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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

der neben die erste Seite (aa) des Garnes angelegten und zusammengefalteten Schlagwand (a’a’) beiderseits rechtswinkelig eingeklemmt und mit dem andern Ende an die kaum über den Boden ragenden Pflöcken (cc) angestemmt wurden. Hierdurch war auf beiden Seiten die Leine mit der Schlagwand des Garnes äußerst stramm angespannt. Die Transportirkäfige mit den Lockvögeln wurden am Ufer gegenüber unter dem maserigen Wurzelstock einer Erle mit Zweigen sorgfältig bedeckt, was Fink in der Vogelstellersprache als „verblenden“ bezeichnete.

Die Lockvögel, bedeutete uns ferner der Alte, dienen dazu, die vorüberstreichenden Vögel durch Lockrufe heran und unter die Schlagweite des Garns zu locken. Inzwischen rollte unser Lehrmeister langsam ein Seil auf und führte dasselbe etwa sechszig Schritte weit in einem Winkel von ungefähr dreißig Graden schief zu den Garnwänden über den Bach hinüber zu einem dichten Erlengebüsch, wobei einer von uns dasselbe in der Nähe des Garns an einem Ende festhalten mußte, während Fink, rückwärts schreitend, es abwickelte. Indem der Alte nun vollends bei z das etwa halbfingerdicke Seil, die „Zugleine“ genannt, befestigte, ging uns Lehrlingen über die ganze Einrichtung des sogenannten „Zuggarns“ ein Licht auf. Als wir in dem Eifer unseres Verständnisses durch eine Bewegung mit der Hand uns unter einander zu verstehen gaben, daß hier ein Zug bewirkt würde, der durch rasche Hebung bei z die beiden Sprenkel um die Pflöcke (cc) wie um eine Achse schwinge und zugleich das ganze Garn in einem Bogen blitzschnell über das Bachbett hinziehe – da bedachte uns der Alte mit kurzen: „Habt’s verstanden, Pfifficusse!“ Wir begaben uns mit dem Vogelfänger nun in das Erlengebüsch, woselbst die Zugleine an einem Busche festgebunden wurde. Etwa zwölf Fuß von dem Garn entfernt, war sie durch eine in den Boden gesteckte Holzgabel gezogen, damit sie, hierdurch anderthalb Schuh über der Erde gehalten, beim Zuge die Schlagwand des Garns nicht allzu dicht über der Erde hinschnellte. Auch hatte Fink schließlich noch das Garn in der Rinne sorgfältig mit aufgestreuter Erde bedeckt, um es den Blicken der auf die Tränke einfallenden Vögel zu entziehen.

Der Alte lehnte inzwischen behaglich wider einen Erlenstock im Grase. Es war bereits sehr schwül geworden. Plötzlich ließ sich der lebhafte Ruf der Lockvögel vernehmen, dem aus der Luft herab sofort das helle, flinke „Stieglit“ und kurze Sätze aus dem schmetternden Distelfinkenschlage, sowie das muntere Krähen von Hänflingshähnen und das „Ju“ und „Fink“ der Edelfinken folgte. Augenblicks darauf fielen schon einige Flüge Distelfinken, Hänflinge und Edelfinken in kühnem Bogenschwung auf die Erlen ein. Erstere drehten sich mit gefächerten Schwänzen unter ihrem hellen Rufen auf den Zweigen und die Hänflinge mit den Buchfinken sträubten die Kopffedern unter beständigem, lustigem Krähen und Rufen. Der Alte ermahnte uns flüsternd, mausestill und regungslos zu sein. Wir lagen so unbeweglich auf der Erde hinter einem Erlenstrauch, wie das Garn am Bache, verloren aber keinen der Vögel aus den Augen. Aber die Finken mochten nicht zur Tränke herunter. Einige Stieglitze flogen wohl manchmal in kleinen Ansätzen nach der Tränke zu, allein sogleich in kurzen Wendungen unter ihrem eigenthümlich tiefen Warnpfiffe aus die Erlen zurück. Ebenso machten es unter Sträuben der Kopffedern die Buchfinken und Hänflinge, jene mit oft wiederholtem „Fink“, diese mit Krähen und Locken ihr Zögern verkündend.

Eben kam ein neuer Flug von Stieglitzen, Hänflingen, Finken, Zeisigen und sogar Goldammern mit Feldsperlingen auf den Erlen an.

