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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Dörfern, in denen eine Wasch- und Nähmaschine fehlte, und wenn die Prosperität nur noch zwei einzige Jahre so fortgedauert hätte, wie sie die Beschaffung der ungeheuern Summen von Papiergeld erzeugt, so wäre auch kaum ein Haus mehr gefunden worden ohne ein Pianoforte; Ich kann mich nicht entsinnen, jemals einen Amerikaner gesehen zu haben, der nicht ein Taschenmesser und eine Uhr bei sich gehabt hätte, und ich glaube nicht, daß drei Procent der ganzen männlichen erwachsenen Bevölkerung jemals dasselbe Messer länger als drei Monate und dieselbe Uhr länger als drei Jahre besessen hätten. Das Beste ist für den Allergeringsten nicht zu gut; und wo es nicht angeht, das Neueste von der besten Qualität zu besitzen, so muß es doch wenigstens das Neueste der Form nach sein.

In allen diesen Dingen leistet die Frauenwelt das Wunderbarste. Werden kurze Haare die Modetracht, so schneidet sich das ganze Geschlecht von einem Ende des Landes bis zum andern die Haare ab; trägt man dann wieder lange Locken, so werden sie fertig gekauft, und nicht Eine von allen Mädchen oder Frauen möchte den Glauben erregen, daß es ihre eigenen Haare seien, die sie zur Schau tragen. Die Kunst der Zahnärzte ist nur darum hier so hoch entwickelt, weil sich zahllose Frauen ihre gesunden, aber nach Farbe oder Stellung ihnen mißfälligen Zähne ausreißen lassen, um dafür ein neues ebenmäßiges Gebiß zu bekommen. Sind Perlen und edle Steine in der Mode, so trägt sie Jedermann, und wenn auch vielleicht nirgends in der Welt so viele echte Diamanten getragen werden, wie hier, so will doch Niemand, der falsche Steine trägt, den Glauben verbreiten, daß sie echt seien. Der demokratische Trieb des gleichen äußeren Auftretens verlangt Befriedigung, und dabei kommt es ganz allein auf den Schein und auf weiter nichts an, als auf den Schein.

Und gerade wie von äußerlichen Dingen gilt derselbe demokratische Gleichheitstrieb auch vom seelischen Leben. Ohne Unterschied der Classen und des Bildungsstandes, der im Ganzen viel weniger verschieden ist, als in alten Culturländern, strömt die gesammte Bevölkerung, namentlich aber die Frauen, populären Rednern, Vorlesern, Ausstellungen von Kunstwerken und musikalischen Productionen zu. Gewisse Geistesrichtungen bemächtigen sich plötzlich der ganzen Nation, und gerade wie zu gewissen Zeiten das ganze Volk eine Art von Betwuth ergreift, gerade so freigeistelt in diesem Augenblicke Alles und beschäftigt sich Alles mit der Frage der Weiberrechte. Ja, noch mehr, und aufmerksamen Beobachtern kann diese demokratische Merkwürdigkeit nicht entgehen: nicht nur, daß der Bildungsgrad der meisten Amerikaner ohngefähr derselbe ist, geradeso ist auch ihre Bildungsfähigkeit nahezu dieselbe, und eine gewisse Mittelschlächtigkeit des Intellects schließt sowohl die niedrigsten Grade europäischer Stupidität, als auch die höchsten Grade europäischer Begabung aus. Der letzte Krieg, der doch gewiß jeder Befähigung fast ohne Ausnahme Gelegenheit gegeben, sich hervorzuthun, hat auch nicht einen einzigen genialen Menschen offenbart. Auf der anderen Seite ist aber noch auch sicherlich niemals ein Land so vollkommen zerwühlt worden, in welchem die Romantik solch’ kärgliche Ausbeute gemacht hätte, als hier. Ich habe als Zahlmeister der Armee Monate lang in unsern Lagern zugebracht, habe den Krieg in allen seinen Stadien mitgemacht, – aber ich erinnere mich weder jemals einem besonders geistreichen Gespräch zugehört, noch eine romantische Scene mit angesehen zu haben. Und doch habe ich zahllose höhere und niedere Officiere so intim gekannt, als es nur die an sich zur Intimität ganz besonders reizende Stellung eines Zahlmeisters möglich macht. Gesunder Menschenverstand, Fanatismus und soldatische Leichtfertigkeit sind mir überall begegnet; besonders auffallende, über das gewöhnliche Niveau weit hervorragende Befähigung aber habe ich so wenig als Romantik in unserer Armee angetroffen. Sigel und Blenker hatten etwas Freischärlich-Romantisches an sich, vielleicht auch General Fremont, – für ihre Carriere ist es besonders förderlich nicht gewesen.

