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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

den Mittheilungen der Mutter in Alma’s Seele gefallen. Anfangs konnte sie sich blos nicht enthalten, daran zu denken, um auf’s Neue empört zu werden über die Verleumdung. Dann sann sie nach, wie solch’ ein schmähliches Gerede habe entstehen können, und als sie nach seinem Grund und Boden forschte, fiel ihr ein, daß die Mutter jene Schauspielerin, in deren Netzen Feldern gefangen sein sollte, Melanie Wolde genannt hatte. Sie erinnerte sich des Namens sehr wohl und auch der Künstlerin, die ihn trug, als einer piquanten Erscheinung, welche sie auf der Bühne ihrer Vaterstadt oft und gern gesehen hatte. Die Schauspielerin war auch ein Liebling des Publicums gewesen und von der Kritik – Feldern schrieb damals häufig die Recensionen für’s Theater – freundlich behandelt worden. Sie wußte selbst nicht, warum diese Erinnerung sie jetzt unangenehm berührte; tief konnte das Interesse Feldern’s für die junge Künstlerin nicht gewesen sein, denn sie entsann sich nicht, daß er jemals mit ihr von derselben gesprochen, und gekannt hatte er sie doch zu gleicher Zeit. Fräulein Wolde war – sie wußte es jetzt genau – bis zur Zeit ihrer eigenen Verlobung an jener Bühne gewesen, und es war ihr noch gegenwärtig, daß ihr plötzlicher Contractbruch damals nicht geringe Sensation in der Stadt gemacht hatte. Was konnte sie zu demselben bewogen haben? und warum hatte Feldern, auf den die Sache doch Eindruck machen mußte, ihrer nie erwähnt? – Sie wußte selbst nicht, daß ihr Herz klopfte und ihre Wangen glühten, als sie über das Alles nachdachte. Dann spannen sich ihre Gedanken weiter und kehrten zu dem Moment ihrer Verlobung zurück. Sie sah sich wieder vor Feldern hintreten und ihm in der tiefen Ergriffenheit und dem hohen Aufschwung ihrer Seele ihre Hand darbieten, ihn selbst aber sah sie stocken und bleich werden. Heiliger Gott, war es das Erbeben vor einem ungeahnten, überschwänglichen Glück, war es nicht das Bewußtsein eines strafbaren Verhältnisses, das Gefühl seiner Schuld und Unwürdigkeit gewesen, was ihn stumm gemacht hatte? Ihre Gedanken wirbelten und einen Moment glaubte sie, wahnsinnig werden zu können. Dann aber trat Feldern’s Bild vor sie hin in seiner ganzen männlichen Festigkeit, seinem tiefen, sittlichen Ernst, und in dieser Minute hätte sie wieder wie damals zu ihrer Mutter sagen können: mein Glaube an Gott ist nicht fester, als der an die Reinheit meines Gatten! Und doch – in der nächsten rang sie wieder mit ihrem furchtbaren Zweifel!

In dieser Gemüthsstimmung traf sie die Nachricht von dem Unfall Feldern’s, die ihr in dem kurzen Stil der Depesche die „zufällige Verwundung“ mittheilte. Der Zusatz lautete: „Gefahr – aber Hoffnung. Eile wünschenswerth.“ Alle ihre Zweifel, ihre Beängstigungen sanken zusammen vor diesen wenigen Worten. Sie dachte kaum noch an die Hirngespinnste ihrer kranken Phantasie; sie wußte, sie fühlte nur das Eine: der Mann, den du liebst, dessen Weib du bist, ist krank, vielleicht sterbend! und all’ ihr Wollen concentrirte sich in das eine Verlangen: Zu ihm, zu ihm!

Wenige Stunden später ging ein Zug ab, der sie nach dem Badeort bringen konnte, und als sie auf dem Wege war, athmete sie etwas leichter. Die Zeit schien sich ihr aber in’s Grenzenlose zu dehnen; ihre fieberhafte Spannung wuchs von Minute zu Minute und wurde immer unerträglicher, je näher man dem Ziele der Reise kam. Endlich war die Station erreicht, und flüchtigen Fußes eilte Alma nach dem Hotel, wo Feldern wohnte. Der Besitzer desselben kam ihr auf dem Flur entgegen und ein Blick auf ihr leichenblasses, verstörtes Gesicht verrieth ihm, daß sie die Dame sei, deren Ankunft man erwartete, noch ehe sie ihren Namen genannt hatte. Mit ehrerbietiger Freundlichkeit näherte er sich ihr und drückte seine Freude aus, die Frau Professorin mit einer guten Nachricht willkommen heißen zu dürfen: der Arzt, welcher so eben fortgegangen, habe den Kranken außer Gefahr erklärt. Alma’s Kräfte verließen sie; sie lehnte sich an die Wand, um Athem zu schöpfen; hätte ihr die Gegenwart des Wirths nicht Zwang aufgelegt, wäre sie in Thränen ausgebrochen.

