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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 19.   1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.      Vierteljährlich 15 Ngr.      Monatshefte à 5 Ngr.


Die Herrin von Dernot.
Von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung und Schluß.)


Die Tante erging sich in anerkennenden und klagenden Worten. Heimlingen tröstete sie nach Kräften und amüsirte sich dazwischen an dem ab- und zugehenden Tobias, der voll plötzlich erwachten kriegerischen Geistes die „Werke“ des Schlosses untersucht hatte und über ihre „Widerstandsfähigkeit“ rapportirte. Die beiden Mädchen waren still, aus dem gleichen und dennoch innerlich tief verschiedenen Grunde: Beide dachten über die Veränderung nach, die mit Heimlingen vorgegangen zu sein schien, – die eine zürnend, die andere dankbar. Esperance ging jedoch bald wieder zu ihrem Vater, dessen Zustand ihr verhältnißmäßig erträglich zu sein schien; so bequem man ihm unterwegs auch zu betten versucht, mochte die lange Fahrt den anscheinend fast unempfindlichen Körper doch ermüdet haben. Es war eine Art von Schlummer über ihn gekommen.

In ihrer Wache bei ihm wurde Esperance bald von der Tante abgelöst, die, wie es den Anschein hatte, jetzt wirklich und nachhaltig Besinnung und Fassung wiedergewonnen und mit großem Eifer und noch größerer Würde sich der Pflichten einer Frau vom Hause annahm. Zur Ruhe freilich ging das Mädchen darum doch nicht. Stunde auf Stunde saß sie mit dem Gutsverwalter, den man aus seiner Wohnung herauf gerufen, um sich von ihm über die Vorfälle, welche bisher die Ruhe in der Gegend gestört, über die Stimmung der Bewohner, über das Treiben der Partei des Müllers unterrichten zu lassen und zu bereden, was zur Beruhigung und Stärkung der Treuen und zur Besiegung der Gegner dienen könne. Der Mann bestätigte Burgsheim’s Angabe: es gab unter den Menschen dieser Gegend eine eigenthümliche, liebevolle und treue Erinnerung und eine fast phantastische Anhänglichkeit an die ‚Herrin von Dernot‘, und seit sie wußten, daß eine solche wieder da sei, und dieselbe im Herbst obendrein, wenn auch nur von ferne, kennen gelernt, hatten sie. Zuneigung und Hoffnung, obgleich in seltsam dringlicher Weise, dieser zugewendet. Es war obendrein nicht unbekannt geblieben, was an jenem Morgen auf dem Schloß vorfiel. Man sah dadurch einerseits Esperancens Ansprüche gesichert und fing andererseits an, den Müller zu hassen, der das Recht der ‚Herrin‘ bestreiten und beeinträchtigen wollte. Augustin hatte seit dem Herbst mehr Anhänger verloren als gewonnen und nur in der letzten Zeit durch kluge Benutzung der allgemeinen Aufregung auch in weiteren Kreisen wieder mehr Einfluß erlangt.

„Das will aber wenig bedeuten,“ meinte der Verwalter zum Schluß. „Wenn sie erfahren, daß das gnädige Fräulein hier ist und vollends hier bleiben will, und wenn sie obendrein sehen, daß der alte Streit um die Höfe nicht fortgeführt wird, so hat der Monsieur Augustin verspielt. Sie hoffen von ihrer ‚Herrin‘, wie unser gutes Deutschland vom alten Rothbart, so etwas wie das goldne Reich,“ fügte der Mann lächelnd hinzu. „Nur,“ und er wurde wieder ernster, „der Herr Baron darf nichts damit zu thun haben, – verzeihen das gnädige Fräulein, aber als ehrlicher Mann und treuer Beamter muß ich’s sagen: von dem wollen sie nichts. Und es wäre gut, wenn Excellenz für’s Erste noch nicht herkämen.“

Er hatte es nicht erfahren, daß der Baron bereits im Hause, und Esperance erkannte schon jetzt, welche Gefahr der Kranke auch hier laufen und mit welcher Vorsicht man das Geheimniß hüten müßte. Selbst des Verwalters Auge hatte von noch entschiedenerer Abneigung geredet, als seine Worte dieselbe erkennen ließen.

Von Leopold wußte Frau Katharine nichts. Etwa bis Weihnachten hatte er in seiner früheren Weise still und ernst im Schlosse fortgelebt. Dann war er aufgebrochen und man hatte seither keine Kunde mehr von ihm erhalten. – Esperancen ging es nicht anders. Statt seiner war aber ein Andrer ein häufiger Besucher des alten Hauses geworden – Burgsheim, der sich von der Matrone gern über die alte Zeit und die Jugend seines Vaters erzählen ließ. Die Frau war, schlicht und ernst wie immer, seines Lobes voll: er sei ein wackerer, tüchtiger, ehrenhafter Mann von, wie es ihr scheine, reichen Gaben und erinnere sie häufig ganz wunderbar an seinen Großvater, den Baron August. Vollends seit er sich von seinem Verwandten, dem Müller, der ihm neuerdings grimmig gänzlich abgesagt haben solle, mehr und mehr getrennt habe, seien all die löblichen Eigenschaften immer erfreulicher hervorgetreten.

Die Nacht schritt weiter und weiter vor, und der Tag fing an, über die Berge herab in die Thäler zu steigen, als der Arzt anlangte und den Kranken in seine Behandlung nahm. Ueber dessen Zustand wußte er den Angehörigen nichts Tröstliches zu sagen und verhehlte nicht, wie gering seine Hoffnung auf die Wiederherstellung des geistigen Theils. Von einem Weitertransport dürfe unter keinen Umständen die Rede sein, und da auch er zugestehen mußte, daß die Aufregung in der kleinen Stadt groß und der Haß gegen den Minister und sein hartes Regiment ein außerordentlicher, so fand er die strengste Verbergung des unglücklichen Mannes gerechtfertigt und traf mit Esperance und Heimlingen alle Vorkehrungen und Verabredungen, um das Geheimniß zu bewahren und seine öfteren Besuche in Dernot zu erklären. Er brachte überdies die Nachricht mit, welche Abends

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_289.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2019)