicht oder schien wenigstens nicht zu sehen, daß ein Erbleichen über ihre schönen Züge flog, denn seine Augen wichen den ihrigen aus und erst als sie leise sagte: „Das erwartete ich nicht!“ blickte er sie wieder an, jetzt aber fest und ruhig und auch seine Stimme klang so, als er fortfuhr:

„Ich habe mich vor einigen Wochen um eine erledigte Stelle an der Universität H. beworben und ein amtliches Schreiben verkündet mir heute Morgen die Gewährung meines Gesuchs. Weil gerade die Ferienzeit der hiesigen Hochschule ist, konnte ich mich leicht aus den bisherigen Verhältnissen lösen, und da mich auch sonst nichts fesselt, so denke ich schon in einigen Tagen von hier abzureisen.“

Alma hatte sich über die Stickerei gebeugt, an der sie bei seinem Eintritt gearbeitet hatte, und er konnte den Ausdruck ihrer Züge nicht wahrnehmen; es schien ihm jedoch eine Bewegung aus ihren Worten zu klingen, als sie nach einer Pause antwortete:

„Ist es unbescheiden, wenn ich Sie frage, ob persönliche Vortheile mit dieser Veränderung Ihrer Stellung verbunden sind?“

„Wie Sie es nehmen wollen,“ sagte er; „im gewöhnlichen Sinne – nein! Ja, ich verzichte sogar auf manche Vortheile, die ich hier genoß; dennoch aber sind es gerade persönliche Rücksichten, die mich zu einem Wechsel meiner Verhältnisse veranlassen.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Julius Mosen, * 8. Juli 1803; † 10. Oktober 1867.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_099.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)