Als sie sich einigermaßen gesammelt hatte – es war vom Arzt verboten worden, den Patienten aufzuregen – bat sie, ihr den Weg in das Krankenzimmer zu zeigen, und auf dem Gange dahin erzählte ihr der Wirth in Kürze den Hergang des bedauerlichen Mißgeschicks und erwähnte schließlich, daß eine Pflegerin bei dem Verwundeten sei. Sie achtete nicht sehr auf die letzte Bemerkung, die sie auf eine gemiethete Wärterin bezog, um so weniger, als sie in diesem Augenblick das zu der Krankenstube führende Vorzimmer erreicht hatte, an dessen Thür der Wirth sich verabschiedete. Bei ihrem Eintritt erhob sich vor dem Lager des Verwundeten eine Gestalt und kam ihr mit leisem, doch raschem Schritt entgegen, um sie vor jedem Geräusch zu warnen, da der Kranke entschlummert sei. Alma war einen Augenblick fast starr vor Schrecken, denn auf der Stelle hatte sie das junge Mädchen erkannt, an welches sie seit jener verhängnißvollen Nachricht kaum wieder gedacht hatte. Ihre Zähne schlugen aufeinander und mehr stammelnd als sprechend stieß sie die Worte hervor: „Fräulein Wolde – wie kommen Sie hieher?“

„Er – der Kranke hatte Beistand nöthig,“ entgegnete die Schauspielerin, mit dem Versuch, vor den drohend auf sie gerichteten Blicken Stand zu halten, und wollte fortfahren, in leisem Tone eine Erklärung zu geben, aber Alma schnitt ihr dieselbe mit den kurzen Worten ab: „Diesen Beistand werde jetzt ich, seine Gattin, leisten und ich bitte, daß Sie mir den Platz einräumen.“

Dann schritt sie mit einer stolzen Bewegung des Hauptes an Melanie vorüber und zog die Thür, welche sie noch von Feldern’s Zimmer trennte, nach sich. Die Röthe der Scham und Entrüstung flammte in den Wangen der jungen Schauspielerin auf; ihre Hände ballten sich krampfhaft, und hätte ihr die Nähe des Verwundeten nicht Zwang auferlegt, so würde sie ihrer Gegnerin nachgeeilt sein und sie zur Rechenschaft für ihre Härte gezogen haben. In der nächsten Minute hatte indeß ihre Aufwallung einem anderen Gefühle Platz gemacht; wie gebrochen sank sie in sich zusammen und verließ in beinahe scheuer Haltung das Gemach und gleich darauf die Schwelle des Hauses.

Es war Alma lieb, daß Feldern schlief, als sie ihn wiedersah, daß sein Schlummer noch eine geraume Zeit fortwährte. Schweigend und sinnend saß sie unterdessen an seinem Lager, die Augen unverwandt auf die vor ihr ruhende Gestalt gerichtet, während in ihrem Herzen Gefühle tobten, die sie noch nie gekannt hatte. Endlich schlug Feldern die Augen auf und „Alma!“ war der erste freudig ausgestoßene Laut, mit dem er sich emporrichten wollte.

„Ruhig, Feldern!“ bat sie. „Der Arzt hat jede Aufregung verboten, und nur unter der Bedingung, daß Du nicht sprichst, darf ich an Deiner Seite bleiben.“

Vergebens sehnte er sich nach einer Umarmung, einer Liebkosung – blos die Blässe ihres Gesichts konnte ihm ihre Theilnahme verrathen. Zugleich aber klang ihre Rede so bestimmt, daß er sich zur Folgsamkeit gezwungen sah und sich mit dem Bewußtsein begnügen mußte, daß sie in seiner Nähe war und über ihn wachte.

Seiner Pflege widmete sie sich von diesem Augenblick an mit äußerster Sorgfalt, und wie sie mit weicher Hand die Verbände um den kranken Kopf legte, beobachtete sie mit fast scrupulöser Gewissenhaftigkeit jede Vorschrift des Arztes. Nicht Tag noch Nacht wich sie von seinem Bette, und es war, als bedürfe sie für sich selbst weder Nahrung noch Ruhe. Nur die Unterhaltung mit ihm beschränkte sie nach wie vor auf die allernöthigste; selbst als der Arzt erklärte, Feldern, dessen Genesung unter ihrer Pflege rasche Fortschritte machte, bald von der Krankenliste streichen zu können, setzte sie die anfängliche Schweigsamkeit fort, und es konnte scheinen, als sei ein eigener Geist von Unempfindlichkeit über sie gekommen. Auf Feldern, den die Krankheit anfangs sehr weich gemacht hatte, wirkte ihr Benehmen verstimmend, und nebenbei fiel es ihm auf, daß sie nicht ein einziges Mal von dem Unfall sprach, sich nie nach den näheren Umständen desselben erkundigte, ja sogar jede Erwähnung, die sich darauf bezog, abschnitt.

Um so mehr überraschte es ihn daher, als sie eines Tages, da der Arzt ihr seine völlige Herstellung notificirt hatte, zu ihm in’s Zimmer trat und kalt und ernst zu ihm sagte: „Ich darf mir jetzt erlauben, Feldern, Dich nach Einigem zu fragen, was mit Deinem Unglück zusammenhängt.“

Der Ton, in welchem sie sprach, fiel ihm kaum noch auf, und halb scherzend entgegnete er: „Ich habe mich schon gewundert, daß Du so wenig neugierig warst.“

„Neugierig?“ wiederholte sie, „das Wort paßt nicht, Feldern, und es war nur die Rücksicht, welche ich Deinem leidenden Zustand schuldig war, die mich bisher schweigen ließ.“

„Aber Alma, ich verstehe Dich nicht!“ rief er verwundert.

Sie fuhr fort: „Als ich hieher kam – ich sage nicht, mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_130.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)