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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Die Schutzpatrone und Orakel der Bauern.
1. In Altbaiern.


In den grasreichen Ebenen Niederbaierns und auch in dem schönen Vorland der Allgäuer und Innberge wird die Pferdezucht seit alten Zeiten mit besonderer Vorliebe getrieben. Wie schon in den Fähnlein der baierischen Herzoge bei den Romfahrten der deutschen Könige die „Rott-Thaler Fuchse“ eine geschätzte Reiterei bildeten, so beziehen unsere Chevauxlegers-Regimenter noch heutzutage ihre meisten Pferde und ihre besten Reiter aus jenem Gau, dessen junge Bursche traditionell eine ausgezeichnete Kühnheit und Flinkheit auf Rossesrücken bekunden. Der Schutzpatron aller Gegenden, in welchen die Pferdezucht florirt, ist nun in ganz Oberdeutschland der heilige Reitersmann Sanct Georg; er gilt als Specialsachverständiger in diesem Gebiete, wie denn in der Austheilung der Rollen und Aemter an die einzelnen Heiligen das Mittelalter eine ergötzliche Naivetät entfaltet; so hilft z. B. ein Heiliger, der enthauptet worden, wider das Kopfweh, ein Zweiter, der mit Speeren durchbohrt worden, gegen das Seitenstechen etc.

Der römische Ritter Georg nun ist der Heilige für Roß und Reiter und an seinem Tage (dem 24. April) werden in den erwähnten Landschaften Uebungen und Spiele gehalten, welche ihren heidnischen Ursprung nicht verleugnen können. Es versammeln sich die Bauern aus der ganzen Umgegend bei einer dem Heiligen geweihten Capelle – noch alterthümlicher ist es, wenn eine riesenhafte Eiche oder Linde mitten im freien Hag Mittelpunkt der Feier ist; man findet solche tausendjährige Bäume (Ting-Bäume) an alten Gerichts- und Opferstätten noch häufig in Baiern –; bis in die Tausende geht die Zahl der Wagen, Rosse, Gespanne aller Art, welche zusammengebracht und im Kreise um das Heiligthum gestellt werden. Man campirt im Freien, die Männer haben Bier, die Weiber Spechen mitgebracht; der Geistliche predigt in der Capelle und segnet am Schluß die Rosse, wie es die obenstehende Abbildung darstellt; Aber nicht dieser christliche Segen ist es, der eigentlich bei diesem „Georgiritt“ hilft, er ist nur eine Zuthat, welche dem Gebrauche den rein heidnischen Charakter benehmen soll, sondern die Hauptsache ist Folgendes. Die jungen Bursche besteigen ohne Sattel und Bügel ihre besten Rosse und jagen im Galopp drei Mal um die Capelle oder den Baum, vor welchem der Geistliche oder in Ermangelung eines solchen ein alter Bauer steht und die vorübersausenden Rosse mit Weihwasser besprengt und – was höchst charakteristisch – mit Erde bewirft, welche aus dem Wurzelgebiet des heiligen Baumes gegraben ist. Diese Handlung schützt Roß und Reiter das Jahr über vor Krankheit, Fall und Sturz, und jeder Bauer nahm früher wenigstens eine Handvoll der Heilerde in einem Sack mit nach Hause, sie in dem Roßstall aufzuhängen. Offenbar haben wir es hier mit den letzten Spuren eines Festes zu thun, in welchem ein Gott der Rosse und des Reitens gefeiert und um seinen Segensschutz angegangen wurde; vielleicht war es Freyr, welchem vor andern Pferdeopfer gebracht wurden und dessen kriegerische Attribute den Uebergang in den ritterlichen Lindwurmtödter sehr nahe legen würden.

Indessen werden in anderen Gegenden andere Heilige als Patrone der Pferdezucht angerufen, so namentlich Sanct Bernhard und Sanct Leonhard. Letzterer spielt in Oberdeutschland eine der allerwichtigsten Rollen; denn ihm empfiehlt der Bauer, was ihm so wichtig oder oft noch wichtiger ist als sein Haus und seine Familie: seinen Stall und sein Vieh. St. Leonhard ist, ich weiß nicht zu erklären, aus welchen Gründen, der Schutzpatron des gesammten vierfüßigen Hausviehes geworden – das Federvieh hat seine besonderen Heiligen und zwar Tauben den heiligen Columban, Gänse Sanct Martin, Enten Sanct Veit –; in ganz Baiern, Oesterreich, Schwaben und in dem alemannischen Theil von Mitteldeutschland stehen zahllose kleine Bethäuser, Capellen, Wegsäulen, Feldbilder etc., meist auf einer „Reute“ (Rodung, freier, ausgereuteter Platz) mitten im tiefen Walde, zu welchen das Landvolk aus der ganzen Umgegend am Tage des Heiligen (6. November) wallfahrtet und dann mit Roß und Wagen um das Heiligthum „Leonhardi-Ritte“ hält, ganz ähnlich dem nur auf Pferde bezüglichen Fest des Georgi-Rittes.

Echt heidnisch ist aber hierbei die weitverbreitete Sitte, dem Heiligen die in Wachs nachgebildeten Glieder der Thiere zu opfern, welche leidend oder schon durch Sanct „Lienhard’s“ Hülfe geheilt sind; gewöhnlich wird dem Heiligen bei Ausbruch der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_165.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)