„Wenn’s jetzt nicht geht, haben nie böse Beispiele und Gesellschaften gute Sitten verdorben,“ lautete das Selbstgespräch hinter dem Erlenstocke. Kaum waren die Worte geflüstert, als die Ammern mit den Sperlingen täppisch auf die Tränke einfielen und sich sogleich darauf breit machten; nun folgte ein Flug junger Zeisige, einiger unerfahrener Stieglitze, zu denen sich junge Hänflinge gesellten. So sehr die Sippschaft sich’s auf der Tränke wohl sein ließ – noch immer regte sich die Zugleine nicht. Wir schielten nach dem alten Finkler hin, aber der saß ruhig hinter dem Erlenstumpf und schaute, sein irdenes Pfeifchen rauchend, ganz gleichgültig von Zeit zu Zeit auf die Tränke, sogleich aber wieder mit prüfendem Blicke zu den Vögeln oben. Endlich waren die Gelbschnäbel und das Ammern- und Spatzenvolk des Trinkens und Badens satt und flogen schwerfällig mit durchnäßten Federn einer nach dem andern auf die niedrigen Aeste der Erlen, im Sonnenschein die Federn schüttelnd und ordnend. Doch kaum war der letzte nasse Ammer unbeholfen dem Bade zum nächsten überhängenden Zweige entflattert, da regte sich’s mit neuem Leben oben auf den Bäumen. Jetzt flog ein alter Distelfink nach dem Bachufer, gerade in die Schlagweite des Garns. Ihm folgte unter Anschluß der Hänflinge und Edelfinken ein Vogel hinter dem andern, so daß der Zug nach dem Garne bunten Fäden glich. Endlich, als der letzte Vogel auf der Tränke einfiel, schnurrte die Zugleine und wie der Blitz schnellte die Schlagwand über den Bach hin. Wie besessen fuhren wir hinzu, der Alte nach. Da zappelten, flatterten und steckten die Stieglitze mit dem ängstlichen Feuer in den Augen und mitten darunter ein Dutzend Hänflinge, Zeisige und Buchfinken, ihrer zusammen achtundvierzig Vögel. Behutsam holte der Meister einen um den andern der meist durchnäßten Gefangenen unter dem Garn hervor und barg sie in mehrere oben luftig gestrickte Beutelchen.

„Jetzt ist’s hier Feierabend,“ sprach der Alte vergnügt und setzte hinzu: „Gut’ Ding will Weile, aber auch sein Ende haben.“ Hurtig ging’s nun an das „Ausbinden“ des Garns, das, tüchtig ausgerungen, mit den Sprenkeln und der auf eine Holzgabel gewickelten Zugleine in das Bündel kam.

Auf dem Heimweg öffnete uns der Alte den Schatz seiner Erfahrungen über das Verhalten unseres Distelfinken und Hänflings in der Freiheit und dem Käfig. „Beide,“ sprach er mit Wohlbehagen, „sind vornehme Vögel, obgleich man sie fast allenthalben antrifft. Aber habt Ihr jemals einen Stieglitz oder Hänfling sich unter Spatzen und Gelbhasen“ – so taufte er die Goldammern – „auf dem Mist und der Straße herumtreiben sehen? Niemals. So war unser alter Hauptmann, der immer zu uns sprach: ‚Jeder brave Bursche meidet gemeine Kneipen und rohe Gesellschaft.‘ Ich hab’s auch meine Lebtage so gehalten, und wenn ich auch ein armer Vogelsteller bin, so hab’ ich doch meinen Sinn und meinen Kopf, den ich nicht für des Bürgermeisters und des ganzen Stadtraths seinen vertausche. Man ist eben gern, was man ist. Gerade so geht es unserm Distelfink und Hänfling. Beide nehmen nichts von andern Vögeln an, sie bleiben immer Stieglitze mit dem kecken gewandten Wesen, dem schönen Gefieder, der schlanken Gestalt und dem schmetternden, schwungvollen Gesang, der sich wie eine Reitermusik anhört; und die Hänflinge bleiben Hänflinge, die munteren, allerliebsten Himmelshähnchen mit ihrem weckenden, krähenden Schmettern, dem gelehrigen Wesen und den niedlichen Manieren. Wenn Ihr sie im Käfig lange gesund erhalten wollt, dürft Ihr ihnen nur mäßig Hanf geben, sonst werden’s Feinschmecker und faule Bäuche. Je nach der Jahreszeit reicht man ihnen Wegerich, Salatsamen, Mohn und geschälten Hafer, zuweilen auch Grünes. Dann ist Reinlichkeit und frische Luft, wie Sonne ebenfalls Bedürfniß. Vieler und freundlicher Umgang macht sie ebenso zahm wie gelehrig. Beide lernen vom Käfig aus- und einfliegen, wenn man ihnen außen nichts reicht, damit sie der Hunger und irgend ein Leckerbissen wieder in’s Gebauer bringt. Zu Hause hab’ ich einen Stieglitz, der sich sein Wasser und Futter in Eimerchen an Kettchen mit Schnabel und Beinen recht artig in die Höhe zieht, und einen Hänfling, der das ‚Wenn in die Ferne‘ von Eurem Vater gar schön pfeift. Der ist aber ein aufgezogener, den ich zu meinem eigenen Plaisir halte.“

Hier setzte unser väterlicher Freund noch die Ermahnung hinzu, bei Leibe keine Nester der „vornehmen Vögel“ auszuheben. „Ich könnte Nester voll Distelfinken die schwere Menge haben. Sie bauen mir ja alljährlich vor mein Haus, bald auf den großen Birnbaum, bald auf die andern Obstbäume und selbst auf die kleinen Stämmchen der Baumschule in meiner Nähe. Aber ich lasse sie gewähren. Hab’ ich doch viel mehr Freude an ihrem Treiben in der freien Natur, als wenn ich den armen Alten die Jungen nehme oder sie quäle, die Kleinen im Käfig vor dem Fenster aufzufüttern. Schon drei Jahre hintereinander ist so mein stilles Vergnügen die Brut eines Stieglitzenpaars vor meiner Wohnung. Meist auf dem überhängenden dünnen Gezweig des Birnbaums steht sein Nest. Da sollt ihr das Weibchen sehen, was das für ein Baukünstler ist. Wie das feinste Polster stickt und klebt es mit seinem spitzen Elfenbeinschnabel die Außenwand seines Nestchens von Moos und Flechten zurecht und rundet es inwendig mit Flügeln, Brust und Hals durch Anschmiegen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_119.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)