Diese Gleichheit in Genüssen und Begierden, in Gewohnheiten und Lebensanschauungen, dieses verhältnißmäßig wenig schwankende Niveau der Bildung und selbst der Intelligenz ist ein großer Segen, ja eine absolute Nothwendigkeit für die demokratische Zukunft einer Nation. Durch all das werden Standesunterschiede und wird die Verknöcherung von gewissen Richtungen verhindert, die unfehlbar zum Aristokratismus in der einen oder der anderen Form führen würden. Daß dadurch das Leben nicht sehr farbenreich und mannigfaltig wird, liegt auf der Hand. Aber diejenigen Fortschritte, die unleugbar die wesentlichen Unterschiede zwischen der neuen Demokratie und den alten Culturformen bilden, so groß oder so gering sie nun auch sein mögen, treffen hier niemals ausschließlich gewisse Kategorien der Bevölkerung, sondern gehören Allen nahezu gleichmäßig an. Eine Ausnahme davon machen nur die Neueingewanderten aus allen Ländern. Nicht, daß ihnen gesetzlich auch nur das allergeringste Hinderniß im Wege stände, nein, aber das demokratische Gleichheitsgefühl ist ein erworbenes und kein angeborenes oder willkürlich greifbares. Um es ganz zu entwickeln und eins mit dem amerikanischen Bürgerthum werden zu lassen, bedurfte es einer zweihundertjährigen demokratischen Erziehung. Das bloße Auswandern aus der Monarchie in die Republik giebt diese Erziehung nicht!




Blätter und Blüthen.


Der erste Carneval in Leipzig. Als in einem der vielen geselligen Vereine Leipzigs der Gedanke auftauchte, auch bei uns an der Pleiße den Fasching einzubürgern, wie ihn der Süden und namentlich Mittel- und Niederrhein zu ihren volksthümlichsten Festen zählen, lächelte man wohl ob dieser seltsamen und gewagten Acclimatisationsidee und Wenige mochte es geben, die ihr das Prognostikon selbst nur eines Succès d’estime stellten. Der Erfolg hat schließlich alle diese Prophezeiungen und Befürchtungen Lügen gestraft; auch die Leser unserer Gartenlaube wissen aus den Zeitungen, daß der am Fastnachtsmontage veranstaltete große Carnevalzug weit hinausgegangen ist über die kühnsten Erwartungen selbst der enthusiastischsten Urheber und Förderer des Festes, ausgezeichnet durch den Reichthum, den Geschmack und die pittoreske Wirkung der verschiedenen Gruppen, aus welchen sich der lange Zug zu einem höchst imposanten, farbenprächtigen und anmuthigen Ganzen zusammensetzte. Eine Schildung des schon viel beschriebenen Festes zu geben, kann jetzt, wo bereits Frühlingslüfte zu wehen beginnen und die Winterlust, deren Abschluß ja der Carneval bildet, lange hinter uns liegt, nicht Absicht der Gartenlaube sein, nicht einmal aufzählen will sie alle die interessanten Gruppen, den hochragenden Triumphwagen, den Orient mit seiner Pracht, den Eis- und den Ofenwagen, die Süßigkeiten speiende Friedenskanone, die schirmende Riesenpickelhaube, den Vater Rhein mit seinen duftenden Kindern, die Wagen des norddeutschen Gosenbundes und des Wettermanns Stannebein, die reizende Kindernarrengarde u. v. A., nur eine der malerisch schönsten Compositionen, die Reiherbeize mit ihren mittelalterlichen Jägern und Jägerinnen, hat sie aus der Fülle- und Mannigfaltigkeit des Gebotenen herauszugreifen und zum Gedächtniß des gelungenen Wurfes und für ihre Leser in der Ferne, denen eigene Anschauung nicht vergönnt war, im Bilde festzuhalten versucht.




Aus einem Malerleben. Der unlängst in Paris verstorbene berühmte Maler Ingres war in vieler Beziehung ein Original. So ist unter Anderm die Geschichte seiner Verheirathung höchst eigenthümlicher Art. Als junger Mann lernte er in Rom eine französische Familie kennen, die dicht bei der Villa Medici wohnte und den jungen Landsmann sehr herzlich aufgenommen hatte, so daß er seine meisten Freistunden dort zubrachte. Er hörte die Leute oft von einer hübschen, jungen Cousine sprechen, welche jenseits der Alpen geblieben war und in einer kleinen Stadt der Champagne ihre Heimath hatte. Man rühmte die Sanftmuth und Liebenswürdigkeit des jungen Mädchens, und auf diese Lobsprüche hin verliebte sich der Maler sterblich in dasselbe, hielt um ihre Hand an und schickte ihr ein selbstgemaltes Portrait von sich, wofür er als Gegengabe ein Bildniß der Dame bekam. Kurz darauf wurde sie in Person nach Rom berufen; die Liebe aus der Ferne befestigte sich in der Nähe und sie ward die Gattin des Künstlers, der später oft lächelnd sagte.: „Ich habe mich mit meiner Frau auf den Anblick ihres Portraits hin verlobt; das ist gewiß der größte Beweis von Vertrauen, den ich – der heutigen Malerkunst geben konnte!“ Er hat diese Ehe nie zu bereuen gehabt, denn Frau Ingres ist stets der gute Engel ihres Mannes geblieben und ihr gehörte auch sein letzter Liebesblick.

Ueberhaupt erzählt man sich viele Seltsamkeiten von diesem ungewöhnlichen Mann, der siebenzig Jahre lang mit den Ideen, dem Geist, der Mode und der Kritik seines Jahrhunderts gekämpft hat und durch diesen Kampf groß geworden ist. Der Herzog von Luyères hatte ihn einst ersucht, den Speisesaal in seinem Schlosse Dampierre mit mehreren Fresken zu zieren, und Ingres sagte zu, aber nur unter der Bedingung, daß kein Mensch die Arbeit vor ihrer Vollendung sehen dürfe. So vergingen fünf Jahre, während deren sich der Herzog damit begnügte, von Zeit zu Zeit durch das Schlüsselloch das Fortschreiten der Arbeit zu beschauen. Eines Tages aber wurde er von der Neugierde getrieben und betrat mit einem Freunde den geheimnißvollen Saal. Am Tage darauf zerstörte Ingres die ganze, der Vollendung nahe Malerei.




Inhalt: Die Herrin von Dernot. Von Edmund Hoefer. (Fortsetzung.) – Unter der Maske. Eine Theatererinnerung. Mit Abbildung. – Strafpredigt gegen rücksichtslose Leute. Von Bock. 3. Für Die auf Reisen. – Photographien aus dem Reichstag. Von einem Mitgliede desselben. I. – Nach Paris! Praktische Winke für Ausstellungsreisende. I. – Zur Charakteristik amerikanischer Frauen. Von C. L. Bernays in Missouri. – Blätter und Blüthen: Der erste Carneval in Leipzig. Mit Abbildung. – Aus einem Malerleben.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_224.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2017)